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Carl Dörne
Reise von Osterode nach Clausthal.
(Seitenstück zu H. Heine's »Harzreise«)

Der »Schneidergeselle«, dem Heine auf seiner Harzreise begegnete, meldet sich humorvoll zu Wort.

In Bemerker,1826 Nr. 26 (Beilage zum »Gesellschafter«, 1826, Nr. 138, 30. Aug.) veröffentlicht.
Textwiedergabe in der ursprünglichen Orthographie.



Reise von Osterode nach Clausthal.
(Seitenstück zu H. Heine's »Harzreise«)


Im Herbst 1824 kehrte ich von einer Geschäfts-Reise von Osterode nach Clausthal zurück. Durch eine Flasche Serons de Salvanette, die ich bei meinem alten Freunde St. getrunken, waren meine Lebensgeister dergestalt exaltirt, daß man mich hätte für ausgelassen halten können. Etwa auf der Hälfte des Weges traf ich mit einem jungen Manne zusammen, den ich genau beschreibe, damit er sich überzeugt, daß ich ihn wirklich damals gesehen. Er war etwa 5 Fuß 6 Zoll groß, konnte 25-27 Jahr alt seyn, hatte blonde Haare, blaue Augen, eine einnehmende Gesichtsbildung, war schlank von Gestalt, trug einen braunen Ueberrock, gelbe Pantalons, gestreifte Weste, schwarzes Halstuch und hatte eine grüne Kappe auf dem Kopfe und einen Tornister von grüner Wachsleinwand auf dem Rücken. Der Serons de Salvanette war lediglich schuld daran, daß ich den Reisenden sogleich nach der ersten Begrüßung anredete, und nach Namen, Stand und Woher und Wohin fragte. Der Fremde sah mich mit einem sardonischen Lächeln von der Seite an, nannte sich Peregrinus und sagte, er sey ein Cosmopolit, der auf Kosten des türkischen Kaisers reise, um Rekruten an zu werben. »Haben Sie Lust?« fragte er mich. – »Bleibe im Lande und nähre dich redlich!« erwiederte ich, und dankte sehr. Um indessen Gleiches mit Gleichem zu vergelten, gab ich mich für einen Schneidergesellen aus und erzählte dem türkischen Geschäftsträger, daß ich von B. komme, woselbst sich ein Gerücht verbreitet, daß der junge Landesherr auf einer Reise nach dem gelobten Lande von den Türken gefangen sey, und ein ungeheures Lösegeld bezahlen solle. Herr Peregrinus versprach, sich dieserhalb bei dem Sultan zu verwenden, und erzählte mir von dem großen Einflusse, den er bei Sr. Hoheit habe.

Unter dergleichen Gesprächen setzten wir unsere Reise fort, und um meine angefangene Rolle durch zu führen, sang ich allerlei Volkslieder, und ließ es an Corruptionen des Textes nicht fehlen, bewegte mich auch überhaupt ganz im Geiste eines reisenden Handwerksburschen. Ich vertraute dem Gefährten, daß ich ein hübsches Sümmchen bei mir trage, Mutterpfennige, es mir daher um so angenehmer sey, einen mannhaften Gesellschafter gefunden zu haben, auf den ich mich, falls wir von Räubern sollten angefallen werden, verlassen könnte. Der Ungläubige versicherte mich unbedenklich seines Schutzes. »Hier will es mit den Räubern nicht viel sagen«, fuhr er fort; »aber Sie sollten nach der Türkei kommen, da kann man fast keinen Fuß vor den andern setzen, ohne auf große bewaffnete Räuberschaaren zu stoßen; jeder Reisende führt daher, in jenen Gegenden, zu seinem Schutze Kanonen von schwerem Caliber mit sich, und kommt dessenungeachtet oft kaum mit dem Leben davon.« Ich bezeigte dem Geschäftsträger Sr. Hoheit mein Erstaunen und lobte beiläufig die deutsche Polizei, deren Thätigkeit es gelungen, daß ein armer Reisender ganze Stunden Weges zurück zu legen im Stande sey, ohne gerade von Räubern ausgeplündert zu werden. »Was wollten wir machen« – fuhr ich fort – »wenn hinter jedem Busche und aus jedem Graben mehrere gefährliche Kerle hervor sprängen und sich von dem erschrockenen Wanderer Alles ausbäten, wie der Bettler in Gellert's Fabel?« – »Haben Sie Gellert gelesen?« fragte mich mein Begleiter. – »Ja!« erwiederte ich; »ich habe in meiner Jugend Lesen und Schreiben gelernt, meine Lehrjahre bei dem Schneidermeister Sander zu Halberstadt im lichten Graben ausgestanden und seitdem bei mehreren Meistern in Cassel und Braunschweig gearbeitet, um den eigentlichen Charakter der männlichen Kleidung weg zu kriegen, welcher oft schwerer zu studiren ist, als des Mannes Charakter, der den Rock trägt.« – Hier sah mich Herr Peregrinus wieder von der Seite an, wurde nach und nach einsylbiger und verstummte endlich gar. – Er hatte überhaupt eine hofmännische Kälte an sich, die mich immer in einiger Entfernung von ihm hielt, und um den Scherz zu enden, klagte ich über Müdigkeit, ließ mich auf einen Baumstamm nieder und lud meinen Begleiter ein, ein Gleiches zu thun. Der aber antwortete, wie ich vermuthet hatte: es bliebe ihm für heute keine Zeit zur Ruhe übrig, lüftete seine Kappe und ging seines Weges, mich zum baldigen Nachkommen einladend. –

Ich hätte dieses kleine Reise-Abentheuer für immer der Vergessenheit übergeben, der »Gesellschafter« Bl. 11 von diesem Jahre mag's verantworten, daß ich's erzähle. In dem bezeichneten Blatte las ich nämlich zu meiner größten Ueberraschung die »Harzreise von H. Heine im Herbst 1824«, und fand mich darin als den reisenden Schneidergesellen mit vielem Humor abconterfeyt. Zu meiner Beruhigung habe ich aus der besagten »Harzreise« ersehen, daß mein damaliger Begleiter nicht Peregrinus, sondern H. Heine heißt, daß er kein Geschäflsträger Sr. Hoheit, sondern ein Jurist ist, der von Göttingen kommt und, wie er selbst sagt, zu viel Jurisprudenz und schlechte Verse (wahrscheinlich von Andern) im Kopfe hat. Meine Wenigkeit beschreibt Hr. Heine in seiner »Harzreise« folgendermaßen:

»Auf dem Wege von Osterode nach Clausthal traf ich mit einem reisenden Schneidergesellen zusammen. Es war ein niedlicher kleiner junger Mensch, so dünn, daß die Sterne durchschimmern konnten, wie durch Ossians Nebelgeister, und im Ganzen eine volksthümlich barokke Mischung von Laune und Wehmuth.«

Das Wahre an der Sache ist, daß ich mir selbst etwas mehr Corpulenz wünschte. Die Wehmuth streich' ich aber, mit Hrn. Heine's Erlaubniß, und berufe mich dieserhalb auf das ganze Clausthal.

Was nun die doppelte Poesie anbetrifft, die ich einem Kameraden zu Cassel beimaß, und von welcher Hr. Heine glaubt, daß ich darunter doppelt gereimte Verse oder Stanzen verstanden, so muß ich zur Steuer der Wahrheit bekennen, daß ich daran nicht dachte, vielmehr nur sagen wollte: der Kamerad ist von Natur ein Dichter und wenn er getrunken hat, sieht er Alles doppelt und dichtet also mit der doppelten Poesie. Die Redensarten, welche mir Hr. Heine in den Mund legt, sind wörtlich richtig und gehörten mit zu meiner Rolle. Hr. Heine und ich haben uns hiernach auf eine spashafte Weise getäuscht.

Nun Scherz bei Seite: Ich versichere Hrn. Heine, daß, ob ich gleich zu seiner »Harzreise« einige Haare hergeben müssen, ich ihn dessenungeachtet nicht im geringsten anfeinde, vielmehr seine humoristische Beschreibung mit wahrem Vergnügen gelesen habe.

Ich schließe mit der Bemerkung, daß ich den jungen Kaufmann mit seinen 25 bunten Westen und eben so vielen goldenen Pettschaften, Ringen, Brustnadeln u.s.w., welcher sich Hrn. Heine in der Krone zu Clausthal aufgedrungen, sehr gut kenne, und versichern kann, daß derselbe seine Persons-Beschreibung sehr ungnädig vermerken würde. Er liest aber keine journale, eben weil er so viele Westen, Ringe und Brustnadeln trägt, und seines so erschrecklich zusammengesetzten Anzuges wegen keine Zeit zum Lesen übrig hat, nur zum Fragen nimmt er sich welche. Ich verrathe dem Handlungs-Beflissenen nichts, sondern wünsche nur, daß ich mit dem Hrn. Heine noch einmal zusammen treffen möge, um demselben meinen persönlichen Dank für den Genuß ab zu statten, welchen ich durch Lesung seiner humoristischen »Harzreise« gehabt, und um den Verfasser zu überzeugen, daß ich mit der löblichen Schneiderzunft in gar keiner Verbindung stehe.


© Wolfgang Fricke