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Die Gemüter waren damals in Deutschland durch die Ermordung Kotzebues in Mannheim von der Hand des christlich-romantisch überspannten Studenten Karl Sand (23. März 1819) und durch die Gewaltmaßregeln der Regierungen gegen demagogische Umtriebe und Deutschtümelei, die sie früher selbst genährt hatten, sehr erregt. Die Deutschtümler lechzten nach einem Opfer, um an ihm ihre Rache zu kühlen, und da sie den Staatslenkern, den Metternichs, Gentz', Kamptz', die täglich neue Verfolgungen gegen sie ersannen, nicht beikommen konnten, so wurden die hilflosen Juden dazu ausersehen. Eine Reihe brutaler Wutausbrüche, welche den niedrigen Bildungsgrad der mittleren Volksklassen in Deutschland in der damaligen Zeit bezeichnen, erfolgte mehrere Monate hintereinander. Mit dem Hep-Hep-Geschrei gegen Juden tauchte das Mittelalter in seiner grausigsten Gestalt wieder auf; es wurde von der Studentenschaft und dem Kaufmannsstande wieder aufgefrischt.
Den Reigen eröffnete die Stadt Würzburg. Ein neuer Professor wurde (2. August) von der Studentenschaft feierlich eingeholt, und viel Volk hatte sich angeschlossen. Plötzlich wurde ein alter Professor Brendel bemerkt, der kurz vorher zugunsten der Juden geschrieben hatte. Es hieß, er habe dafür von ihnen eine Dose voll Dukaten bekommen. Bei seinem Anblicke erscholl aus dem Munde der Studenten der unsinnige Ruf „Hep-Hep!“ mit dem pöbelhaften Zusatz „Jud' verreck!“ Im studentischen Kauderwelsch sollte das damals zuerst aufgekommene Wort bedeuten: „Jerusalem ist verloren“ (Hierosolyma est perdita!). Brendel wurde verfolgt und mußte sich retten. Den Tumult benutzten brotneidische Kaufleute, welche erbittert darüber waren, daß jüdische Konkurrenten den Kaffee um einige Kreuzer billiger verkauften, und einige andere, welche etwas gegen einen geadelten jüdischen Kapitalisten Hirsch hatten. Eine leidenschaftliche Wut bemächtigte sich der Bevölkerung. Sie erbrach die Kaufläden der Juden und warf die Waren auf die Straße. Und als die Angegriffenen sich zur Wehr setzten und mit Steinen warfen, steigerte sich die Erbitterung bis zur Raserei. Es entstand eine förmliche Judenschlacht wie im Mittelalter, es kamen Verwundungen vor, mehrere Personen wurden getötet. Etwa vierzig Bürger hatten sich an diesem Judensturm beteiligt. Militär mußte zur Dämpfung der Erbitterung herbeigeholt werden, sonst wären die Juden niedergemetzelt worden. Tags darauf stellte die Bürgerschaft die Forderung an die städtische Behörde, daß die Juden Würzburg verlassen sollten. Und sie mußte sich fügen. Mit Trauer verließen etwa vierhundert Juden jeden Alters die Stadt und lagerten mehrere Tage in den Dörfern unter Zelten, einer trüben Zukunft entgegensehend. - Ähnliche Szenen wiederholten sich bald in Bamberg und in fast allen Städten Frankens. Wo sich ein Jude blicken ließ, wurde er mit dem Schimpfnamen „Hep-Hep“, „Jud' verreck“ angebrüllt und mißhandelt.
Für Frankfurt war diese Judenhetze in Franken ein Fingerzeig, wie die Verhaßten gedemütigt werden könnten, sie, die gewagt hatten, einen Prozeß gegen den Senat zu führen, und die einige Beschützer beim Bundestage hatten. So wiederholte sich hier (9.-10. August) ein Krawall; er begann mit dem Hep-Hep-Ruf und mit Zerstören der Fensterscheiben an jüdischen Häusern und steigerte sich zu der Rohheit, alle Juden mit Hohn und Mißhandlung von den Promenaden zu verjagen. Handwerker, Tagelöhner, Ladendiener, von ihren Brotherren heimlich ermutigt, machten, wie zwei Jahrhunderte vorher, zur Zeit Vincenz Fettmilchs, zerstörende Angriffe auf jüdische Häuser. Ganz besonders war es auf Rothschilds Haus abgesehen, dessen Reichtum und Bedeutung in politischen Kreisen den christlichen Patriziern ein Dorn im Auge war. In Paris erschienen zur selben Zeit auf einem von James Rothschild veranstalteten Balle sämtliche Gesandte und diplomatischen Vertreter, und in Deutschland behandelte man die Rothschilds noch wie Trödeljuden. Mehrere vermögende Juden verließen das judenmörderische Frankfurt. Dieser zur Wut gesteigerte Judensturm in Frankfurt, dem Sitze des Bundestages, war den Gesandten nicht gleichgültig. In Rothschilds Koffer waren Gelder des Bundestages zur Sicherheit niedergelegt. Der Vorsitzende, Graf v. Buol-Schauenstein, berief daher eine Konferenz der Mitglieder zur Beratung, und es wurde beschlossen, Bundestruppen aus Mainz zu berufen, da der Stadtmiliz nicht zu trauen sei. Stafetten flogen nach allen Seiten hin. Dadurch machte die Frankfurter Judenhetze in ganz Europa großes Aufsehen. Die Aufregung gegen die Juden dauerte indessen trotz der herbeigezogenen Truppen noch immer fort. Mehrere derselben verkauften daher ihre Häuser, und selbst die Rothschilds trauten dem Frieden nicht und dachten ernstlich daran, Frankfurt den Rücken zu kehren. Sie hätten nach Frankreich oder England übersiedeln müssen; denn in Deutschland waren sie damals nirgends ganz sicher.
Wie ein Lauffeuer verbreiteten sich die Nachrichten dieser Judenschlacht in Deutschland, als hätte die Bevölkerung überall nur auf ein Zeichen gewartet, um loszubrechen. In Darmstadt und Bayreuth wiederholten sich (12. August) die Stürme. Aus Meiningen wurden die wenigen Juden vertrieben. In Karlsruhe fand man eines Morgens (18. August) an der Synagoge und an den Häusern angesehener Juden einen Zettel angeheftet mit den Worten „Tod und Verderben den Juden!“ Hier war es der Hofbankier Haber, dessen Reichtum die Bevölkerung zur Wut stachelte. Ein Offizier beschimpfte einen geachteten jüdischen Lehrer am Lyceum öffentlich. Die Hamburger folgten nach (21.-24. August). Die Juden wurden aus den Kaffeehäusern und von der Post mit Hohn und Beleidigungen verjagt, die Fenster ihrer Häuser wurden eingeschlagen. Da sie sich hin und wieder zur Wehr setzten, so bedeutete sie der Senat drohend, sie sollten bei Strafe sich jeder Gelegenheit zum Streit enthalten. In Düsseldorf fand man (28. August) die Haustüren mehrerer jüdischer Häuser durch schwarze Striche und drohende Zettel bezeichnet. Im Badischen, wo Sand die deutschtümelnde Narrheit mit einem Mord besiegelt hatte und die Aufregung der Gemüter noch fortdauerte, war die Erbitterung gegen die Juden so groß, daß kein Jude sich auf den Straßen blicken lassen konnte, ohne beschimpft oder mißhandelt zu werden. In Heidelberg kam es (Anfang Sept.) zu einem Tumulte infolge eines pöbelhaften Auftrittes, der den ritterlichen Charakter der Deutschen in ein wunderliches Licht setzt. Ein Bürger hatte ein jüdisches Mädchen mißhandelt und war von der Polizei verhaftet worden. Alsbald erhob sich fast die ganze Bevölkerung, um den Helden zu befreien und die jüdischen Häuser zu zerstören. Die Hep-Hep-Rufe erschollen in den Straßen; Äxte, Brecheisen, Werkzeuge aller Art wurden wie zu einer Erstürmung zusammengebracht. Die Bürgergarde, welche die Anstürmenden auseinandertreiben sollte, versagte ihren Dienst. Der Stadtdirektor Pfizer, statt den Verfolgten beizustehen. unterstützte die Verfolger. Es wäre Blut vergossen worden, wenn nicht die Heidelberger Studentenschaft, vielleicht durch Berührung mit Frankreich menschlicher gestimmt, angeführt von zwei Professoren, Daub und Thibaut, die Wehrlosen mit eigener Gefahr geschützt hätte. Erst als die bewaffnete Macht einschritt, Patrouillen das ganze badische Land durchschweiften, und jedes Städtchen und jedes Dorf für Angriffe einzelner aus ihrer Mitte auf die Juden verantwortlich gemacht wurde, legte sich allmählich der Judensturm; aber der Haß wurde dadurch nur noch ingrimmiger.
Aus Deutschland flog der Funke des Judenhasses sogar in die Hauptstadt des dänischen Staates, der einige Jahre vorher den Juden das Bürgerrecht erteilt und es nicht wieder zurückgenommen hatte. Die Veranlassung dazu war, daß flüchtige jüdische Kaufleute aus Hamburg sich in Kopenhagen niederließen und andere ihnen nachzufolgen ermutigten. Deswegen regte sich der Brotneid, möglicherweise von deutschen Kaufleuten aufgestachelt. Hier erhob sich indes (Sept.) nur der Pöbel, begann mit Steinwürfen gegen Juden und endete mit Tätlichkeiten und Verwundungen. Die Regierung mußte das Standrecht verkünden. Die Bürger standen dagegen in den wenigen Städten, wo Juden wohnten, diesen bei, und die Prediger verkündeten von den Kanzeln Duldung und Liebe gegen sie. In Deutschland blieben die Diener der Religion beim Anblick der Roheiten stumm oder sahen ihnen gar schadenfroh zu. Angriffe auf Juden hatten sich von Würzburg aus südwärts bis Karlsruhe und nordwärts bis Danzig erstreckt; am häufigsten jedoch waren sie in Bayern und Baden, wo der Judenfresser Fries gewühlt hatte. Damit kein Zug von den mittelalterlichen Judenhetzen fehlen sollte, wurde in einem kleinen bayrischen Orte eine Synagoge gestürmt, und die Gesetzrollen wurden in roher Weise zerrissen. Auch da, wo sich die Faust nicht ballen konnte, donnerte der Mund in kleinen und großen Städten jedem Juden ein Hep-Hep zur Belustigung der Zuschauer entgegen. Die polizeiliche oder soldatische Mannschaft, welche gegen die Stürmer und Schreier einschritt, nahm im Stillen Partei gegen die Juden, und die Regierungen, welche sie schützten, taten es mehr aus Furcht, weil sie hinter dem Judensturme demagogische Umtriebe argwöhnten. Später beriefen sie sich auf diese Gewaltausbrüche, als auf den Volkswillen oder Unwillen gegen die Juden, um ihnen die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte vorzuenthalten.
Die höchste Blüte des deutschtümelnden Judenhasses bildet die in der Zeit der Aufregung erschienene Brandschrift „Der Judenspiegel“ (Nov. 1819). Hartwig Hundt, ein Mann von abenteuerlicher Existenz, der, weil er bei einem adeligen Polen Radowsky Hauslehrer war, sich den Adelstitel v. Hundt-Radowsky beilegte und gegen den Adel schrieb, weil er in dessen Reihen nicht zugelassen wurde, forderte geradezu auf, die Juden totzuschlagen. Wahrscheinlich hatten sie sein Raubrittertum nicht nach seiner Erwartung befriedigt. Er nannte sich bescheiden Grattenauer den Zweiten, übertraf aber sämtliche Judenfeinde, welche seit der Erfindung der Buchdruckerkunst von Pfefferkorn, Ortuin Gratius und Dr. Martin Luther an bis auf Rühs, Fries und die Frankfurter Judenfresser, die Demütigung oder Vertilgung der Juden als Herzensangelegenheit behandelt haben. Hundt-Radowsky machte sehr löbliche Vorschläge, welche, wie er sich schmeichelte, die Hep-Hep-Männer befriedigen würden. „Obgleich ich meines Ortes die Tötung eines Juden weder für eine Sünde, noch für ein Verbrechen halte, sondern bloß für ein Polizeivergehen, so werde ich doch nie raten, sie, wie es mir jetzt im andern Falle Mode zu werden scheint, ungehört zu verdammen und zu bestrafen.“ Was denn? Seine Ratschläge waren: „Man verkaufe Israels Kinder an die Engländer, welche sie statt der Schwarzen in ihren indischen Pflanzungen gebrauchen können. Damit sie sich nicht vermehren, sollte man die Männer entmannen und ihre Weiber und Töchter in Schandhäusern unterbringen. Am besten werde es jedoch sein, man reinigte das Land ganz von dem Ungeziefer, indem man sie entweder ganz vertilge oder sie, wie Pharao, die Meininger, Würzburger und Frankfurter es gemacht haben, zum Lande hinausjage.“ Selbstverständlich ließ er an den Juden von den ältesten Zeiten an bis auf seine Zeitgenossen kein gutes Haar. Sie seien sämtlich verworfen, „selbst ihre Dichter seien Betrüger und hätten einen kurzen Fuß statt eines langen.“ Der Hep-Hep-Sturm und Hundt-Radowskys Mordpredigten waren die giftige Frucht der Saaten, welche Fichte und Schleiermacher ausgestreut hatten; sie sind schnell und voll genug aufgegangen.
Diese Brandschrift des sogenannten v. Hundt-Radowsky, in der jedes Wort eine Scheußlichkeit ist, wurde von der deutschen Lesewelt gieriger verschlungen als seine schlechten Romane. Erst auf Antrag der Juden wurde sie hier und da von der durch die Karlsbader Beschlüsse allmächtigen Zensur verboten und konfisziert. In Portugal wurde um dieselbe Zeit bei den Cortes ein Antrag eingebracht, die ausgestoßenen Juden wieder zuzulassen und das an ihnen begangene Verbrechen zu sühnen, und in Deutschland rechtfertigten Schriftsteller und Staatsmänner dieses Verbrechen und wünschten, daß es im neunzehnten Jahrhundert wiederholt würde! Hundt stand nicht vereinzelt da mit seinen Vorschlägen zur Vertilgung der Juden, er hatte Gesinnungsgenossen. Ein Deutschtümler aus Frankfurt, der sich der Weiß-Becker nannte, beleuchtete in derselben Zeit (1819) „Das Leben, Dichten und Trachten der Juden“, angeblich nach dem Richterspruch der Vernunft, in Wahrheit aber nach den Eingebungen des blindesten, leidenschaftlichsten Hasses. Wer will alle diese judenfeindlichen, aufregenden Schriften gegen die Juden aus den Jahren des Hep-Hep-Sturmes aufzählen? Bei Besprechung der Tagesfragen, mochten sie auch noch so fern von dem Verhältnis zu den Juden liegen, wurden diese herbeigezogen, um sie zu besudeln. Verherrlichten sie Sand und seine Mordtat an Kotzebue und rühmten sie dessen christliches, religiöses Gefühl, so verfehlten sie nicht, hinzuzufügen, daß „der christliche Haß den Tag des Gerichtes über die Juden, die privilegierten Spießgesellen der Plusmacherei“, herbeirufen würde, auch „wenn kein Schriftsteller je einen Buchstaben zum Nachteile der Juden der Presse“ anvertraut hätte.
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