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Heinrich Heine
Bericht über die Februarrevolution

Erschienen in der »Augsburger Allgemeinen Zeitung« vom 9. März 1848. Drei weitere Artikel, die Heine am 10., 14. und 22. März schrieb, druckte die Zeitung nicht.




Paris, 3. März.


Ich habe Ihnen über die Ereignisse der drei großen Februartage noch nicht schreiben können, denn der Kopf war mir ganz betäubt. Beständig Getrommel, Schießen und Marseillaise. Letztere, das unaufhörliche Lied sprengte mir fast das Gehirn und ach! das staatsgefährlichste Gedankengesindel, das ich dort seit Jahren eingekerkert hielt, brach wieder hervor. Um den Aufruhr, der in meinem Gemüte entstand, einigermaßen zu dämpfen, summte ich zuweilen vor mich hin irgendeine heimatlich fromme Melodie, z. B. »Heil dir im Siegerkranz« oder »Üb du nur Treu und Redlichkeit« - vergebens. Der welsche Teufelsgesang überdröhnte in mir alle bessern Laute. Ich fürchte die dämonischen Freveltöne werden in Bälde auch euch zu Ohren kommen und ihr werdet ebenfalls ihre verlockende Macht erfahren. So ungefähr muß das Lied geklungen haben, das der Rattenfänger von Hameln pfiff. Wiederholt sich der große Autor? Geht ihm die Schöpfungskraft aus? Hat er das Drama das er uns vorigen Februar zum besten gab, nicht schon vor achtzehn Jahren ebenfalls zu Paris aufführen lassen unter dem Titel »Die Juliusrevolution«? Aber ein gutes Stück kann man zweimal sehen. Jedenfalls ist es verbessert und vermehrt, und zumal der Schluß ist neu und ward mit rauschendem Beifall aufgenommen. Ich hatte einen guten Platz um der Vorstellung beizuwohnen, ich hatte gleichsam einen Sperrsitz, da die Straße, wo ich mich zufällig befand, von beiden Seiten durch Barrikaden gesperrt wurde. Nur mit knapper Not konnte man mich wieder nach meiner Behausung bringen. Gelegenheit hatte ich hier vollauf das Talent zu bewundern, das die Franzosen bei dem Bau ihrer Barrikaden beurkunden. Jene hohen Bollwerke und Verschanzungen, zu deren Anfertigung die deutsche Gründlichkeit ganze Tage bedürfte, sie werden hier in einigen Minuten improvisiert, sie springen wie durch Zauber aus dem Boden hervor, und man sollte glauben die Erdgeister hätten dabei unsichtbar die Hand im Spiel. Die Franzosen sind das Volk der Geschwindigkeit. Die Heldentaten die sie in jenen Februartagen verrichteten, erfüllen uns ebenfalls wieder mit Erstaunen, aber wir wollen uns doch nicht davon verblüffen lassen. Auch andere Leute haben Mut: der Mensch ist seiner Natur nach eine tapfere Bestie. Die Todesverachtung Womit die französischen Ouvriers gefochten haben, sollte uns eigentlich nur deshalb in Verwunderung setzen weil sie keineswegs aus einem religiösen Bewußtsein entspringt und keinen Halt findet in dem schönen Glauben an ein Jenseits, wo man den Lohn dafür bekömmt, daß man hier auf Erden fürs Vaterland gestorben ist. Ebenso groß wie die Tapferkeit, ich möchte auch sagen ebenso uneigennützig, war die Ehrlichkeit wodurch jene armen Leute in Kittel und Lumpen sich auszeichneten. Ja, ihre Ehrlichkeit war uneigennützig und dadurch verschieden von jener krämerhaften Berechnung, wonach durch ausdauernde Ehrlichkeit mehr Kunden und Gewinn entsteht als durch die Befriedigung diebischer Gelüste, die uns am Ende doch nicht weit fördern: ehrlich währt am längsten. Die Reichen waren nicht wenig darüber erstaunt, daß die armen Hungerleider die während drei Tagen in Paris herrschten, sich doch nie an fremdem Eigentum vergriffen. Die Reichen zitterten für ihre Geldkasten und machten große Augen als nirgends gestohlen wurde. Die Strenge, womit das Volk gegen etwelche Diebe verfuhr, die man auf der Tat ertappte, war manchen sogar nicht ganz recht, und es ward gewissen Leuten beinahe unheimlich zumute als sie vernahmen, daß man Diebe auf der Stelle erschieße. Unter einem solchen Regimente, dachten sie ist man am Ende doch seines Lebens nicht sicher. Zerstört ward vieles von der Volkswut, zumal im Palais Royal und in den Tuilerien, geplündert ward nirgends. Nur Waffen nahm man wo man sie fand, und in jenen königlichen Palästen ward auch dem Volk erlaubt die vorgefundenen Lebensmittel sich zuzueignen. Ein Junge von 15 Jahren, der in unserm Hause wohnt und sich mitgeschlagen, brachte seiner kranken Großmutter einen Topf Konfitüren mit, die er in den Tuilerien eroberte. Der kleine Held hatte nichts davon genascht und brachte den Topf unerbrochen nach Haus. Wie freute er sich, daß die alte Frau die Konfitüren Ludwig Philipps, wie er sie nannte, so äußerst wohlschmeckend fand. Armer Ludwig Philipp! In so hohem Alter wieder zum Wanderstab greifen! Und in das nebelkalte England, wo die Konfitüren des Exils doppelt bitter schmecken!





© Wolfgang Fricke