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Heinrich Heine
Lutetia – Anhang






Musikalische Saison von 1844



Erster Bericht


Paris, 25. April 1844


A tout seigneur tout honneur. Wir beginnen heute mit Berlioz, dessen erstes Konzert die musikalische Saison eröffnete und gleichsam als Ouvertüre derselben zu betrachten war. Die mehr oder minder neuen Stücke, die hier dem Publikum vorgetragen wurden, fanden den gebührenden Applaus, und selbst die trägsten Gemüter wurden fortgerissen von der Gewalt des Genius, der sich in allen Schöpfungen des großen Meisters bekundet. Hier ist ein Flügelschlag, der keinen gewöhnlichen Sangesvogel verrät, das ist eine kolossale Nachtigall, ein Sprosser von Adlersgröße, wie es deren in der Urwelt gegeben haben soll. Ja, die Berliozische Musik überhaupt hat für mich etwas Urweltliches, wo nicht gar Antediluvianisches, und sie mahnt mich an untergegangene Tiergattungen, an fabelhafte Königstümer und Sünden, an aufgetürmte Unmöglichkeiten, an Babylon, an die hängenden Gärten der Semiramis, an Ninive, an die Wunderwerke von Mizraim, wie wir dergleichen erblicken auf den Gemälden des Engländers Martin. In der Tat, wenn wir uns nach einer Analogie in der Malerkunst umsehen, so finden wir die wahlverwandteste Ähnlichkeit zwischen Berlioz und dem tollen Briten: derselbe Sinn für das Ungeheuerliche, für das Riesenhafte, für materielle Unermeßlichkeit. Bei dem einen die grellen Schatten- und Lichteffekte, bei dem andern kreischende Instrumentierung; bei dem einen wenig Melodie, bei dem andern wenig Farbe, bei beiden wenig Schönheit und gar kein Gemüt. Ihre Werke sind weder antik noch romantisch, sie erinnern weder an Griechenland noch an das katholische Mittelalter, sondern sie mahnen weit höher hinauf an die assyrisch-babylonisch-ägyptische Architekturperiode und an die massenhafte Passion, die sich darin aussprach.

Welch ein ordentlicher moderner Mensch ist dagegen unser Felix Mendelssohn-Bartholdy, der hochgefeierte Landsmann, den wir heute zunächst wegen der Symphonie erwähnen, die im Konzertsaale des Conservatoires von ihm gegeben worden. Dem tätigen Eifer seiner hiesigen Freunde und Gönner verdanken wir diesen Genuß. Obgleich diese Symphonie Mendelssohns im Conservatoire sehr frostig aufgenommen wurde, verdient sie dennoch die Anerkennung aller wahrhaft Kunstverständigen. Sie ist von echter Schönheit und gehört zu Mendelssohns besten Arbeiten. Wie aber kommt es, daß dem so verdienten und hochbegabten Künstler, seit der Aufführung des »Paulus«, den man dem hiesigen Publikum auferlegte, dennoch kein Lorbeerkranz auf französischem Boden hervorblühen will? Wie kommt es, daß hier alle Bemühungen scheitern und daß das letzte Verzweiflungsmittel des Odéontheaters, die Aufführung der Chöre zur »Antigone«, ebenfalls nur ein klägliches Resultat hervorbrachte? Mendelssohn bietet uns immer Gelegenheit, über die höchsten Probleme der Ästhetik nachzudenken. Namentlich werden wir bei ihm immer an die große Frage erinnert: Was ist der Unterschied zwischen Kunst und Lüge? Wir bewundern bei diesem Meister zumeist sein großes Talent für Form, für Stilistik, seine Begabnis, sich das Außerordentlichste anzueignen, seine reizend schöne Faktur, sein feines Eidechsenohr, seine zarten Fühlhörner und seine ernsthafte, ich möchte fast sagen passionierte Indifferenz. Suchen wir in einer Schwesterkunst nach einer analogen Erscheinung, so finden wir sie diesmal in der Dichtkunst, und sie heißt Ludwig Tieck. Auch dieser Meister wußte immer das Vorzüglichste zu reproduzieren, sei es schreibend oder vorlesend, er verstand sogar das Naive zu machen, und er hat doch nie etwas geschaffen, was die Menge bezwang und lebendig blieb in ihrem Herzen. Dem begabteren Mendelssohn würde es schon eher gelingen, etwas ewig Bleibendes zu schaffen, aber nicht auf dem Boden, wo zunächst Wahrheit und Leidenschaft verlangt wird, nämlich auf der Bühne; auch Ludwig Tieck, trotz seinem hitzigsten Gelüste, konnte es nie zu einer dramatischen Leistung bringen.

Außer der Mendelssohnschen Symphonie hörten wir im Conservatoire mit großem Interesse eine Symphonie des seligen Mozart und eine nicht minder talentvolle Komposition von Händel. Sie wurden mit großem Beifall aufgenommen.

Unser vortrefflicher Landsmann Ferdinand Hiller genießt unter den wahrhaft Kunstverständigen ein zu großes Ansehen, als daß wir nicht, so groß auch die Namen sind, die wir eben genannt, den seinigen hier unter den Komponisten erwähnen dürften, deren Arbeiten im Conservatoire die verdiente Anerkennung fanden. Hiller ist mehr ein denkender als ein fühlender Musiker, und man wirft ihm noch obendrein eine zu große Gelehrsamkeit vor. Geist und Wissenschaft mögen wohl manchmal in den Kompositionen dieses Doktrinärs etwas kühlend wirken, jedenfalls aber sind sie immer anmutig, reizend und schön. Von schiefmäuliger Exzentrizität ist hier keine Spur, Hiller besitzt eine artistische Wahlverwandtschaft mit seinem Landsmann Wolfgang Goethe. Auch Hiller ward geboren zu Frankfurt, wo ich, bei meiner letzten Durchreise, sein väterliches Haus sah; es ist genannt »Zum grünen Frosch«, und das Abbild eines Frosches ist über der Haustüre zu sehen. Hillers Kompositionen erinnern aber nie an solch unmusikalische Bestie, sondern nur an Nachtigallen, Lerchen und sonstiges Frühlingsgevögel.

An konzertgebenden Pianisten hat es auch dieses Jahr nicht gefehlt. Namentlich die Iden des Märzen waren in dieser Beziehung sehr bedenkliche Tage. Das alles klimpert drauflos und will gehört sein, und sei es auch nur zum Schein, um jenseits der Barriere von Paris sich als große Zelebrität gebärden zu dürfen. Den erbettelten oder erschlichenen Fetzen Feuilletonlob wissen die Kunstjünger, zumal in Deutschland, gehörig auszubeuten, und in den dortigen Reklamen heißt es dann, das berühmte Genie, der große Rudolf W., sei angekommen, der Nebenbuhler von Liszt und Thalberg, der Klavierheros, der in Paris so großes Aufsehen erregt habe und sogar von dem Kritiker Jules Janin gelobt worden, Hosianna! Wer nun eine solche arme Fliege zufällig in Paris gesehen hat und überhaupt weiß, wie wenig hier von noch weit bedeutendern Personagen Notiz genommen wird, findet die Leichtgläubigkeit des Publikums sehr ergötzlich und die plumpe Unverschämtheit der Virtuosen sehr ekelhaft. Das Gebrechen aber liegt tiefer, nämlich in dem Zustand unsrer Tagespresse, und dieser ist wieder nur ein Ergebnis fatalerer Zustände. Ich muß immer darauf zurückkommen, daß es nur drei Pianisten gibt, die eine ernste Beachtung verdienen, nämlich: Chopin, der holdselige Tondichter, der aber leider auch diesen Winter sehr krank und wenig sichtbar war; dann Thalberg, der musikalische Gentleman, der am Ende gar nicht nötig hätte, Klavier zu spielen, um überall als eine schöne Erscheinung begrüßt zu werden, und der sein Talent auch wirklich nur als eine Apanage zu betrachten scheint; und dann unser Liszt, der trotz aller Verkehrtheiten und verletzenden Ecken dennoch unser teurer Liszt bleibt und in diesem Augenblick wieder die schöne Welt von Paris in Aufregung gesetzt. Ja, er ist hier, der große Agitator, unser Franz Liszt, der irrende Ritter aller möglichen Orden (mit Ausnahme der französischen Ehrenlegion, die Ludwig Philipp keinem Virtuosen geben will); er ist hier, der hohenzollern-hechingensche Hofrat, der Doktor der Philosophie und Wunderdoktor der Musik, der wiederauferstandene Rattenfänger von Hameln, der neue Faust, dem immer ein Pudel in der Gestalt Bellonis folgt, der geadelte und dennoch edle Franz Liszt! Er ist hier, der moderne Amphion, der mit den Tönen seines Saitenspiels beim Kölner Dombau die Steine in Bewegung setzte, daß sie sich zusammenfügten, wie einst die Mauern von Theben! Er ist hier, der moderne Homer, den Deutschland, Ungarn und Frankreich, die drei größten Länder, als Landeskind reklamieren, während der Sänger der »Ilias« nur von sieben kleinen Provinzialstädten in Anspruch genommen ward! Er ist hier, der Attila, die Geißel Gottes aller Érardschen Pianos, die schon bei der Nachricht seines Kommens erzitterten und die nun wieder unter seiner Hand zucken, bluten und wimmern, daß die Tierquälergesellschaft sich ihrer annehmen sollte! Er ist hier, das tolle, schöne, häßliche, rätselhafte, fatale und mitunter sehr kindische Kind seiner Zeit, der gigantische Zwerg, der rasende Roland mit dem ungarischen Ehrensäbel, der geniale Hans Narr, dessen Wahnsinn uns selber den Sinn verwirrt und dem wir in jedem Fall den loyalen Dienst erweisen, daß wir die große Furore, die er hier erregt, zur öffentlichen Kunde bringen. Wir konstatieren unumwunden die Tatsache des ungeheuern Sukzeß; wie wir diese Tatsache nach unserm Privatbedünken ausdeuten und ob wir überhaupt unsern Privatbeifall dem gefeierten Virtuosen zollen oder versagen, mag demselben gewiß gleichgültig sein, da unsre Stimme nur die eines einzelnen und unsre Autorität in der Tonkunst nicht von sonderlicher Bedeutung ist.

Wenn ich früherhin von dem Schwindel hörte, der in Deutschland und namentlich in Berlin ausbrach, als sich Liszt dort zeigte, zuckte ich mitleidig die Achsel und dachte: Das stille sabbatliche Deutschland will die Gelegenheit nicht versäumen, um sich ein bißchen erlaubte Bewegung zu machen, es will die schlaftrunkenen Glieder ein wenig rütteln, und meine Abderiten an der Spree kitzeln sich gern in einen gegebenen Enthusiasmus hinein, und einer deklamiert dem andern nach: »Amor, Beherrscher der Menschen und der Götter!« Es ist ihnen, dacht ich, bei dem Spektakel um den Spektakel selbst zu tun, um den Spektakel an sich, gleichviel, wie dessen Veranlassung heiße, Georg Herwegh, Franz Liszt oder Fanny Elßler; wird Herwegh verboten, so hält man sich an Liszt, der unverfänglich und unkompromittierend. So dachte ich, so erklärte ich mir die Lisztomanie, und ich nahm sie für ein Merkmal des politisch unfreien Zustandes jenseits des Rheines. Aber ich habe mich doch geirrt, und das merkte ich vorige Woche im italienischen Opernhaus, wo Liszt sein erstes Konzert gab, und zwar vor einer Versammlung, die man wohl die Blüte der hiesigen Gesellschaft nennen konnte. Jedenfalls waren es wachende Pariser, Menschen, die mit den höchsten Erscheinungen der Gegenwart vertraut, die mehr oder minder lange mitgelebt hatten das große Drama der Zeit, darunter so viele Invaliden aller Kunstgenüsse, die müdesten Männer der Tat, Frauen, die ebenfalls sehr müde, indem sie den ganzen Winter hindurch die Polka getanzt, eine Unzahl beschäftigter und blasierter Gemüter – das war wahrlich kein deutsch-sentimentales, berlinisch anempfindelndes Publikum, vor welchem Liszt spielte, ganz allein, oder vielmehr nur begleitet von seinem Genius. Und dennoch, wie gewaltig, wie erschütternd wirkte schon seine bloße Erscheinung! Wie ungestüm war der Beifall, der ihm entgegenklatschte! Auch Buketts wurden ihm zu Füßen geworfen! Es war ein erhabener Anblick, wie der Triumphator mit Seelenruhe die Blumensträuße auf sich regnen ließ und endlich, graziöse lächelnd, eine rote Kamelia, die er aus einem solchen Bukett hervorzog, an seine Brust steckte. Und dieses tat er in Gegenwart einiger jungen Soldaten, die eben aus Afrika gekommen, wo sie keine Blumen, sondern bleierne Kugeln auf sich regnen sahen und ihre Brust mit den roten Kamelias des eignen Heldenbluts geziert ward, ohne daß man hier oder dort davon besonders Notiz nahm! Sonderbar! dachte ich, diese Pariser, die den Napoleon gesehen, der eine Schlacht nach der andern liefern mußte, um ihre Aufmerksamkeit zu fesseln, diese jubeln jetzt unserm Franz Liszt! Und welcher Jubel! Eine wahre Verrücktheit, wie sie unerhört in den Annalen der Furore! Was ist aber der Grund dieser Erscheinung? Die Lösung der Frage gehört vielleicht eher in die Pathologie als in die Ästhetik. Ein Arzt, dessen Spezialität weibliche Krankheiten sind und den ich über den Zauber befragte, den unser Liszt auf sein Publikum ausübt, lächelte äußerst sonderbar und sprach dabei allerlei von Magnetismus, Galvanismus, Elektrizität, von der Kontagion in einem schwülen, mit unzähligen Wachskerzen und einigen hundert parfümierten und schwitzenden Menschen angefüllten Saale, von Histrionalepilepsis, von dem Phänomen des Kitzelns, von musikalischen Kanthariden und andern skabrosen Dingen, welche, glaub ich, Bezug haben auf die Mysterien der Bona Dea. Vielleicht aber liegt die Lösung der Frage nicht so abenteuerlich tief, sondern auf einer sehr prosaischen Oberfläche. Es will mich manchmal bedünken, die ganze Hexerei ließe sich dadurch erklären, daß niemand auf dieser Welt seine Sukzesse oder vielmehr die mise en scène derselben so gut zu organisieren weiß wie unser Franz Liszt. In dieser Kunst ist er ein Genie, ein Philadelphia, ein Bosco, ja ein Meyerbeer. Die vornehmsten Personen dienen ihm als Compères, und seine Mietenthusiasten sind musterhaft dressiert. Knallende Champagnerflaschen und der Ruf von verschwenderischer Freigebigkeit, ausposaunt durch die glaubwürdigsten Journale, lockt Rekruten in jeder Stadt. Nichtsdestoweniger mag es der Fall sein, daß unser Franz Liszt wirklich von Natur sehr spendabel und frei wäre von Geldgeiz, einem schäbigen Laster, das so vielen Virtuosen anklebt, namentlich den Italienern, und das wir sogar bei dem flötensüßen Rubini finden, von dessen Filz eine in jeder Beziehung sehr spaßhafte Anekdote erzählt wird. Der berühmte Sänger hatte nämlich in Verbindung mit Franz Liszt eine Kunstreise auf gemeinschaftliche Kosten unternommen, und der Profit der Konzerte, die man in verschiedenen Städten geben wollte, sollte geteilt werden. Der große Pianist, der überall den Generalintendanten seiner Berühmtheit, den schon erwähnten Signor Belloni, mit sich herumfahrt, übertrug demselben bei dieser Gelegenheit alles Geschäftliche. Als der Signor Belloni aber nach beendigter Geschäftsführung seine Rechnung eingab, bemerkte Rubini mit Entsetzen, daß unter den gemeinsamen Ausgaben auch eine bedeutende Summe für Lorbeerkränze, Blumenbuketts, Lobgedichte und sonstige Ovationskosten angesetzt war. Der naive Sänger hatte sich eingebildet, daß man ihm seiner schönen Stimme wegen solche Beifallszeichen zugeschmissen, er geriet jetzt in großen Zorn und wollte durchaus nicht die Buketts bezahlen, worin sich vielleicht die kostbarsten Kamelias befanden. Wär ich ein Musiker, dieser Zwist böte mir das beste Sujet einer komischen Oper.

Aber ach! laßt uns die Huldigungen, welche die berühmten Virtuosen einernten, nicht allzu genau untersuchen. Ist doch der Tag ihrer eitlen Berühmtheit sehr kurz, und die Stunde schlägt bald, wo der Titane der Tonkunst vielleicht zu einem Stadtmusikus von sehr untergesetzter Statur zusammenschrumpft, der in seinem Kaffeehause den Stammgästen erzählt und auf seine Ehre versichert, wie man ihm einst Blumenbuketts mit den schönsten Kamelias zugeschleudert und wie sogar einmal zwei ungarische Gräfinnen, um sein Schnupftuch zu erhaschen, sich selbst zur Erde geschmissen und blutig gerauft haben! Die Eintagsreputation der Virtuosen verdünstet und verhallt, öde, spurlos, wie der Wind eines Kameles in der Wüste.

Der Übergang vom Löwen zum Kaninchen ist etwas schroff. Dennoch darf ich hier jene zahmeren Klavierspieler nicht unbeachtet lassen, die in der diesjährigen Saison sich ausgezeichnet. Wir können nicht alle große Propheten sein, und es muß auch kleine Propheten geben, wovon zwölf auf ein Dutzend gehen. Als den größten unter den Kleinen nennen wir hier Theodor Döhler. Sein Spiel ist nett, hübsch, artig, empfindsam, und er hat eine ganz eigentümliche Manier, mit der waagerecht ausgestreckten Hand bloß durch die gebogenen Fingerspitzen die Tasten anzuschlagen. Nach Döhler verdient Halle unter den kleinen Propheten eine besondere Erwähnung; er ist ein Habakuk von ebenso bescheidenem wie wahrem Verdienst. Ich kann nicht umhin, hier auch des Herrn Schad zu erwähnen, der unter den Klavierspielern vielleicht denselben Rang einnimmt, den wir dem Jonas unter den Propheten einräumen; möge ihn nie ein Walfisch verschlucken!

Als gewissenhafter Berichterstatter, der nicht bloß von neuen Opern und Konzerten, sondern auch von allen andern Katastrophen der musikalischen Welt zu berichten hat, muß ich auch von den vielen Verheiratungen reden, die darin zum Ausbruch gekommen oder auszubrechen drohen. Ich rede von wirklichen, lebenslänglichen, höchst anständigen Heiraten, nicht von dem wilden Ehedilettantismus, der des Maires mit der dreifarbigen Schärpe und des Segens der Kirche entbehrt. Chacun sucht jetzt seine Chacune. Die Herrn Künstler tänzeln einher auf Freiersfüßen und trällern Hymenäen. Die Violine verschwägert sich mit der Flöte; die Hornmusik wird nicht ausbleiben. Einer der drei berühmtesten Pianisten vermählte sich unlängst mit der Tochter des in jeder Hinsicht größten Bassisten der Italienischen Oper; die Dame ist schön, anmutig und geistreich. Vor einigen Tagen erfuhren wir, daß noch ein anderer ausgezeichneter Pianist aus Warschau in den heiligen Ehestand trete, daß auch er sich hinauswage auf jenes hohe Meer, für welches noch kein Kompaß erfunden worden. Immerhin, kühner Segler, stoß ab vom Lande, und möge kein Sturm dein Ruder brechen! Jetzt heißt es sogar, daß der größte Violinist, den Breslau nach Paris geschickt, sich hier verheiratet, daß auch dieser Fiedelkundige seines ruhigen Junggesellentums überdrüssig geworden und das furchtbare, unbekannte Jenseits versuchen wolle. Wir leben in einer heldenmütigen Periode. Dieser Tage verlobte sich ein ebenfalls berühmter Virtuos. Er hat wie Theseus eine schöne Ariadne gefunden, die ihn durch das Labyrinth dieses Lebens leiten wird; an einem Garnknäuel fehlt es ihr nicht, denn sie ist eine Nähterin.

Die Violinisten sind in Amerika, und wir erhielten die ergötzlichsten Nachrichten über die Triumphzüge von Ole Bull, dem Lafayette des Puffs, dem Reklamenheld beider Welten. Der Entrepreneur seiner Sukzesse ließ ihn zu Philadelphia arretieren, um ihn zu zwingen, die in Rechnung gestellten Ovationskosten zu berichtigen. Der Gefeierte zahlte, und man kann jetzt nicht mehr sagen, daß der blonde Normanne, der geniale Geiger, seinen Ruhm jemandem schuldig sei. Hier in Paris hörten wir unterdessen den Sivori; Porzia würde sagen: »Da ihn der liebe Gott für einen Mann ausgibt, so will ich ihn dafür nehmen.« Ein andermal überwinde ich vielleicht mein Mißbehagen, um über dieses geigende Brechpulver zu referieren. Alexander Batta hat auch dieses Jahr ein schönes Konzert gegeben; er weint noch immer auf dem großen Violoncello seine kleinen Kindertränen. Bei dieser Gelegenheit könnte ich auch Herrn Semmelmann loben; er hat es nötig.

Ernst war hier. Der wollte aber aus Laune kein Konzert geben; er gefällt sich darin, bloß bei Freunden zu spielen. Dieser Künstler wird hier geliebt und geachtet. Er verdient es. Er ist der wahre Nachfolger Paganinis, er erbte die bezaubernde Geige, womit der Genueser die Steine, ja sogar die Klötze zu rühren wußte. Paganini, der uns mit leisem Bogenstrich jetzt zu den sonnigsten Höhen führte, jetzt in grauenvolle Tiefen blicken ließ, besaß freilich eine weit dämonischere Kraft; aber seine Schatten und Lichter waren mitunter zu grell, die Kontraste zu schneidend, und seine grandiosesten Naturlaute mußten oft als künstlerische Mißgriffe betrachtet werden. Ernst ist harmonischer, und die weichen Tinten sind bei ihm vorherrschend. Dennoch hat er eine Vorliebe für das Phantastische, auch für das Barocke, wo nicht gar für das Skurrile, und viele seiner Kompositionen erinnern mich immer an die Märchenkomödien des Gozzi, an die abenteuerlichsten Maskenspiele, an »Venezianischen Karneval«. Das Musikstück, das unter diesem Namen bekannt ist und unverschämterweise von Sivori gekapert ward, ist ein allerliebstes Capriccio von Ernst. Dieser Liebhaber des Phantastischen kann, wenn er will, auch rein poetisch sein, und ich habe jüngst eine Nocturne von ihm gehört, die wie aufgelöst war in Schönheit. Man glaubte sich entrückt in eine italienische Mondnacht, mit stillen Zypressenalleen, schimmernd weißen Statuen und träumerisch plätschernden Springbrunnen. Ernst hat, wie bekannt ist, in Hannover seine Entlassung genommen und ist nicht mehr königlich hannoverscher Konzertmeister. Das war auch kein passender Platz für ihn. Er wäre weit eher geeignet, am Hofe irgendeiner Feenkönigin, wie z.B. der Frau Morgane, die Kammermusik zu leiten; hier fände er ein Auditorium, das ihn am besten verstünde, und darunter manche hohe Herrschaften, die ebenso kunstsinnig wie fabelhaft, z.B. den König Artus, Dietrich von Bern, Ogier den Dänen u.a. Und welche Damen würden ihm hier applaudieren! Die blonden Hannoveranerinnen mögen gewiß hübsch sein, aber sie sind doch nur Heidschnucken in Vergleichung mit einer Fee Melior, mit der Dame Abonde, mit der Königin Genoveva, der schönen Melusine und andern berühmten Frauenspersonen, die sich am Hofe der Königin Morgane in Avalun aufhalten. An diesem Hofe (an keinem andern) hoffen wir einst dem vortrefflichen Künstler zu begegnen, denn auch uns hat man dort eine vorteilhafte Anstellung versprochen.



Zweiter Bericht

Paris, 1. Mai 1844


Die Académie royale de musique, die sogenannte Große Oper, befindet sich bekanntlich in der Rue Lepelletier, ungefähr in der Mitte, der Restauration von Paolo Broggi gerade gegenüber. Broggi ist der Name eines Italieners, der einst der Koch von Rossini war. Als letzterer voriges Jahr nach Paris kam, besuchte er auch die Trattoria seines ehemaligen Dieners, und nachdem er dort gespeist, blieb er vor der Türe lange Zeit stehen, in tiefem Nachdenken das Große-Opern- Gebäude betrachtend. Eine Träne trat in sein Auge, und als jemand ihn frug, weshalb er so wehmütig bewegt erscheine, gab der große Maestro zur Antwort: Paolo habe ihm sein Leibgericht, Ravioli mit Parmesankäse, zubereitet wie ehemals, aber er sei nicht imstande gewesen, die Hälfte der Portion zu verzehren, und auch diese drücke ihn jetzt; er, der ehemals den Magen eines Straußes besessen, könne heutzutage kaum soviel vertragen wie eine verliebte Turteltaube.

Wir lassen dahingestellt sein, inwieweit der alte Spottvogel seinen indiskreten Frager mystifiziert hat, und begnügen uns heute, jedem Musikfreunde zu raten, bei Broggi eine Portion Ravioli zu essen und nachher, ebenfalls einen Augenblick vor der Türe der Restauration verweilend, das Haus der Großen Oper zu betrachten. Es zeichnet sich nicht aus durch brillanten Luxus, es hat vielmehr das Äußere eines sehr anständigen Pferdestalles, und das Dach ist platt. Auf diesem Dach stehen acht große Statuen, welche Musen vorstellen. Eine neunte fehlt, und ach! das ist eben die Muse der Musik. Über die Abwesenheit dieser sehr achtungswerten Muse sind die sonderbarsten Auslegungen im Schwange. Prosaische Leute sagen, ein Sturmwind habe sie vom Dache heruntergeworfen. Poetischere Gemüter behaupten dagegen, die arme Polyhymnia habe sich selbst hinabgestürzt, in einem Anfall von Verzweiflung über das miserable Singen von Monsieur Duprez. Das ist immer möglich; die zerbrochene Glasstimme von Duprez ist so mißtönend geworden, daß es kein Mensch, viel weniger eine Muse, aushalten kann, dergleichen anzuhören. Wenn das noch länger dauert, werden auch die andern Töchter der Mnemosyne sich vom Dach stürzen, und es wird bald gefährlich sein, des Abends über die Rue Lepelletier zu gehen. Von der schlechten Musik, die hier in der Großen Oper seit einiger Zeit grassiert, will ich gar nicht reden. Donizetti ist in diesem Augenblick noch der Beste, der Achilles. Man kann sich also leicht eine Vorstellung machen von den geringern Heroen. Wie ich höre, hat auch jener Achilles sich in sein Zelt zurückgezogen; er boudiert, Gott weiß warum!, und er ließ der Direktion melden, daß er die versprochenen fünfundzwanzig Opern nicht liefern werde, da er gesonnen sei, sich auszuruhen. Welche Prahlerei! Wenn eine Windmühle dergleichen sagte, würden wir nicht weniger lachen. Entweder hat sie Wind und dreht sich, oder sie hat keinen Wind und steht still. Herr Donizetti hat aber hier einen rührigen Vetter, Signor Accursi, der beständig für ihn Wind macht.

Der jüngste Kunstgenuß, den uns die Académie de musique gegeben, ist »Der Lazzarone« von Halévy. Dieses Werk hat ein trauriges Schicksal gehabt; es fiel durch mit Pauken und Trompeten. Über den Wert enthalte ich mich jeder Äußerung; ich konstatiere bloß sein schreckliches Ende.

Jedesmal, wenn in der Académie de musique oder bei den Buffos eine Oper durchfällt oder sonst ein ausgezeichnetes Fiasko gemacht wird, bemerkt man dort eine unheimliche hagere Figur mit blassem Gesicht und kohlschwarzen Haaren, eine Art männlicher Ahnfrau, deren Erscheinung immer ein musikalisches Unglück bedeutet. Die Italiener, sobald sie derselben ansichtig, strecken hastig den Zeige- und Mittelfinger aus und sagen, das sei der Jettatore. Die leichtsinnigen Franzosen aber, die nicht einmal einen Aberglauben haben, zucken bloß die Achsel und nennen jene Gestalt Monsieur Spontini. Es ist in der Tat unser ehemaliger Generaldirektor der Berliner Großen Oper, der Komponist der »Vestalin« und des »Ferdinand Cortez«, zweier Prachtwerke, die noch lange fortblühen werden im Gedächtnisse der Menschen, die man noch lange bewundern wird, während der Verfasser selbst alle Bewunderung eingebüßt und nur noch ein welkes Gespenst ist, das neidisch umherspukt und sich ärgert über das Leben der Lebendigen. Er kann sich nicht darüber trösten, daß er längst tot ist und sein Herrscherstab übergegangen in die Hände Meyerbeers. Dieser, behauptet der Verstorbene, habe ihn verdrängt aus seinem Berlin, das er immer so sehr geliebt; und wer aus Mitleid für ehemalige Größe die Geduld hat, ihn anzuhören, kann haarklein erfahren, wie er schon unzählige Aktenstücke gesammelt, um die Meyerbeerschen Verschwörungsintrigen zu enthüllen.

Die fixe Idee des armen Mannes ist und bleibt Meyerbeer, und man erzählt die ergötzlichsten Geschichten, wie die Animosität sich immer durch eine zu große Beimischung von Eitelkeit unschädlich erweist. Klagt irgendein Schriftsteller über Meyerbeer, daß dieser z.B. die Gedichte, die er ihm schon seit Jahren zugeschickt, noch immer nicht komponiert habe, dann ergreift Spontini hastig die Hand des verletzten Poeten und ruft: »J'ai votre affaire, ich weiß das Mittel, wie Sie sich an Meyerbeer rächen können, es ist ein untrügliches Mittel, und es besteht darin, daß Sie über mich einen großen Artikel schreiben, und je höher Sie meine Verdienste würdigen, desto mehr ärgert sich Meyerbeer.« Ein andermal ist ein französischer Minister ungehalten über den Verfasser der »Hugenotten«, der trotz der Urbanität, womit man ihn hier behandelt hat, dennoch in Berlin eine servile Hofcharge übernommen, und unser Spontini springt freudig an den Minister hinan und ruft: »J'ai votre affaire, Sie können den Undankbaren aufs härteste bestrafen, Sie können ihm einen Dolchstich versetzen, und zwar, indem Sie mich zum Großoffizier der Ehrenlegion ernennen.« Jüngst findet Spontini den armen Léon Pillet, den unglücklichen Direktor der Großen Oper, in der wütendsten Aufregung gegen Meyerbeer, der ihm durch M. Gouin an zeigen ließ, daß er wegen des schlechten Singpersonals den »Propheten« noch nicht geben wolle. Wie funkelten da die Augen des Italieners! »J'ai votre affaire«, rief er entzückt, »ich will Ihnen einen göttlichen Rat geben, wie Sie den Ehrgeizling zu Tode demütigen: lassen Sie mich in Lebensgröße meißeln, setzen Sie meine Statue ins Foyer der Oper, und dieser Marmorblock wird dem Meyerbeer wie ein Alp das Herz zerdrücken.« Der Gemütszustand Spontinis beginnt nachgerade seine Angehörigen, namentlich die Familie des reichen Pianofabrikanten Érard, womit er durch seine Gattin verschwägert, in große Besorgnisse zu versetzen. Jüngst fand ihn jemand in den obern Sälen des Louvre, wo die ägyptischen Antiquitäten aufgestellt. Der Ritter Spontini stand wie eine Bildsäule mit verschlungenen Armen fast eine Stunde lang vor einer großen Mumie, deren prächtige Goldlarve einen König ankündigt, der kein Geringerer sein soll als jener Amenophes, unter dessen Regierung die Kinder Israel das Land Ägypten verlassen haben. Aber Spontini brach am Ende sein Schweigen und sprach folgendermaßen zu seiner erlauchten Mitmumie: »Unseliger Pharao! du bist an meinem Unglück schuld. Ließest du die Kinder Israel nicht aus dem Lande Ägypten fortziehen oder hättest du sie sämtlich im Nil ersäufen lassen, so wäre ich nicht durch Meyerbeer und Mendelssohn aus Berlin verdrängt worden, und ich dirigierte dort noch immer die Große Oper und die Hofkonzerte. Unseliger Pharao, schwacher Krokodilenkönig, durch deine halben Maßregeln geschah es, daß ich jetzt ein zugrunde gerichteter Mann bin – und Moses und Halévy und Mendelssohn und Meyerbeer haben gesiegt!« Solche Reden hält der unglückliche Mann, und wir können ihm unser Mitleid nicht versagen.

Was Meyerbeer betrifft, so wird, wie oben angedeutet, sein »Prophet« noch lange Zeit ausbleiben. Er selbst aber wird nicht, wie die Zeitungen jüngst meldeten, für immer in Berlin seinen Aufenthalt nehmen. Er wird wie bisher abwechselnd die eine Hälfte des Jahres hier in Paris und die andere in Berlin zubringen, wozu er sich förmlich verpflichtet hat. Seine Lage erinnert so ziemlich an Proserpina, nur daß der arme Maestro hier wie dort seine Hölle und seine Höllenqual findet. Wir erwarten ihn noch diesen Sommer hier, in der schönen Unterwelt, wo schon einige Schock musikalischer Teufel und Teufelinnen seiner harren, um ihm die Ohren vollzuheulen. Von morgens bis abends muß er Sänger und Sängerinnen anhören, die hier debütieren wollen, und in seinen Freistunden beschäftigen ihn die Albums reisender Engländerinnen.

An Debütanten war diesen Winter in der Großen Oper kein Mangel. Ein deutscher Landsmann debütierte als Marcel in den »Hugenotten«. Er war vielleicht in Deutschland nur ein Grobian mit einer brummigen Bierstimme und glaubte deshalb in Paris als Bassist auftreten zu können. Der Kerl schrie wie ein Waldesel. Auch eine Dame, die ich im Verdacht habe, eine Deutsche zu sein, produzierte sich auf den Brettern der Rue Lepelletier. Sie soll außerordentlich tugendhaft sein und singt sehr falsch. Man behauptet, nicht bloß der Gesang, sondern alles an ihr, die Haare, zwei Drittel ihrer Zähne, die Hüften, der Hinterteil, alles sei falsch, nur ihr Atem sei echt; die frivolen Franzosen werden dadurch gezwungen sein, sich ehrfurchtsvoll entfernt von ihr zu halten. Unsre Primadonna, Madame Stoltz, wird sich nicht länger behaupten können; der Boden ist unterminiert, und obgleich ihr als Weib alle Geschlechtslist zu Gebote steht, wird sie doch am Ende von dem großen Giacomo Machiavelli überwunden, der die Viardot-Garcia an ihrer Stelle engagiert sehen möchte, um die Hauptrolle in seinem »Propheten« zu singen. Madame Stoltz sieht ihr Schicksal voraus, sie ahnt, daß selbst die Affenliebe, die ihr der Direktor der Oper widmet, ihr nichts helfen kann, wenn der große Meister der Tonkunst seine Künste spielen läßt; und sie hat beschlossen, freiwillig Paris zu verlassen, nie wieder zurückzukehren und in fremden Landen ihr Leben zu beschließen. »Ingrata patria«, sagte sie jüngst, »ne ossa quidem mea habebis.« In der Tat, seit einiger Zeit besteht sie wirklich nur noch aus Haut und Knochen.

Bei den Italienern, in der Opera buffa, gab es vorigen Winter ebenso brillante Fiaskos wie in der Großen Oper. Auch über die Sänger wurde dort viel geklagt, mit dem Unterschied, daß die Italiener manchmal nicht singen wollten und die armen französischen Sangeshelden nicht singen konnten. Nur das kostbare Nachtigallenpaar, Signor Mario und Signora Grisi, waren immer pünktlich auf ihrem Posten in der Salle Ventadour und trillerten uns dort den blühendsten Frühling vor, während draußen Schnee und Wind und Fortepianokonzerte und Deputiertenkammerdebatten und Polkawahnsinn. Ja, das sind holdselige Nachtigallen, und die Italienische Oper ist der ewig blühende singende Wald, wohin ich oft flüchte, wenn winterlicher Trübsinn mich umnebelt oder der Lebensfrost unerträglich wird. Dort, im süßen Winkel einer etwas verdeckten Loge, wird man wieder angenehm erwärmt, und man verblutet wenigstens nicht in der Kälte. Der melodische Zauber verwandelt dort in Poesie, was eben noch täppische Wirklichkeit war, der Schmerz verliert sich in Blumenarabesken, und bald lacht wieder das Herz. Welche Wonne, wenn Mario singt und in den Augen der Grisi die Töne des geliebten Sprossers sich gleichsam abspiegeln wie ein sichtbares Echo! Welche Lust, wenn die Grisi singt und in ihrer Stimme der zärtliche Blick und das beglückte Lächeln des Mario melodisch widerhallt! Es ist ein liebliches Paar, und der persische Dichter, der die Nachtigall die Rose unter den Vögeln und die Rose wieder die Nachtigall unter den Blumen genannt hat, würde hier erst recht in ein Imbroglio geraten, denn jene beiden, Mario und Grisi, sind nicht bloß durch Gesang, sondern auch durch Schönheit ausgezeichnet.

Ungern, trotz jenem reizenden Paar, vermissen wir hier bei den Buffos Pauline Viardot oder, wie wir sie lieber nennen, die Garcia. Sie ist nicht ersetzt, und niemand kann sie ersetzen. Diese ist keine Nachtigall, die bloß ein Gattungstalent hat und das Frühlingsgenre vortrefflich schluchzt und trillert; – sie ist auch keine Rose, denn sie ist häßlich, aber von einer Art Häßlichkeit, die edel, ich möchte fast sagen schön ist und die den großen Löwenmaler Lacroix manchmal bis zur Begeisterung entzückte! In der Tat, die Garcia mahnt weniger an die zivilisierte Schönheit und zahme Grazie unsrer europäischen Heimat als vielmehr an die schauerliche Pracht einer exotischen Wildnis, und in manchen Momenten ihres passionierten Vortrags, zumal, wenn sie den großen Mund mit den blendend weißen Zähnen überweit öffnet und so grausam süß und anmutig fletschend lächelt: dann wird einem zumute, als müßten jetzt auch die ungeheuerlichen Vegetationen und Tiergattungen Hindostans oder Afrikas zum Vorschein kommen; – man meint, jetzt müßten auch Riesenpalmen, umrankt von tausendblumigen Lianen, emporschießen; – und man würde sich nicht wundern, wenn plötzlich ein Leoparde oder eine Giraffe oder sogar ein Rudel Elefantenkälber über die Szene liefen. Wir hören mit großem Vergnügen, daß diese Sängerin wieder auf dem Wege nach Paris ist.

Während die Académie de musique aufs jammervollste darniederlag und die Italiener sich ebenfalls betrübsam hinschleppten, erhob sich die dritte lyrische Szene, die Opéra comique, zu ihrer fröhlichsten Höhe. Hier überflügelte ein Erfolg den andern, und die Kasse hatte immer einen guten Klang. Ja, es wurde noch mehr Geld als Lorbeeren eingeerntet, was gewiß für die Direktion kein Unglück gewesen. Die Texte der neuen Opern, die sie gab, waren immer von Scribe, dem Manne, der einst das große Wort aussprach: »Das Gold ist eine Schimäre!« und der dennoch dieser Schimäre beständig nachläuft. Er ist der Mann des Geldes, des klingenden Realismus, der sich nie versteigt in die Romantik einer unfruchtbaren Wolkenwelt und sich festklammert an der irdischen Wirklichkeit der Vernunftheirat, des industriellen Bürgertums und der Tantieme. Einen ungeheuren Beifall findet Scribes neue Oper »Die Sirene«, wozu Auber die Musik geschrieben. Autor und Komponist passen ganz füreinander: sie haben den raffiniertesten Sinn für das Interessante, sie wissen uns angenehm zu unterhalten, sie entzücken und blenden uns sogar durch die glänzenden Facetten ihres Esprits, sie besitzen ein gewisses Filigrantalent der Verknüpfung allerliebster Kleinigkeiten, und man vergißt bei ihnen, daß es eine Poesie gibt. Sie sind eine Art Kunstloretten, welche alle Gespenstergeschichten der Vergangenheit aus unsrer Erinnerung fortlächeln und mit ihrem koketten Getändel wie mit Pfauenfächern die sumsenden Zukunftgedanken, die unsichtbaren Mücken, von uns abwedeln. Zu dieser harmlos buhlerischen Gattung gehört auch Adam, der mit seinem »Cagliostro« ebenfalls in der Opéra comique sehr leichtfertige Lorbeeren eingeerntet. Adam ist eine liebenswürdige, erfreuliche Erscheinung und ein Talent, welches noch großer Entwicklung fähig ist. Eine rühmliche Erwähnung verdient auch Thomas, dessen Operette »Mina« viel Glück gemacht.

Alle diese Triumphe übertraf jedoch die Vogue des »Deserteurs«, einer alten Oper von Monsigny, welche die Opéra comique aus den Kartons der Vergessenheit hervorzog. Hier ist echt französische Musik, die heiterste Grazie, eine harmlose Süße, eine Frische wie der Duft von Waldblumen, Naturwahrheit, sogar Poesie. Ja, letztere fehlt nicht, aber es ist eine Poesie ohne Schauer der Unendlichkeit, ohne geheimnisvollen Zauber, ohne Wehmut, ohne Ironie, ohne Morbidezza, ich möchte fast sagen eine elegant bäurische Poesie der Gesundheit. Die Oper von Monsigny mahnte mich unmittelbar an seinen Zeitgenossen, den Maler Greuze: ich sah hier wie leibhaftig die ländlichen Szenen, die dieser gemalt, und ich glaubte gleichsam die Musikstücke zu vernehmen, die dazu gehörten. Bei der Anhörung jener Oper ward es mir ganz deutlich, wie die bildenden und die rezitierenden Künste derselben Periode immer einen und denselben Geist atmen und ihre Meisterwerke die intimste Wahlverwandtschaft beurkunden.

Ich kann diesen Bericht nicht schließen, ohne zu bemerken, daß die musikalische Saison noch nicht zu Ende ist und dieses Jahr gegen alle Gewohnheit bis in den Mai fortklingt. Die bedeutendsten Bälle und Konzerte werden in diesem Augenblick gegeben, und die Polka wetteifert noch mit dem Piano. Ohren und Füße sind müde, aber können sich doch noch nicht zur Ruhe begeben. Der Lenz, der sich diesmal so früh eingestellt, macht Fiasko, man bemerkt kaum das grüne Laub und die Sonnenlichter. Die Ärzte, vielleicht ganz besonders die Irrenärzte, werden bald viel Beschäftigung gewinnen. In diesem bunten Taumel, in dieser Genußwut, in diesem singenden, springenden Strudel lauert Tod und Wahnsinn. Die Hämmer der Pianoforte wirken fürchterlich auf unsre Nerven, und die große Drehkrankheit, die Polka, gibt uns den Gnadenstoß.



Spätere Notiz

Den vorstehenden Mitteilungen füge ich aus melancholischer Grille die folgenden Blätter hinzu, die dem Sommer 1847 angehören und meine letzte musikalische Berichterstattung bilden. Für mich hat alle Musik seitdem aufgehört, und ich ahnte nicht, als ich das Leidensbild Donizettis krayonnierte, daß eine ähnliche und weit schmerzlichere Heimsuchung mir nahete. Die kurze Kunstnotiz lautet wie folgt:

Seit Gustav Adolf, glorreichen Andenkens, hat keine schwedische Reputation soviel Lärm in der Welt gemacht wie Jenny Lind. Die Nachrichten, die uns darüber aus England zukommen, grenzen ans Unglaubliche. In den Zeitungen klingen nur Posaunenstöße, Fanfaren des Triumphes; wir hören nur Pindarsche Lobgesänge. Ein Freund erzählte mir von einer englischen Stadt, wo alle Glocken geläutet wurden, als die schwedische Nachtigall dort ihren Einzug hielt; der dortige Bischof feierte dieses Ereignis durch eine merkwürdige Predigt. In seinem anglikanischen Episkopalkostüme, welches der Leichenbittertracht eines Chef des pompes funèbres nicht unähnlich, bestieg er die Kanzel der Hauptkirche und begrüßte die Neuangekommene als einen Heiland in Weibskleidern, als eine Frau Erlöserin, die vom Himmel herabgestiegen, um unsre Seelen durch ihren Gesang von der Sünde zu befreien, während die andern Cantatricen ebenso viele Teufelinnen seien, die uns hineintrillern in den Rachen des Satanas. Die Italienerinnen Grisi und Persiani müssen vor Neid und Ärger jetzt gelb werden wie Kanarienvögel, während unsre Jenny, die schwedische Nachtigall, von einem Triumph zum andern flattert. Ich sage unsre Jenny, denn im Grunde repräsentiert die schwedische Nachtigall nicht exklusive das kleine Schweden, sondern sie repräsentiert die ganze germanische Stammesgenossenschaft, die der Zimbern ebensosehr wie die der Teutonen, sie ist auch eine Deutsche, ebensogut wie ihre naturwüchsigen und pflanzenschläfrigen Schwestern an der Elbe und am Neckar, sie gehört Deutschland, wie, der Versicherung des Franz Horn gemäß, auch Shakespeare uns angehört und wie gleicherweise Spinoza, seinem innersten Wesen nach, nur ein Deutscher sein kann – und mit Stolz nennen wir Jenny Lind die Unsre! Juble, Uckermark, auch du hast teil an diesem Ruhme! Springe, Maßmann, deine vaterländisch freudigsten Sprünge, denn unsre Jenny spricht kein römisches Rotwelsch, sondern gotisch, skandinavisch, das deutscheste Deutsch, und du kannst sie als Landsmännin begrüßen; nur mußt du dich waschen, ehe du ihr deine deutsche Hand reichst. Ja, Jenny Lind ist eine Deutsche, schon der Name Lind mahnt an Linden, die grünen Muhmen der deutschen Eichen, sie hat keine schwarzen Haare wie die welschen Primadonnen, in ihren blauen Augen schwimmt nordisches Gemüt und Mondschein, und in ihrer Kehle tönt die reinste Jungfräulichkeit! Das ist es. »Maidenhood is in her voice« – das sagten alle old spinsters von London, alle prüden ladies und frommen gentlemen sprachen es augenverdrehend nach, die noch lebende mauvaise queue von Richardson stimmte ein, und ganz Großbritannien feierte in Jenny Lind das singende Magdtum, die gesungene Jungferschaft. Wir wollen es gestehen, dieses ist der Schlüssel der unbegreiflichen, rätselhaft großen Begeisterung, die Jenny in England gefunden und, unter uns gesagt, auch gut auszubeuten weiß. Sie singe nur, hieß es, um das weltliche Singen recht bald wieder aufgeben zu können und, versehen mit der nötigen Aussteuersumme, einen jungen protestantischen Geistlichen, den Pastör Swenske, zu heiraten, der unterdessen ihrer harre daheim in seinem idyllischen Pfarrhaus hinter Upsala, links um die Ecke. Seitdem freilich will verlauten, als ob der junge Pastör Swenske nur ein Mythos und der wirkliche Verlobte der hohen Jungfrau ein alter abgestandener Komödiant der Stockholmer Bühne sei – aber das ist gewiß Verleumdung. Der Keuschheitssinn dieser Primadonna immaculata offenbart sich am schönsten in ihrem Abscheu vor Paris, dem modernen Sodom, den sie bei jeder Gelegenheit ausspricht, zur höchsten Erbauung aller Dames patronesses der Sittlichkeit jenseits des Kanals. Jenny hat aufs bestimmteste gelobt, nie auf den Lasterbrettern der Rue Lepelletier ihre singende Jungferschaft dem französischen Publiko preiszugeben; sie hat alle Anträge, welche ihr Herr Léon Pillet durch seine Kunstruffiani machen ließ, streng abgelehnt. Diese rauhe Tugend macht mich stutzen – wurde der alte Paulet sagen. Ist etwa die Volkssage gegründet, daß die heutige Nachtigall in frühern Jahren schon einmal in Paris gewesen und im hiesigen sündhaften Conservatoire Musikunterricht genossen habe, wie andre Singvögel, welche seitdem sehr lockere Zeisige geworden sind? Oder fürchtet Jenny jene frivole Pariser Kritik, die bei einer Sängerin nicht die Sitten, sondern nur die Stimme kritisiert und Mangel an Schule für das größte Laster hält? Dem sei, wie ihm wolle, unsre Jenny kommt nicht hierher und wird die Franzosen nicht aus ihrem Sündenpfuhl heraussingen. Sie bleiben verfallen der ewigen Verdammnis.

Hier in der Pariser musikalischen Welt ist alles beim alten; in der Académie royale de musique ist noch immer grauer, feuchtkalter Winter, während draußen Maisonne und Veilchenduft. Im Vestibül steht noch immer wehmütig trauernd die Bildsäule des göttlichen Rossini; er schweigt. Es macht Herrn Léon Pillet Ehre, daß er diesem wahren Genius schon bei Lebzeiten eine Statue gesetzt. Nichts ist possierlicher, als die Grimasse zu sehen, womit Scheelsucht und Neid sie betrachten. Wenn Signor Spontini dort vorbeigeht, stößt er sich jedesmal an diesem Steine. Da ist unser großer Maestro Meyerbeer viel klüger, und wenn er des Abends in die Oper ging, wußte er jenem Marmor des Anstoßes immer vorsichtig auszuweichen, er suchte sogar den Anblick desselben zu vermeiden; in derselben Weise pflegen die Juden zu Rom, selbst auf ihren eiligsten Geschäftsgängen, immer einen großen Umweg zu machen, um nicht jenem fatalen Triumphbogen des Titus vorbeizukommen, der zum Gedächtnis des Untergangs von Jerusalem errichtet worden. Über Donizettis Zustand werden die Berichte täglich trauriger. Während seine Melodien freudegaukelnd die Welt erheitern, während man ihn überall singt und trillert, sitzt er selbst, ein entsetzliches Bild des Blödsinns, in einem Krankenhause bei Paris. Nur für seine Toilette hatte er vor einiger Zeit noch ein kindisches Bewußtsein bewahrt, und man mußte ihn täglich sorgfältig anziehen, in vollständiger Gala, der Frack geschmückt mit allen seinen Orden; so saß er bewegungslos, den Hut in der Hand, vom frühesten Morgen bis zum späten Abend. Aber das hat auch aufgehört, er erkennt niemand mehr; das ist Menschenschicksal.






© Wolfgang Fricke