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Heinrich Heine
Lutetia – Erster Teil






X

Paris, 30. Mai 1840


Toujours lui! Napoleon und wieder Napoleon! Er ist das unaufhörliche Tagesgespräch, seit der Verkündigung seiner postumen Rückkehr und gar besonders, seit die Kammer, in betreff der notwendigen Kosten, einen so kläglichen Beschluß gefaßt. Letzteres war wieder eine Unbesonnenheit, die dem Verwerfen der Nemoursschen Dotation an die Seite gesetzt werden darf. Die Kammer ist durch jenen Beschluß mit den Sympathien des französischen Volks in eine bedenkliche Opposition geraten. Gott weiß, es geschah aus Kleinmut mehr denn aus Böswilligkeit. Die Majorität in der Kammer war im Anfang für die Translation der Napoleonischen Asche ebenso begeistert wie das übrige Volk; aber allmählich kam sie zu einer entgegengesetzten Besinnung, als sie die eventuellen Gefahren berechnete und als sie jenes bedrohliche Jauchzen der Bonapartisten vernahm, das in der Tat nicht sehr beruhigend klang. Jetzt lieh man auch den Feinden des Kaisers ein geneigteres Ohr, und sowohl die eigentlichen Legitimisten als auch die Royalisten von der laxen Observanz benutzten diese Mißstimmung, indem sie gegen Napoleon mit ihrer alten eingewurzelten Erbitterung mehr oder minder geschickt hervortraten. So gab uns namentlich die »Gazette de France« eine Blumenlese von Schmähungen gegen Napoleon, nämlich Auszüge aus den Werken Chateaubriands, der Frau von Staël, Benjamin Constants usw. Unsereiner, der in Deutschland an derbere Kost gewöhnt, mußte darüber lächeln. Es wäre ergötzlich, wenn man, das Feine durch das Rohe parodierend, neben jenen französischen Exzerpten ebenso viele Parallelstellen setzte von deutschen Autoren aus der grobtümlichen Periode. Der »Vater Jahn« führte eine Mistgabel, womit er auf den Korsen weit wütender zustach als so ein Chateaubriand mit seinem leichten und funkelnden Galanteriedegen. Chateaubriand und Vater Jahn! Welche Kontraste und doch welche Ähnlichkeit!

War aber Chateaubriand sehr parteiisch in seiner Beurteilung des Kaisers, so war es letzterer noch viel mehr durch die wegwerfende Weise, womit er sich auf Sankt Helena über den Pilgrim von Jerusalem aussprach. Er sagte nämlich: »C'est une âme rampante qui a la manie d'écrire des livres.« Nein, Chateaubriand ist keine niedrige Seele, sondern er ist bloß ein Narr, und zwar ein trauriger Narr, während die andern heiter und kurzweilig sind. Er erinnert mich immer an den melancholischen Lustigmacher von Ludwig XIII. Ich glaube, er hieß Angeli, trug eine Jacke von schwarzer Farbe, auch eine schwarze Kappe mit schwarzen Schellen und riß betrübte Späße. Der Pathos des Chateaubriand hat für mich immer etwas Komisches; dazwischen höre ich stets das Geklingel der schwarzen Glöckchen. Nur wird die erkünstelte Schwermut, die affektierten Todesgedanken, auf die Länge ebenso widerwärtig wie eintönig. Es heißt, er sei jetzt mit einer Schrift über die Leichenfeier Napoleons beschäftigt. Das wäre in der Tat für ihn eine vortreffliche Gelegenheit, seine oratorischen Flöre und Immortellen, den ganzen Pomp seiner Begräbnisphantasie auszukramen; sein Pamphlet wird ein geschriebener Katafalk werden, und an silbernen Tränen und Trauerkerzen wird er es nicht fehlen lassen; denn er verehrt den Kaiser, seit er tot ist.

Auch Frau von Staël würde jetzt den Napoleon feiern, wenn sie noch in den Salons der Lebenden wandelte. Schon bei der Rückkehr des Kaisers von der Insel Elba, während der Hundert Tage, war sie nicht übel geneigt, das Lob des Tyrannen zu singen, und stellte nur zur Bedingung, daß ihr vorher zwei Millionen, die man vorgeblich ihrem seligen Vater schuldete ausgezahlt würden. Als ihr aber der Kaiser dieses Geld nicht gab, fehlte ihr die nötige Inspiration für die erbotenen Preisgesänge, und Corinna improvisierte jene Tiraden, die dieser Tage von der »Gazette de France« so wohlgefällig wiederholt wurden. Point d'argent, point de Suisses! – Daß diese Worte auch auf ihren Landsmann Benjamin Constant anwendbar, ist uns leider nur gar zu sehr bekannt. – Doch laßt uns nicht weiter die Personen beleuchten, die den Kaiser geschmäht haben Genug, Madame de Staël ist tot, und B. Constant ist tot, und Chateaubriand ist sozusagen auch tot: wenigstens, wie er uns seit Jahren versichert, beschäftigt er sich ausschließlich mit seiner Beerdigung, und seine »Mémoires d'outre-tombe«, die er stückweise herausgibt, sind nichts anderes als ein Leichenbegängnis, das er vor seinem definitiven Hinscheiden selber veranstaltet, wie einst der Kaiser Karl V. Genug, er ist als tot zu betrachten, und er hat in seiner Schrift das Recht, den Napoleon wie seinesgleichen zu behandeln.

Aber nicht bloß die erwähnten Exzerpte älterer Autoren, sondern auch die Rede, die Herr v. Lamartine in der Deputiertenkammer über oder vielmehr gegen Napoleon hielt, hat mich widerwärtig berührt, obgleich diese Rede lauter Wahrheit enthält. Die Hintergedanken sind unehrlich, und der Redner sagte die Wahrheit im Interesse der Lüge. Es ist wahr, es ist tausendmal wahr, daß Napoleon ein Feind der Freiheit war, ein Despot, gekrönte Selbstsucht, und daß seine Verherrlichung ein böses, gefährliches Beispiel. Es ist wahr, ihm fehlten die Bürgertugenden eines Bailly, eines Lafayette, und er trat die Gesetze mit Füßen und sogar die Gesetzgeber, wovon noch jetzt einige lebende Zeugnisse im Hospital des Luxembourg. Aber es ist nicht dieser libertizide Napoleon, nicht der Held des 18. Brumaire, nicht der Donnergott des Ehrgeizes, dem ihr die glänzendsten Leichenspiele und Denkmale widmen sollt! Nein; es ist der Mann, der das junge Frankreich dem alten Europa gegenüber repräsentierte, dessen Verherrlichung in Frage steht: in seiner Person siegte das französische Volk, in seiner Person ward es gedemütigt, in seiner Person ehrt und feiert es sich selber – und das fühlt jeder Franzose, und deshalb vergißt man alle Schattenseiten des Verstorbenen und huldigt ihm quand même, und die Kammer beging einen großen Fehler durch ihre unzeitige Knickerei. – Die Rede des Herrn v. Lamartine war ein Meisterstück, voll von perfiden Blumen, deren feines Gift manchen schwachen Kopf betäubte; doch der Mangel an Ehrlichkeit wird spärlich bedeckt von den schönen Worten, und das Ministerium darf sich eher freuen als betrüben, daß seine Feinde ihre antinationalen Gefühle so ungeschickt verraten haben.






© Wolfgang Fricke