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Heinrich Heine
Lutetia – Zweiter Teil






XLIX

Paris, 26. Juli 1842


Die Thronrede ist kurz und einfach. Sie sagt das Wichtigste in der würdigsten Weise. Der König hat sie selbst verfaßt. Sein Schmerz zeigt sich in einer puritanischen, ich möchte sagen republikanischen Prunklosigkeit. Er, der sonst so redselig, ist seitdem sehr wortkarg geworden. Das schweigende Empfangen in den Tuilerien vor einigen Tagen hatte etwas ungemein Trübsinniges, beinahe Geisterhaftes; ohne eine Silbe zu sprechen, gingen über tausend Menschen bei dem König vorüber, der stumm und leidend sie ansah. Es heißt, daß in Notre-Dame das angekündigte Requiem nicht stattfinde; der König will bei dem Begräbnis seines Sohnes keine Musik; Musik erinnere allzusehr an Spiel und Fest. – Sein Wunsch, die Regentschaft auf seinen Sohn übertragen zu sehen und nicht auf seine Schwiegertochter, ist in der Adresse hinlänglich angedeutet. Dieser Wunsch wird wenig Widerrede finden, und Nemours wird Regent, obgleich dieses Amt der schönen und geistreichen Herzogin gebührt, die, ein Muster von weiblicher Vollkommenheit, ihres verstorbenen Gemahles so würdig war. Gestern sagte man, der König werde seinen Enkel, den Grafen von Paris, in die Deputiertenkammer mitbringen. Viele wünschten es, und die Szene wäre gewiß sehr rührend gewesen. Aber der König vermeidet jetzt, wie gesagt, alles, was an das Pathos der Feudalmonarchie erinnert. – Über Ludwig Philipps Abneigung gegen Weiberregentschaften sind viele Äußerungen ins Publikum gedrungen. Der dümmste Mann, soll er gesagt haben, werde immer ein besserer Regent sein als die klügste Frau. Hat er deshalb dem Nemours den Vorzug gegeben vor der klugen Helene?






© Wolfgang Fricke