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Adolf Bartels
über Heinrich Heine

Aus »Geschichte der Deutschen Literatur« [1901/02] von Adolf Bartels – Zweiter Band »Die neuere Literatur«
(fünfte und sechste Auflage, Leipzig, Verlag Eduard Avenarius, 1909)

Adolf Bartels (15.11.1862 - 07.03.1945) war Antisemit und Nationalist. Er galt als der Ideologe der NS-Germanistik. Mehr Zur Person: Wikipedia-Artikel über Bartels



Der Streit um Heine tobt noch immer im lieben deutschen Vaterlande, und er ist doch eigentlich so vollkommen überflüssig, ja töricht. Aber nach wie vor schallt es hüben: Heinrich Heine ist der größte deutsche Lyriker nach oder gar mit Goethe, und drüben antwortet es ebenso apodiktisch: Ach was, er ist gar kein ordentlicher Dichter, er ist ein jüdischer Macher und nebenbei noch ein Lump. Die ruhigen Leute haben sich inzwischen längst auf dem natürlichen Boden der ganzen Frage verständigt: Heine ist Jude, und da die Lyrik noch mehr als jede andere dichterische Gattung Ausdruck des Nationalcharakters und der Volksseele ist, so kann Heine unmöglich der größte deutsche Lyriker nach oder mit Goethe sein, aber weshalb sollte er nicht ein bedeutender jüdischer Lyriker, der sich der deutschen Sprache und der deutschen Bildung, im Einzelnen der deutschromantischen dichterischen Motive bedient und so auch bis zu einem bestimmten Grade in den deutschen Geist hineinkommt, sein können? Daß die jüdische Rasse von Haus aus lyrisch begabt ist, wissen wir aus dem alten Testament, und wenn nun auch einem seit Jahrhunderten wandernden, nirgends vollständig heimisch gewordenen Volke notwendig manche Wurzeln seiner Kraft verdorrt sind, so kann es doch immerhin gewisse dichterische Fähigkeiten bewahrt, ja, unter Umständen einige noch besonders stark entwickelt haben. Das gute Recht, diese Fähigkeiten, sobald sie in unserer Sprache geübt werden, mit unsern Maßstäben einzuschätzen, haben wir natürlich, aber wir dürfen andererseits von einem Fremden auch nicht verlangen, was er nicht kann. Mit der Einnahme dieses Standpunktes ist die Möglichkeit, dem Dichter Heine gerecht zu werden, gegeben. Bei dem Menschen, der ja überhaupt von dem Dichter nicht zu trennen ist, haben wir uns ebenfalls zunächst auf den Boden seiner Nation zu stellen, brauchen aber auch da vor dem Werturteil nicht zurückzuschrecken: Gerade die bedeutenden Individuen sind unserer Anschauung nach die rechten Vertreter ihres Volkes, auch wenn sie in mancher Beziehung über die nationalen Schranken, die ja immer ein Negatives, ein Nichtvermögen bezeichnen, hinauszukommen scheinen.

Hat man nur den guten Willen, klar zu sehen, so ist nichts einfacher als die Entwicklung Heines und der jüdischen Talente überhaupt. Es gibt eine uralte jüdische Kultur, aber diese steht fremd in dem Leben jedes Volkes und jeder Zeit; die jüdischen Talente können sie also, falls sie breitere Wirkungen erzielen wollen, nicht gebrauchen, sie wirkt höchstens unbewußt und nebenbei mit. So bemächtigen sich die Juden der Kultur der Völker, unter denen sie leben, und sie tun das mit einem großen, ihnen durch ihr Wanderdasein anerzogenen Geschick; wirklich Wurzel schlagen in der fremden Kultur können sie bei ihrer stark ausgeprägten nationalen Eigenart aber natürlich nicht, vielmehr nur nachempfinden und nachmachen, kurz, sie werden mit Notwendigkeit Virtuosen, im guten oder im schlechten Sinne, je nach der Größe ihres Talents. Beherrschen sie aber die nationalen Elemente einer Kunst immer nur wesentlich nach der formalen Seite, so können sie dagegen die zeitlichen, die ja stets international sind, rascher und leichter aufnehmen als die Völker mit nationaler, bodenständiger Existenz, und das gibt den jüdischen Talenten oft eine große Zeitbedeutung, während sie dauernd für die Kultur der Nationen, unter denen sie sich angesiedelt haben, selten oder nie etwas bedeuten. Der ursprünglich jüdische Charakter blickt in den Produkten der jüdischen Talente selbstverständlich immer durch, auch wenn die Virtuosität in der Behandlung der entlehnten nationalen künstlerischen Formen und Motive noch so groß und die Begeisterung für die Zeitideen noch so echt ist. – Was nun im besonderen Heinrich Heine anlangt, so ist es klar, daß er sich zunächst der gesamten künstlerischen Kultur der deutschen Romantik mit großer Gewandtheit bemächtigt hat, aber wurzelhaft germanisch konnte sie bei ihm natürlich nicht werden, dagegen fand ihr ungesunder, aus der haltlosen ästhetischen Kultur erwachsener Individualismus in der jüdischen Eitelkeit den geeignetsten Boden zu üppiger Wucherung. Heine ist, in der ersten Periode seines Schaffens wenigstens, Romantiker, ist vielleicht sogar, wie seine Bewunderer wollen, die Höhe der Romantik, aber leider der falschen Romantik, die nicht im deutschen Volkstum, sondern in dem eiteln Ich wurzelt, ist der große romantische Virtuose, der das ganze Register der romantischen Töne raffiniert-geschickt abspielt, aber dabei keineswegs aus deutsch-romantischem Geiste heraus wahrhaft schafft. Hier tauchen nun die alten Heine-Fragen auf: „Inwieweit ist der Dichter originell?“ und „hat er gelogen?“ Es ist richtig, daß sich alle Töne, die Heinrich Heine angeschlagen hat, bei früheren romantischen Dichtern finden; Tieck, Clemens Brentano, Eichendorff, Uhland, Wilhelm Müller, auch E. T. A. Hoffmann und natürlich Goethe und das Volkslied unmittelbar haben ihm die lyrischen Motive, Bilder, Weisen, Klänge, selbst oft die Pointen seiner Gedichte ganz unzweifelhaft geliefert, Brentano hat sogar schon den eigentümlichen Geist der Heinischen Poesie im ganzen vorweggenommen, das Raffiniert-Moderne in ihr, das aus der Verwendung der Volksliederform zum Ausdruck der Empfindungen des gebildeten Salonmenschen entspringt – dennoch, Heine ist wesentlich künstlerisch selbständig, der Dichter-Virtuose, mag er immerhin mit angeeigneten fremden Elementen wirtschaften, wird dies, sobald er die individuelle konzentrierte lyrische Form findet, und das hat Heine allerdings getan. Und hier erledigt sich auch gleich die Frage der Wahrheit oder Lüge. „Es gibt“, sagt Friedrich Hebbel in seiner Besprechung des „Buches der Lieder“, „in ästhetischen Dingen eine doppelte Wahrheit, wonach man zu fragen hat: die Wahrheit des Stoffes und die Wahrheit der Form, und die letztere hängt mit dem Ethischen noch enger zusammen als die erstere. Es ist nicht genug, daß unser Gedachtes und Empfundenes wahr sei; da kann ja auch kaum geheuchelt und betrogen werden, denn woher eigentümliche Empfindungen und Gedanken nehmen, wenn man sie nicht hat? Auch der Darstellungsprozeß, worin die Form gewonnen wird, soll wahr sein; er soll aus dem Drange des Überflusses hervorgehen und Götter in die Welt setzen, nicht Lemuren. Dieses ist der wichtigste Punkt, denn von der Gestalt, worin eine Idee zur Erscheinung gelangt, hängt es ab, ob sie wie ein Jupiter verehrt, oder wie ein Vitzliputzli verspottet werden soll, doch eben um diesen Punkt wird sich der plumpe Ästhetiker nie bekümmern. Er rechnet dafür die Gedanken und Bilder zusammen und vergißt, daß man dies alles bei jedem der Berücksichtigung irgend würdigen Gegenstand voraussetzen muß, und daß Achill und Thersites sich in allem, nur nicht im Fleisch und Blut voneinander unterscheiden. Bei Heine ist die Darstellung ein Quellen, kein Pumpen, wie gewiß ein jeder empfindet, der das Buch der Lieder auch nur durchblättert: Bei der Wahrheit der Form ist aber die Unwahrheit des Stoffes undenkbar.“ In der Hauptsache ist diese Anschauung über Heine sicherlich unwiderlegbar, nur ist noch einiges hinzuzufügen. Gesetzt den Fall, die Heinischen Empfindungen und Gedanken wären auch nur nachempfunden und nachgedacht, so dürfte man ihnen doch auch dann die innere Wahrheit nicht absprechen; denn selbst da kann ja nicht geheuchelt und betrogen werden, es gehört die Fähigkeit nachzuempfinden und nachzudenken dazu, und der Dichter muß auch in dem Nachempfundenen und Nachgedachten wenigstens soweit energisch leben, daß der Darstellungsprozeß mit ganzer Macht einsetzen und bis zu Ende gelangen kann; nur auf diese Weise entstehen wirkliche Gedichte, sie verstandesgemäß, äußerlich zusammensetzen kann man nicht. Aber andererseits wird doch der Dichter dem Stoffe, der von Haus aus nicht sein eigen ist, und ob er ihn auch beherrscht, kaum so naiv und warm gegenüberstehen, wie dem, der aus dem Tiefsten seiner Seele und weiter aus seinem Volkstum quillt, und damit stoßen wir wieder auf den Begriff des Virtuosentums. Ein großer Virtuos lügt nicht, aber er spielt, und Heines Dichtkunst ist denn auch wesentlich ein Spiel, keine Heuchelei, aber doch auch nicht tiefster Ernst. Je öfter das Spiel wiederholt wird, desto äußerlicher und matter wird es werden, wie denn ein Berufs-Virtuose, der immer dasselbe Stück, ein Schauspieler, der immer dieselbe Rolle wiederholt, zuletzt vor allem doch nur die Fertigkeit bewundern lassen wird, während die Auffassung schon stehend geworden ist. Ganz in dem nämlichen Fall kam Heine, der Liederdichter, und so erklärt sich Hebbels anderes (früheres) Urteil über die Heinische Poesie. Wobei er nicht an das „Buch der Lieder“, sondern an die neueren Gedichte dachte: „Heines Dichtmanier (besonders seine neue) ist das Erzeugnis der Ohnmacht und der Lüge. Weil seine verworrenen Gemütszustände sich nicht in die Klarheit eines entschiedenen Gefühls auflösen lassen, oder weil er nicht den Mut und die Kraft besitzt, den hierzu notwendigen inneren Prozeß abzuwarten, wirft er den Fackelbrand des Witzes in die werdende Welt hinein und läßt sie gestaltlos für nichts und wieder nichts verflammen. Diese Verklärung durch den Scheiterhaufen ist aber nur dann zu gestatten, wenn ein Phönix davonfliegt; an dem Phönix fehlt es jedoch bei Heine, es bleibt nichts übrig als Staub und Asche, womit ein müßiger Wind sein Spiel treibt.“ Wir wissen heute, daß der Phönix nur einer Poesie entsteigt, die ihren sicheren Untergrund in einem starken Volkstum besitzt. Der deutsch und romantisch dichtende emanzipierte Jude mußte trotz aller künstlerischen Virtuosität durch seine Zwitterstellung eines Tags in jene verworrenen Gefühlszustände geraten, aus denen es keinen Ausweg gab als durch den unpoetischen oder gar antipoetischen Witz, der dazu das Erbteil seines Stammes war. Das war Ohnmacht, das wurde Lüge, wenn dabei auf das Recht der genialen Persönlichkeit gepocht und die Schwäche als Stärke drapiert wurde. Aber die Lüge war damit ein Bestandteil von des Dichters Wesen geworden, in dem einzelnen Gedicht, direkt log er darum nicht. Im Gegenteil, die spätere Poesie Heines, die immer lotteriger und frecher wird, wird dadurch subjektiv nur um so wahrer.

Sehen wir uns die Heinischen Gedichte nun etwas näher an. Fast alle seine großen Mitdichter, selbst Mörike, sein Antipode, indem er sagte „Er ist ein Dichter ganz und gar“, haben die ästhetische Potenz Heines anerkannt, und wir Jüngeren haben in unserer Jugend wohl noch sämtlich für seine Poesie geschwärmt; es ist also wohl zweifellos, daß sie einen starken natürlichen Reiz haben muß, der durch den Begriff der Virtuosität im allgemeinen nicht hinreichend umschrieben wird. Zunächst ziehen uns wohl die vertrauten deutschromantischen Elemente an, ihre Verwendung zur Darstellung modernen Empfindens und der dadurch geschaffene pikante Gegensatz; aber auch wenn das alles uns nichts Neues mehr ist, bleibt der Reiz noch bestehen, und wir finden, daß er – es ist hier selbstverständlich stets an die besten Gedichte gedacht – in der Grazie der knappen Form und ihrer musikalischen Bewegtheit liegt. Unsere deutschen Lyriker, denen Heine die Elemente seiner Poesie entlieh, sind unzweifelhaft ganz bedeutend frischer und natürlicher als er, aber die geistige Grazie, die sein Eigentum, ein orientalisches Erbteil ist, besitzen sie nicht, dafür freilich auch nicht seine Sinnlichkeit, die, auch wo sie nicht nackt und uns Germanen abstoßend hervortritt, doch meist wie ein schweres Parfüm aus seinen Versen duftet. Hält man die besten Gedichte Heines gegen die besten unserer großen deutschen Lyriker, Goethes, Hölderlins, Uhlands, Mörikes, selbst der schwerflüssigeren Hebbel und Keller, so kommt er unbedingt zu kurz, ihre vollendete „Komposition“, in der Idee, Anschauung, Ton wie zu einem Kristall zusammenschießen, erreicht er nicht; aber unseren guten Talenten wie Wilhelm Müller und oft selbst Eichendorff ist er unzweifelhaft überlegen, eben durch jene Grazie, die angeboren, und nicht etwa Mache ist, die über die geistreichsten Einfälle verfügt und jeden Einfall auch künstlerisch zu runden versteht, aus Wenigem durch die knappe, wohlpointierte Form oft sehr viel macht. Sicherlich, es spielt da bei dem Orientalen auch der Verstand mit, er schafft nicht so elementar wie der Germane – wie denn der starke didaktische Gehalt aller orientalischen Poesie ja wohlbekannt ist -, aber man darf doch nicht, wie es viele Gegner Heines getan haben, annehmen, daß es sich bei seinem Dichten bloß um das völlig bewußte Schleifen und Fassen geborgter Edelsteine handle, unzweifelhaft "fließt" es bei ihm wie bei anderen Dichtern, aber Geist und Phantasie stehen sich näher, und es findet eine schärfere Kontrolle des Verstandes statt, während gleichzeitig die Kontrolle des Natur- und Schönheitssinns schwächer ist. Damit langten wir denn nun auch schon bei den Schwächen der Heinischen Poesie an. Selbst ihre glühendsten Verehrer haben in der neuesten Zeit zugeben müssen, dass Heine die Anschauung fehlt, daß er mit Naturbildern willkürlich wirtschaftet, nicht aus dem Geiste der Natur heraus dichtet, ja, daß er als Lyriker haarscharf auf der Grenze steht, wo die Schönheit und die Erhabenheit jeden Augenblick eben durch den Mangel an Anschauung, die an Theaterrequisiten erinnernden Bilder, die Gewöhnlichkeit der Phantasiemittel – „mir träumte“, „ich weiß nicht was“ usw. – in Trivialität umzuschlagen droht. Aber sie haben das mit der Stärke der Empfindung, der Gewalt der menschlichen Leidenschaft, die in Heines Gedichten sei und eben die „ruhige“ Gestaltung verhindert habe, zu entschuldigen, ja, als notwendig hinzustellen versucht und einen großen Teil der Schuld auf die Romantik, nach der die Natur nur ein „phantastisches Ebenbild des Menschen“ sei, geschoben, im übrigen aber den musikalischen Reiz der Heinischen Verse als vollgültigen Ersatz angesehen wissen wollen. Für uns ist es aber orientalisch, erträglich dann, wenn es, wie in den Psalmen, mit schwunghafter Größe verbunden ist, eine häßliche Manier, wenn es sich um die Gefühle eines modernen Salonmenschen handelt, und wohlgeeignet, reiferen Geistern, die hier eben lebhaft die Zwitterstellung Heines empfinden, den Geschmack an seiner Dichtung zu verekeln. Was in deutscher Sprache geschrieben ist und aus, wenn auch nur angeeigneter, deutscher Kultur heraus, muß jene Anschauung haben, muß gewissermaßen von der Natur her treu durch die Seele des Menschen fließen und rein und treu wieder geboren werden – andere Lyrik kennen wir gar nicht, das Subjekt kann sich nach unseren Begriffen gar nicht anders Verkörpern, es sei denn eben verwildert oder überhaupt von vornherein keine künstlerische Natur. Das Vorschieben der Empfindung und des musikalischen Reizes, der bei Heines knapper Art ja nur ein Akzidenz, nicht wie etwa bei Klopstocks breiter, verschwimmender Stimmungslyrik wesentlich ist, erscheint uns einfach als ein Versuch, über den wahren Wert der Heinischen Lyrik zu täuschen. Immerhin bleibt er in einer Anzahl seiner besten Gedichte – ich erinnere nur an die bekannte „Schlanke Wasserlilie“, die „träumend hervor aus dem See schaut“ – in der Anschauung (wenn er auch da vielfach pointiert), womit denn freilich nur die Berechtigung unseres Standpunktes um so entschiedener dargetan wird.

Wenn man die Stärke der Empfindung als das Charakteristikum der Heinischen Poesie hinstellt, so spielt man dadurch den Streit auf das Gebiet der Persönlichkeit hinüber, vom Reinästhetischen fort. Es gibt also dichterische Persönlichkeiten, die so bedeutend sind, daß sie, um ihre Empfindung voll herauszubringen, künstlerische Fehler machen dürfen? Wir Deutschen werden das niemals zugestehen; denn unsere Großen zeigen, daß je bedeutender eine dichterische Persönlichkeit, desto größer auch ihre Künstlerschaft ist. In der Tat aber macht auch Heines Persönlichkeit, wie sie sich in seiner Lyrik spiegelt, keineswegs einen bedeutenden Eindruck, man wird sich schon mit dem Beiwort des Interessanten begnügen müssen. Der größte Teil des „Buches der Lieder“ und auch noch ein sehr großer der „Neuen Gedichte“ ist erotische Lyrik und als solche keineswegs besonders groß, stark und tief, vielmehr ziemlich einförmig in den Motiven (verratene Liebe, neue Liebe), eine unendliche Reihe zum Teil sehr hübscher Variationen über wenig bedeutende Themata. Ich führe die berühmtesten Stücke auf: Aus den „Jungen Leiden“ „Schöne Wiege meiner Leiden“, „Wenn junge Herzen brechen“, „Wir wollen jetzt Frieden machen“, aus dem „lyrischen Intermezzo“, das einen zusammenhängenden Zyklus bildet, „Im wunderschönen Monat Mai“, „Auf Flügeln des Gesanges“, „Die Lotosblume ängstigt“, „Und wüßten's die Blumen, die kleinen“, „Warum sind denn die Rosen so blaß“, „Ein Fichtenbaum steht einsam“, „Aus alten Märchen winkt es“, „Sie haben mich gequälet“, „Es fällt ein Stern herunter“, aus der „Heimkehr“ „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“, „Mein Herz, mein Herz ist traurig“, „Wir saßen am Fischerhause“, „Du schönes Fischermädchen“, „Der Wind zieht seine Hosen an“, „Das Meer erglänzte weit hinaus“, „Was will die einsame Träne“, „Mein Kind, wir waren Kinder“, „Wie der Mond sich leuchtend dränget“, „Herz, mein Herz, sei nicht beklommenen“, „Du bist wie eine Blume“, „Ich wollt', meine Schmerzen ergössen sich“, „Du hast Diamanten und Perlen“, „Nacht liegt auf den fremden Wegen“, „Der Tod, das ist die kühle Nacht“, aus dem „Neuen Frühling“ „Leise zieht durch mein Gemüt“, „Die schlanke Wasserlilie“, „Es war ein alter König“, „Sterne mit den goldnen Füßchen“, aus dem Zyklus „Verschiedene“ „Das Fräulein stand am Meere“, „Es ragt ins Meer der Runenstein“, „Das Glück, das gestern mich geküßt“, „Das gelbe Laub erzittert“, „Es treibt dich fort von Ort zu Ort“, „Ich hatte einst ein schönes Vaterland“, „Tragödie“ – mit diesen reichlich drei Dutzend Gedichten hat man so ziemlich den ganzen Lyriker Heinrich Heine, da ist aber nirgends tiefe Leidenschaft oder auch nur die leidenschaftliche Innigkeit, die beispielsweise aus Mörikes „Früh, wenn die Hähne krähn“, „Ein Stündlein wohl vor Tag“, „Rosenzeit, wie schnell vorbei“ spricht. Sieht einmal etwas wie Leidenschaft aus („Mich hat das unglückselige Weib vergiftet mit ihren Tränen“), so ist doch statt des elementaren Ausdrucks in der Regel die Pointe da; das meiste aber ist graziöses Spiel, das uns ja sicherlich gefällt, aber uns nicht sonderlich tief zu Herzen geht. Dem Rest der Heinischen Lyrik, seinem Mittelgut sieht man durchweg den „Einfall“ an, und manches wird gar Bonbondevisenpoesie, wie Hebbel zu sagen pflegte. Seine Eitelkeit feiert auch schon in seiner früheren Lyrik ihre Orgien, und Treitschkes boshaftes Wort: „Sein Himmel hing voll Mandeltorten, Goldbörsen und Straßendirnen“ paßt zum Teil bereits auch auf sie. Man vermißt jedenfalls das Männliche und das Sittliche bei Heine, das nach unserer Anschauung das Charakteristische der germanischen Dichtung ist. Und wenn uns da die Verehrung der romanischen Völker für Heine als deutschen Dichter entgegengehalten wird, so können wir umgekehrt gerade aus dieser Verehrung auf das Nichtdeutsche in ihm schließen. Unsere Uhland und Mörike, unsere Hebbel und Keller verehren die Romanen nicht. Zuletzt ist uns Deutschen auch die Lyrik Eichendorffs und Wilhelm Müllers weit wertvoller als die Heines, denn sie ist (ganz abgesehen von der nationalen Ursprünglichkeit, die sich durch nichts ersetzen läßt) individuell-selbständiger und reineren Geistern entsprungen.

Eine gewisse Größe leuchtet doch bisweilen aus Heines Balladen und Romanzen hervor, die ich überhaupt für das Beste seiner Dichtung halte („Die beiden Grenadiere“, „Belsazar“, „Die Wallfahrt nach Kevlaar“ im „Buch der Lieder“, „Frühlingsfeier“, „Die Beschwörung“, „Die Nixen“, „Die Begegnung“, „König Harald Harfagar“ in den „Neuen Gedichten“) – man kann ja meist die „Muster“ feststellen, doch ist eine individuelle Nuance da. Hohe Begeisterung erwecken auch noch hier und da die freien Rhythmen des Zyklus „Nordsee“, mit der Heine nach den Literaturhistorikern die Poesie des Meeres für die deutsche Dichtung entdeckt haben soll – aber Goethes Meeresgedichte und Wilhelm Müllers „Lieder aus dem Meerbusen von Salerno“ und „Muscheln von der Insel Rügen“, die schon verwandte Motive haben, liegen früher, und überhaupt war nun nach Byron die Zeit für die Meerespoesie gekommen. Die Heinischen Hymnen, in der Form wesentlich von Goethe und Tieck bestimmt, weisen alle Schwächen der Heinischen Dichtung auf, den Mangel an Anschauung und die individuelle Willkür und Haltlosigkeit, aber man wird nicht leugnen können, daß sie zur Weltanschauungsdichtung wenigstens emporstreben, wenn sie es auch nicht werden. Für seine Anhänger ist Heines Bedeutung als Prophet einer neuen Weltanschauung einfach ein Dogma, er ist ihnen der vorbildliche moderne Mensch. So lesen wir bei Wilhelm Bölsche: „Im achtzehnten Jahrhundert wird zuerst ein Gedanke allmächtig. Die Idee, daß alles treibt, alles in Fluß geraten kann. Daß es keine ewigen Institutionen gibt. Nirgendwo. Religiös nicht, moralisch nicht, sozial nicht, ästhetisch nicht ... Es ist eine Tatsache, daß alles donnernd fließt. Aber ist diese Tatsache eine gute oder schlechte? Es sind zwei ganz verschiedene Antworten denkbar. Die eine ist pessimistisch, die andere optimistisch. Beide erkennen den Sturm der Dinge an. Aber der einen ist er bloß Sturm, Spektakel, Unruhe. Der anderen ist er die siegende Logik, der Fortschritt, die wirkliche Entwicklung zur höheren Harmonie . . .“ In diese Entwicklung nun soll Heine hineingestellt sein: „In seiner Jugend ist er romantischer Pessimist mit einem frühalten, unreif alten Zuge, den seine Zeit hat als Wellental einer wilden Epoche, die jeden Überblick verloren hat. Auf der Höhe seiner Kraft ist er sozialer, ethischer Optimist, stolz getragen von einem Wellenkamm, den er sich mit erobert, den Blick auf ungeheuren sozialen und ethischen Fernen. In der Krankheit, die seinem kurzen Leben zugleich das wirkliche Alter ist, fühlt er dann ein philosophisches Manko, das in beiden Phasen seines Lebens war.“ Dieses Manko wird später so umschrieben: „Was wird im Emporgang der großen Menschheitsentwicklung aus den Milliarden Individuen, die unablässig herbstlich abregnen wie welkes Laub, während der Baum wächst?“ Eine recht hübsche Entwicklung, nur historisch etwas leichtsinnig. Zunächst einmal gilt denn doch neben dem „alles fließt“ auch noch das „alles bleibt“; denn da die Mutter Erde besteht und das Weltgetriebe noch immer durch Hunger und Liebe und vielleicht ein bißchen Kunst und Wissenschaft gelenkt wird, so dürfte neben der radikalen doch auch die konservative Weltanschauung einige Berechtigung haben, wie denn unsere ganz Großen in der Regel konservativ gewesen sind und sich weder vom Pessimismus noch vom Optimismus haben einfangen lassen. Das Restaurationszeitalter weiter, in das Heines Jugend fällt, war keineswegs eine pessimistische Zeit, viel eher war dies die Periode nach 1830 trotz der großen Worte des jungen Deutschlands. Aber überhaupt, wo sind denn die ungeheuren sozialen und ethischen Fernen, auf denen Heines Blick geruht haben soll? Ich finde bei ihm nicht einmal für die Gegenwart, in der er lebte, ein besonders reiches Ideenarsenal, im ganzen nur die landläufige Ware des französierenden Liberalismus, hier und da ein bißchen pikant aufgestutzt. Für seine historische Auffassung genügte ihm die bekannte ganz oberflächliche Antithese: Barbaren und Hellenen, wobei er seine eigene Rasse den Barbaren zuwies, für seine Person aber gern für einen Hellenen gegolten hätte, obschon er in seinen „Nordseebildern“ ehrlich gestanden:

„Widerwärtig sind mir die Griechen
Und gar die Römer sind mit verhaßt“,

was man ihm ohne weiteres glaubt, politisch hat er den internationalen Kosmopolitismus und Demokratismus, obschon dieser letztere seiner künstlerischen Natur gelegentlich wieder Angst machte, den Haß gegen Fürsten, Junker und Pfaffen, besonders den gegen Preußen gepredigt, mit dem Sozialismus hier und da kokettiert, ethisch die Lehre von der Emanzipation des Fleisches vertreten – große Perspektiven vermißt man durchaus, was er von Zukunftsmusik (in „Deutschland, ein Wintermärchen“ Kaput I) von sich gegeben, läuft auf einen ganz gewöhnlichen schönselig tuenden Materialismus hinaus, der etwa einem heutigen Durchschnittssozialdemokraten, aber schwerlich irgend einem ernsten gebildeten Manne genügen kann. Gescheit war Heine ja ohne Frage, und sein Witz wird ohne Zweifel auf harmlose Gemüter noch lange wirken, aber von ihm als „Riesenkerl“ zu reden, geht wirklich nicht gut an: Riesig sind an Heine nur die Eitelkeit und Unverfrorenheit, und riesig ist die Dummheit des deutschen Volkes gewesen, das sich ihn so lange als einen seiner Großen hat aufschwatzen lassen.

Heinrich Heine ist in der Tat der unheilvollste Geselle, der im neunzehnten Jahrhundert nicht bloß durch die deutsche Literatur, sondern auch durch das deutsche Leben hindurchgegangen ist, er erscheint, wenn man seine Tätigkeit als Ganzes ins Auge faßt, durchaus als Seelenverwüster und -vergifter, als der Vater der Dekadence, und zwar auf fast allen Gebieten, literarisch, politisch, sozial. Ich habe an seiner Poesie gelten lassen, was daran Gutes ist, ich will auch die Persönlichkeit Heines nicht ohne weiteres verdammen – er kann zunächst einmal für sein Judentum nichts, und die Zeit, die den Grabbeschen Nihilismus entwickelte, hat einen bestimmten Anteil auch an der Heinischen Frivolität: aber das Urteil über die Wirkung Heines, den Wert seiner Persönlichkeit für uns Deutsche darf man sich durch historische und andere Erwägungen nicht bestimmen lassen. Und so ist denn zunächst einmal festzustellen, daß sich Heine seine literarische Geltung keineswegs auf loyale, sondern auf die denkbar gemeinste Weise errungen hat. Kaum einen seiner bedeutenden Zeitgenossen hat er unbeschmutzt gelassen: Nicht bloß Platen hat er in einer Weise behandelt, die noch heute bei jedem anständigen Menschen Ekel hervorrufen muß, sondern auch Goethe, Tieck, Uhland, später Freiligrath u. a. zum Teil in niederträchtigster Weise verleumdet, zum Teil höhnisch verspottet, und das alles aus keinem anderen Grunde, als um selbst emporzukommen, selbst der große Mann zu werden. Der Beweis ist hundertmal erbracht und jeden Augenblick wieder zu erbringen; wer vor ihm die Augen verschließt, handelt einfach unehrlich. Weiter steht auch fest, daß kein anderer als Heinrich Heine die moderne Ruhm-Züchtung durch die Presse zuerst in Deutschland eingerichtet hat, alle schlechten Mittel, selbst Denunziation und dergleichen nicht verschmähend. Auch hierfür wäre der Beweis, beispielsweise schon durch genaue Darstellung des Verhältnisses zu Heinrich Laube, leicht zu führen. Schlimmer noch ist vielleicht die Herabwürdigung der eigenen Dichtung und Schriftstellerei zu bloßem Reklamemachen; seit Heine haben wir in Deutschland den Feuilletonismus, der im Grunde weiter nichts ist als der große Eitelkeitsmarkt, auf dem sich die Schriftsteller selber bei Gelegenheit aller möglichen Dinge in interessanten Posen produzieren. Da Heine die ausgiebige Gestaltungskraft fehlte, und er sehr wohl einsah, daß man mit Lyrik zwar unter Umständen unsterblich, aber schwerlich bei Lebzeiten ein berühmter d. h. gutbezahlter und gefürchteter Mann werde, so hat er sich früh auf diesen Feuilletonismus geworfen: die berühmten Reisebilder, von der noch leidlich harmlosen „Harzreise“ an bis zu den berüchtigten „Bädern von Lucca“, sind weiter nichts, das einfache Rezept ist: allerlei Pikanterien mit sogenannten hochpoetischen Stellen wechseln zu lassen, die Hauptsache aber die Inszenesetzung der eigenen Persönlichkeit. Alles, was Heine in großen Formen unternahm, seine Jugendtragödien „Almansor“ und „Ratcliff“, sein Roman „Der Rabbi von Bacharach“, seine paar Novellen, scheiterte oder wurde nicht einmal fertig, im verlogenen und witzelnden Feuilletonstil aber blieb er allzeit der große Meister – und feine sogenannten Epen „Atta Troll“ und „Deutschland, ein Wintermärchen“ sind denn auch nichts weiter als feuilletonistische Reisebilder in Versen. Ich will nicht leugnen, daß der Heinische Witz seiner Zeit hier und da auch einmal gut gewirkt, beispielsweise das deutsche Philistertum aus seiner trägen Ruhe aufgerüttelt hat, wobei freilich nicht zu übersehen ist, daß es auch ein radikales Philistertum gab und jetzt erst recht gibt – aber in der deutschen Gesamtentwicklung bedeutet der Heinische Feuilletonismus weiter nichts als die Inthronisierung der persönlichen Eitelkeit, der Oberflächlichkeit und gesuchten Manier, der Verlogenheit und Niedertracht. Bis auf den heutigen Tag ist der Heinische Geist unter dem Strich unserer Zeitungen lebendig geblieben und hat unzählige Keime hoffnungsvollen deutschen Lebens vernichtet. Überhaupt ist Heine, der Jude – und damit kommen wir zum Hauptpunkt – der schlimmste Feind des Deutschtums gewesen, um so gefährlicher, weil er dessen Stärken und Schwächen so genau kannte, jene, sie instinktiv fürchtend, durch geschicktes Komödienspiel für sich unschädlich zu machen suchte, mit diesen schamlos paktierte. Man lese einfach „Deutschland, ein Wintermärchen“ und beobachte, ob nicht gerade durch das, was Heine angreift und verspottet, das neue Deutschland groß und stark geworden, und, was er erhebt, noch heute ein fressender Schaden bei uns ist. Es gehörte der ganz unglaubliche Mangel an nationalen Instinkten dazu, um Heine dessen Halunkentum zuletzt doch ganz augenscheinlich ist, wirklich zu einem deutschen Lieblingsautor werden zu lassen.

Auf die Komödie der „Flucht“ Heines nach Paris und die Rolle, die er dort, von Frankreich bezahlt, als Vorkämpfer im Freiheitskampfe der Menschheit und mit der angeblichen Sehnsucht nach Deutschland im Herzen, vortrefflich spielte, gehe ich nicht näher ein, will auch seine eigentlich politische Lyrik, die noch heute als meisterhaft hingestellt wird („Immer und in jeder Zeit hat er die echteste Dichterform gewahrt . . . aus Vergänglichem ewig Typisches geschaffen“), nicht näher charakterisieren – ich halte z. B. Freiligrath und Dingelstedt (von dessen „Liedern eines kosmopolitischen Nachtwächters“ Heine ebenso viel profitiert hat wie Dingelstedt von ihm) für bessere politische Dichter als Heine und stelle ihn tief unter Storm, wenn dieser auch nur weniges Politische geschaffen; das „Wintermärchen“, ohne Zweifel von Dingelstedts „Nachtwächters Weltgang“ angeregt, erscheint mir als Ganzes nur als eine Aneinanderreihung von Witzen, ganz selten durch ein realistisches Bildchen oder einen „Traum“ nach Heinischer Manier unterbrochen. Ebensowenig gedenke ich auf die eigentlichen Prosaschriften Heines, sein „Deutschland“ usw. näher einzugehen: Es sind meist gefährliche Parteischriften, ohne das, was der Parteischrift einzig und allein die Berechtigung gibt, die Ehrlichkeit. Den Darstellungen deutschen Geisteslebens, die Heine für die Franzosen geschrieben hat, geht nicht bloß gründliches Wissen ab, sondern es wird auch alles wieder feuilletonistisch zugerichtet. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte die Bedeutung, die Heine für Deutschland hatte, mit dem Jahre 1848 vollständig aufgehört, wie sie denn in der Tat für eine Weile stark hinschwand, aber nun sank der Dichter aufs Krankenlager, in die „Matratzengruft“, und damit war wieder die Gelegenheit zu neuen Posen gegeben. Aber alles, was wahr ist: Der von fürchterlichen Leiden gequälte Heine wächst nun wirklich zu einer Art Größe empor, an der Matratzengruft des jüdischen Dichters hat zwar nicht das deutsche Volk im besonderen, aber die Menschheit Ursache, einmal einen Augenblick zu verweilen. Ich gebe hier Emil Kuh das Wort, einem Rassegenossen Heines, aber in anderer Zucht erwachsen als er: „Schon am Morgen seines Lebens hatten sich Parodist und Zerstörer dem Dichter und Bildner schadenfroh angeschlossen, Märchen und Wunder mit Larven und Koboldgesichtern um seinen Besitz gestritten, Formgefühl und Schelmenlaune einander die Wage gehalten. Der gewissenhaften Strenge spinnefeind, pietätlos und mit geistiger Freiheit ausgestattet, übte er schon als junger Mensch eine persönliche Macht aus, nahm er immer weniger Respekt vor der Pflicht auf seine Entwicklungsstufen hinüber, spielte er immer verwegener mit sich und den Menschen, bis er am Ende vogelfrei geworden. Aber auch vogelfrei und auf dem Siechbette ist Heine der alte; auch in den Krallen der Krankheit ist die diabolische Einheit seines Wesens ungebrochen, und hier erst gewahrt man deutlich, daß sein Dämon, sein unreiner Dämon einem dunkeln Gesetz gehorcht, das ihn nicht weniger bindet, weil es sich in die keckste Ungebundenheit kleidet .... Lahm, halb erblindet, ein modernes Lazarushaupt, durch jeden Lichtstrahl, der ins Zimmer dringt, eine Pein, durch jeden Tritt im Nebengemach eine Marter erduldend, jedes Halbjahr die Wohnung und mit ihr nur die Plagen der Außenwelt wechselnd, von nichtssagenden Burschen überlaufen, in seiner nächsten Umgebung nur „Schraffel“ sehend, schreibt und sammelt er für sein Buch Lutetia, läßt er den Doktor Faust tanzen und die keusche Diana Liebesunfug treiben, singt er die unheimlichen, übermütigen, frechen, die rührend schönen, die gemüterschütternden Gesänge des Romanzero . . . Dabei führt er den freundschaftlichen Hader mit seinem Verleger, zäh und gewandt wie ein Advokat, durch alle erdenklichen Phasen, ficht er mit den reichen Erben seines Oheims um die armselige Pension, die ihm rechtmäßig zukommt, wehrt er Journalangriffe ab, füttert er seine Eitelkeit und seine Ruhmsucht und überwacht er die Interpunktion und Orthographie auf den Korrekturbogen seiner neuen Bücher, weil er immer honett und proper vor dem Publikum erscheinen wolle und nirgends ein Knopf an seiner geistigen Toilette fehlen dürfe. Sogar seine beliebten Nichtsnutzigkeiten gegen Personen, die er einst in die Acht erklärt, gehen auf seinem Krankenlager nicht leer aus, nicht einmal seine alten Bosheiten gegen Maßmann und die preußischen Könige. Um keines Haares Breite innerlich verändert siecht er dem Tode entgegen, der in seinem Humor gefangene Dichter und Parodist, der jeden Vogel an sein Gitter locken und jeden verscheuchen mußte, weil gerade in diesem Widerspruche sein Wesen gesponnen und geknüpft war. Unbekümmert um den eigenen Leib, der gleichsam versengt sich von ihm ablöste, spielte dieser Geist in Spott und Anmut nach wie vor. Den ächzenden Knochen gelang es nicht, die Bitternis der Seele als Leidensgefährtin wachzurufen, und nicht dem zerschmelzenden Fleische dem Herzen Mitleid abzubetteln. Die Mythe Von Psyche in der Unterwelt kehrt sich hier um: Heines Geist schwelgte am Gastmahle der Proserpina, während sein Leib, am Boden kauernd, schwarzes Brot genoß. Wer wollte diesen Geist vor das sittliche Gericht fordern, auf daß er sich wegen des vielfach schnöden Mißbrauchs seiner Kräfte verantworte?! Hat er doch seines eigenen gemißhandelten Körpers gespottet und gelacht!“ Wir können nun freilich um unseres Volkes willen Heine das Gericht nicht ersparen, aber auch uns ergreift wohl einmal das Schauspiel, das sein Leiden und Sterben bietet, auch wir haben Verständnis für die unheimliche Decadencepoesie des „Romanzero“ und der „Letzten Gedichte“, mag auch trotz einer Anzahl trefflicher Balladen wie „Schelm von Bergen“, „Der Asra“, „Pfalzgräfin Jutta“, hohe Lyrik im Sinne Goethes und Mörikes auch hier vollständig fehlen, die Form immer mehr verlottern und das Letzte ein Versinken im Sumpfe sein.

Im ganzen steht unser Urteil fest: Dieser fremde Dichter hat sich einen Platz in unserer Literaturgeschichte erobert, aber einer von den unsern ist er doch nicht, und sein Einfluß ist bis auf diesen Tag nur unheilvoll gewesen. Zwar auf unsere wahrhaft Großen, auf die Hebbel und Ludwig, Mörike und Annette Droste, Keller und Storm hat er entweder gar nicht oder doch nur ganz unbedeutend gewirkt, und seit dem jüngsten Sturm und Drang ist sein ästhetischer Einfluß in der Hauptsache überwunden, mögen auch moderne Juden und Judengenossen immer noch einmal heinisieren; leider aber noch nicht sein geistiger, da hält ihn die radikale Partei. Aber wir glauben auch hier an den Sieg deutschen Geistes, die Heinische Negation kann auf die Dauer kein Volk befriedigen, das sich bei aller geistigen Kühnheit die ewigen Grundlagen menschlich-sittlicher Existenz niemals hat erschüttern lassen, das das Volk Luthers, Goethes und Bismarcks ist. Bei den überhaupt zur Reife befähigten Deutschen hat die Verehrung Heines, des Dichters wie des „freien Geistes“, in den letzten Jahrzehnten denn auch schon sehr stark abgenommen, man kann ihn vielfach überhaupt nicht mehr lesen. Das schließt natürlich nicht aus, daß er auf lange Zeit hinaus noch eine „interessante“ Persönlichkeit, mit der man sich hier und da beschäftigt, bleibt, aber die Wirkung wird nun doch eine wesentlich andere als früher sein: Sie wird das deutsche Volk vom Judentum, das Heinrich Heine als seinen glänzendsten Vertreter im 19. Jahrhundert anerkennt, sich mit ihm identifiziert, immer weiter abführen. Und somit wäre auch Heine zuletzt nur „ein Teil von jener Kraft“ gewesen, „die stets das Böse will und doch das Gute schafft“.


© Wolfgang Fricke