» Startseite » Heine-Rezeption » Jakob Wychgram

Prof. Dr. Jakob Wychgram
(1.9.1858 - 14.11.1927) über Heinrich Heine

Aus »Hilfsbuch für den Unterricht in der Deutschen Literaturgeschichte« [1892] von Prof. Dr. J. Wychgram, Direktor der Königl. Augustaschule und des Königl. Lehrerinnenseminars zu Berlin
(Neunte Auflage, Bielefeld und Leipzig, Verlag von Velhagen & Klasing, 1907)



Heinrich Heine ist geboren 1799 in Düsseldorf; zum Kaufmann bestimmt, trat er bei seinem Oheim, dem Bankier Salomon Heine in Hamburg in die Lehre, zeigte sich aber bald für den Handelsstand völlig ungeeignet. Sein Oheim gab ihm die Mittel zu studieren. In Bonn, Berlin und Göttingen hat er den Studien obgelegen, die er im Jahre 1825 beendigte; im selben Jahre war er, um seine Zukunft zu sichern, zur evangelischen Kirche übergetreten. Schon während seiner Studienjahre waren die »Gedichte« erschienen; im Jahre 1827 trat er mit dem die ganze literarische Welt in Aufregung versetzenden »Buch der Lieder« hervor. Er gab sich dann ganz dem schriftstellerischen Leben hin. 1831 siedelte er nach Paris über, mit den deutschen politischen Zuständen unzufrieden, ein Jahrgeld des französischen Ministers genießend. Hier ist er, nachdem er sich durch seine giftigen Ausfälle gegen heimische Zustände und durch frivole Schriften um einen guten Teil seines früheren Ansehns gebracht hatte, 1856 gestorben. Heine ist ohne Zweifel einer unserer größten Lyriker, dem wir Lieder von wunderbarer Schönheit verdanken, wie: »Leise zieht durch mein Gemüt«, »Ich hab im Traum geweinet«, »Du bist wie eine Blume«, u. v. a., auch einige balladenenartige Gedichte von Heine sind volkstümlich geworden (»Lorelei«, »Belsazar«, »Die Wallfahrt nach Kevlaar«), aber diese Gedichte bestimmen nicht ausschließlich seinen dichterischen Charakter. Neben ihnen befinden sich zahlreichere andere, in denen eine trostlose Weltanschauung zum Ausdruck kommt; oft nach scheinbar tief empfundenem Anfang schlägt die Stimmung zu einem rohen Witze um. Es ist das zu einem Teile die Wirkung des zwiespältigen sittlichen Charakters Heines, der zwischen plötzlichen idealistischen Anwandlungen und niedrigen Auffassungen selbst der heiligsten Dinge haltlos hin- und herschwankte, zu einem anderen Teile absichtlicher Spott gegen die Gefühlsschwärmerei der Romantiker, deren Ansehen gerade Heine den empfindlichsten Schlag versetzt hat. Die spöttisch-frivole Art entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten seines Lebens immer mehr, so daß schon dadurch die späteren Schriften Heines von vornherein des Charakters der Kunstwerke entbehren und zu bloßen, wenn auch witzigen Tendenzschriften werden (»Deutschland, ein Wintermärchen« 1844; »Atta Troll« 1847). Der größere Teil der Schriften Heines hat heute nur noch literaturgeschichtliches Interesse; was dauernd wertvoll ist, findet sich in der trefflichen Ausgabe von Dr. Hessel vereinigt (Bonn, Weber). –


© Wolfgang Fricke