» Startseite » Texte von Heine » Almansor 3/4

Heinrich Heine: Almansor
Eine Tragödie



Garten vor Alis Schloß, blühend und von der Morgensonne beleuchtet. Zuleima liegt betend vor einem Christusbilde. Sie steht langsam auf.

Zuleima:

Und doch liegt noch die Sorg auf dieser Brust!
Mein Herze zittert noch. Ist es vor Freude,
Daß er noch lebt, den ich als tot beweint?
Nein, nicht vor Freude, die verträgt sich nicht
Mit meinem heil'gen Eid, mit dem Versprechen,
Das ich dem frommen Abt des Klosters gab.
Almansor ist zurückgekommen! Wenn
Mein Vater das erfährt - Wird nicht sein Zorn
Den Sohn des Todfeinds treffen? Noch erlosch nicht
Sein Groll, noch liegen lauernd in der Brust ihm
Viel schlimme Geister, die mit Wut entsteigen,
Wenn nur sein Ohr Abdullahs Namen hört.
Was hat Abdullah ihm getan? Mein Vater
Ist sonst so mild! Ich hab ihn oft behorcht;
Des Nachts durchwandelt er des Schlosses Gänge,
Mit bloßem Schwert, und ruft »Abdullah, komm,
Wir wollen fechten, Blut will Blut« - Almansor!
Dich darf er nimmer schaun, entflieh! entflieh!
Der Väter Feindschaft bringt den Kindern Tod.
Mit meinem Schleier will ich dich umhüllen,
Daß meines Vaters Blick dich nimmer treffe.
Ich seh dich in Gefahr, und es erwachen
All die Gefühle, die mich einst bewegten,
Als wir noch Braut und Bräut'gam kindisch spielten,
Als du den morschen Apfelbaum erklettert,
Als ich dich weinend, und mit bangen Bitten,
Herunterlockte von der schlimmen Höh.
Sinnend: »Tot ist Almansor« sagten böse Leute,
Und böser Kunde glaubte böses Herz,
Und Braut des fremden Mannes ward Zuleima!
Ich will dich lieben, wie man liebt den Bruder -
Sei mir ein Bruder, lieblicher Almansor!

Sie sieht zur Erde, und seufzt: »Almansor!«

Almansor ist unterdessen hinter Zuleima erschienen, naht sich derselben unbemerkt, legt beide Hände auf ihre Schulter, und lächelnd seufzt er im selben Tone: »Zuleima.«

Zuleima dreht sich erschrocken um, und betrachtet ihn lange:

Du hast dich viel verändert, mein Almansor.
Du siehst fast aus wie 'n starker Mann, doch hast du
Die wilden Knabensitten nicht vergessen,
Und störst mich wieder, ebenso wie sonst,
Wenn ich mit meinen Blumen heimlich spreche.

Almansor heiter lächelnd:

Sag mir, mein Liebchen, welche Blume ist es,
Die jetzt »Almansor« heißt? Ein trüber Name,
Der nur für Trauerblumen passen könnt!

Zuleima:

Sag mir zuvor, du wilder, finstrer Buhle,
Wer war der schwarze Sprecher diese Nacht?

Almansor:

Es war ein alter Freund, du kennst ihn gut.
Der alte Hassan war's, der vielbesorgt,
Wie 'n treues Tier, gefolget meiner Spur.
Leg ab, mein süßes Lieb, die finstre Miene,
Den schwarzen Flor, der deinen Blick umdüstert.
Wie 'n Schmetterling die Raupenhülle abstreift,
Und leuchtend bunt entfaltet seine Flügel,
So hat die Erde abgestreift das Dunkel,
Womit die Nacht ihr schönes Haupt umschleiert.
Die Sonne senkt sich küssend auf sie nieder;
Im grünen Wald erwacht ein süßes Singen;
Der Springborn rauscht und stäubet Diamanten;
Die hübschen Blümlein weinen Wonnetränen; -
Das Licht des Tages ist ein Zauberstab,
Der all die Blumen und die Lieder weckte,
Der selbst Almansors Seele konnt entnachten.

Zuleima:

Trau nicht den Blumen, die hierher dir winken,
Trau nicht den Liedern, die hierher dich locken,
Sie winken und sie locken in den Tod.

Almansor:

Ich weiche nicht, und weich auch nicht dem Tod.
Mit ist so wohl, so heimlich wohl allhier!
Sie steigen auf, die goldnen Knabenträume!
Hier ist der Garten, wo ich gerne spielte,
Hier blühn die Blumen, die mir freundlich nickten,
Hier singt der Zeisig, der mich morgens grüßte -
Doch sprich, mein Lieb, ich sehe nicht die Myrte,
Wo sie einst stand, da steht jetzt die Zypresse?

Zuleima:

Die Myrte starb, und auf das Grab der Myrte
Hat man gepflanzt die traurige Zypresse.

Almansor:

Noch steht die Laube von Jasmin und Geißblatt,
Wo wir die hübschen Märchen uns erzählten,
Von Mödschnuns Wahnsinn und von Leilas Sehnsucht,
Von beider Liebe und von beider Tod.
Hier steht auch noch der liebe Feigenbaum,
Mit dessen Frucht du meine Märchen lohntest;
Hier stehn auch noch die Trauben und Melonen,
Die uns erquickten, wenn wir lang geschwatzt -
Doch sprich, mein Lieb, ich seh nicht den Granatbaum,
Worauf einst saß und sang die Nachtigall,
Ihr Liebesweh der roten Rose klagend.

Zuleima:

Die rote Rose ward vom Sturm entblättert,
Die Nachtigall samt ihrem Liede starb,
Und böse Äxte haben abgehaun
Den edeln Stamm des blühenden Granatbaums.

Almansor:

Hier ist mir wohl! auf diesem lieben Boden
Klebt fest mein Fuß, wie heimlich angekettet;
Ich bin gebannt in diesen lieben Kreisen,
Die du um mich gezogen, schöne Fee;
Vertraute Balsamdüfte mich umhauchen,
Die Blumen sprechen und die Bäume singen,
Bekannte Bilder hüpfen aus den Büschen -

Er erblickt das Christusbild, befremdet.

Doch sprich, mein Lieb, dort steht ein fremdes Bild,
Das schaut mich an so mild, und doch so traurig,
Und eine bittre Träne läßt es fallen
In meinen schönen, goldnen Freudenkelch.

Zuleima:

Und kennst du nicht dies heil'ge Bild, Almansor?
Hast du es nie geschaut in sel'gen Träumen?
Trafst du es wachend nie auf deinen Wegen?
Besinn dich wohl, du mein verlorner Bruder!

Almansor:

Wohl traf ich schon auf meinem Weg dies Bildnis,
Am Tage meiner Rückkehr in Hispanien.
Links an der Straße, die nach Xeres führt,
Steht prangend eine herrliche Moschee.
Doch wo der Türmer einst vom Turme rief:
»Es gibt nur einen Gott, und Mahomet
Ist sein Prophet!« da klung jetzund herab
Ein dröhnend dumpfes, schweres Glockenläuten.
Schon an der Pforte goß sich mir entgegen
Ein dunkler Strom gewalt'ger Orgeltöne,
Die hoch aufrauschten und wie schwarzer Sud,
Im glühnden Zauberkessel, qualmig quollen.
Und wie mit langen Armen, zogen mich
Die Riesentöne in das Haus hinein,
Und wanden sich um meine Brust, wie Schlangen,
Und zwängten ein die Brust, und stachen mich,
Als läge auf mir das Gebirge Kaff,
Und Simurghs Schnabel picke mir ins Herz.
Und in dem Hause scholl, wie 'n Totenlied,
Das heisre Singen wunderlicher Männer,
Mit strengen Mienen und mit kahlen Häuptern,
Umwallt von blum'gen Kleidern, und der feine
Gesang der weiß- und rotgeröckten Knaben,
Die oft dazwischen klingelten mit Schellen,
Und blanke Weihrauchfässer dampfend schwangen.
Und tausend Lichter gossen ihren Schimmer
Auf all das Goldgefunkel und Geglitzer,
Und überall, wohin mein Auge sah,
Aus jeder Nische nickte mir entgegen
Dasselbe Bild, das ich hier wiedersehe.
Doch überall sah, schmerzenbleich und traurig,
Des Mannes Antlitz, den dies Bildnis darstellt.
Hier schlug man ihn mit harten Geißelhieben,
Dort sank er nieder unter Kreuzeslast,
Hier spie man ihm verachtungsvoll ins Antlitz,
Dort krönte man mit Dornen seine Schläfe,
Hier schlug man ihn ans Kreuz, mit scharfem Speer
Durchstieß man seine Seite - Blut, Blut, Blut
Entquoll jedwedem Bild. Ich schaute gar
Ein traurig Weib, die hielt auf ihrem Schoß
Des Martermannes abgezehrten Leichnam,
Ganz gelb, und nackt, von schwarzem Blut umronnen -
Da hört ich eine gellend scharfe Stimme:
»Dies ist sein Blut«, und wie ich hinsah, schaut ich
Schaudernd. Den Mann, der eben einen Becher austrank.

Pause.

Zuleima:

Ins Haus der Liebe trat dein Fuß, Almansor,
Doch Blindheit lag auf deinen Augenwimpern.
Vermissen mochtest du den heitern Schimmer,
Der leicht durchgaukelt alte Heidentempel,
Und jene Werkeltagsbequemlichkeit,
Die in des Moslems dumpfer Betstub kauert.
Ein ernstres, beßres Haus hat sich die Liebe
Zur Wohnung ausgesucht auf dieser Erde.
In diesem Hause werden Kinder mündig,
Und Münd'ge werden da zu Kindern wieder;
In diesem Hause werden Arme reich,
Und Reiche werden selig in der Armut;
In diesem Hause wird der Frohe traurig,
Und aufgeheitert wird da der Betrübte.
Denn selber als ein traurig, armes Kind
Erschien die Liebe einst auf dieser Erde.
Ihr Lager war des Stalles enge Krippe,
Und gelbes Stroh war ihres Hauptes Kissen.
Und flüchten mußte sie wie 'n scheues Reh,
Von Dummheit und Gelehrsamkeit verfolgt.
Für Geld verkauft, verraten ward die Liebe,
Sie ward verhöhnt, gegeißelt und gekreuzigt; -
Doch von der Liebe sieben Todesseufzern,
Zersprangen jene sieben Eisenschlösser,
Die Satan vorgehängt der Himmelspforte,
Und wie der Liebe sieben Wunden klafften,
Erschlossen sich aufs neu die sieben Himmel,
Und zogen ein die Sünder und die Frommen.
Die Liebe war's, die du geschaut als Leiche,
Im Mutterschoße jenes traur'gen Weibes.
Oh, glaube mir, an jenem kalten Leichnam
Kann sich erwärmen eine ganze Menschheit,
Aus jenem Blute sprossen schönre Blumen,
Als aus Alradschids stolzen Gartenbeeten,
Und aus den Augen jenes traur'gen Weibes
Fließt wunderbar ein süßres Rosenöl,
Als alle Rosen Schiras' liefern könnten.
Auch du hast teil, Almansor ben Abdullah,
An jenem ew'gen Leib und ew'gen Blute,
Auch du kannst setzen dich zu Tisch mit Engeln,
Und Gottesbrot und Gotteswein genießen,
Auch du darfst wohnen in der Sel'gen Halle,
Und, gegen Satans starke Höllenmacht,
Schützt dich mit ew'gem Gastrecht Jesu Christ,
Wenn du genossen hast sein »Brot und Wein«.

Almansor:

Du sprachest aus, Zuleima, jenes Wort,
Das Welten schafft und Welten hält zusammen;
Du sprachest aus das große Wörtlein »Liebe!«
Und tausend Engel singen's jauchzend nach,
Und in den Himmeln klingt es schallend wider;
Du sprachst es aus, und Wolken wölben sich,
Dort oben hoch, wie eines Domes Kuppel,
Die Ulmen rauschen auf, wie Orgeltöne,
Die Vöglein zwitschern fromme Andachtlieder,
Der Boden dampft von wallend süßem Weihrauch,
Der Blumenrasen hebt sich als Altar -
Nur eine Kirch der Liebe ist die Erde.

Zuleima:

Die Erde ist ein großes Golgatha,
Wo zwar die Liebe siegt, doch auch verblutet.

Almansor:

Oh, flechte nicht zum Totenkranz die Myrte,
Und hüll die Liebe nicht in Trauerflöre.
Der Liebe Priesterin bist du, Zuleima,
Die Liebe wohnt in deines Busens Zelle,
Aus deiner Äuglein klaren Fenstern schaut sie,
Ihr Odem weht aus deinem süßen Munde -
Auf euch, ihr sammetweiche Purpurkissen,
Auf euch, ihr holden Lippen, thront die Liebe,
Auf euch möcht sich Almansors Seele betten -
Ei, hörst du nicht Fatimas letzte Worte:
»Bring diesen Kuß Zuleimen, meiner Tochter.« -

Sie sehn sich lange wehmütig an. Sie küssen sich feierlich.

Zuleima:

Fatimas Totenkuß hab ich empfangen,
Nimm hin dagegen Christi Lebenskuß.

Almansor:

Es war der Liebe Odem den ich trank,
Aus einem Becher mit Rubinenrande;
Es war ein Feuerborn woraus ich trank
Ein Öl, das heiß durch meine Adern rinnet,
Und mir das Herz erquicket und verbrennt.

Umschlingt sie.

Ich laß nicht ab von dir, von dir, Zuleima!
Und ständen offen Allahs goldne Hallen,
Und Huris winkten mir mit schwarzen Augen,
Ich ließ nicht ab von dir, ich blieb bei dir,
Umschlänge fester deinen süßen Leib -
Dein Himmel nur, Zuleimas Himmel nur,
Sei auch Almansors Himmel, und dein Gott,
Sei auch Almansors Gott, Zuleimas Kreuz
Sei auch Almansors Hort, dein Christus sei
Almansors Heiland auch, und beten will ich
In jener Kirche, wo Zuleima betet.
Beseligt schwimm ich wie in Liebeswellen,
Von weichen Harfenlauten süß umklungen; -
Die Bäume tanzen wunderlichen Reigen; -
Die Englein schütten neckend Sonnenstrahlen
Und bunten Blütenstaub auf mich herab; -
Erschlossen ist des Himmels stille Pracht; -
Hellgoldne Schwingen tragen mich hinauf -
Zur Seligkeit hinauf!

In der Ferne hört man Glockengeläute und Kirchengesang.

Zuleima sich erschrocken von ihm wendend:

Jesus Maria!

Almansor:

Welch dunkler Laut zerreißt den goldnen Schleier,
Womit mich sel'ge Träume leicht umwoben?
Erblassen seh ich plötzlich dich, mein Lieb,
Mein Röslein wandelt sich in eine Lilie -
Sag an, mein Lieb, hast du den Tod geschaut,
Der unsichtbar erscheinet, uns zu trennen?

Zuleima:

Der Tod, der trennet nicht, der Tod vereinigt,
Das Leben ist's, was uns gewaltsam trennt.
Hörst du, Almansor, was die Glocken murmeln?
Sie murmeln dumpf: Verhüllt sich. »Zuleima wird vermählt heut
Mit einem Mann, der nicht Almansor heißt.«

Pause.

Almansor:

So hast du mir ins Herz hineingezischt
Dein schlimmstes Gift, du Schlangenkönigin!
Von diesem Gifthauch welken rings die Blumen,
Des Springborns Wasser wandelt sich in Blut,
Und tot fällt aus der Luft herab der Vogel.
So hast du mich hineingesungen, Falsche,
In jene Folterkammer, die du Kirch nennst,
Und kreuzigst mich an deines Gottes Kreuz,
Und ziehst geschäftig an den Glockensträngen,
Und spielst die Orgel, um zu übertäuben
Mein lautes Reu- und Angstgebet zu Allah!
So hast du mich gelockt, du schlimme Fee,
In deinen Muschelwagen mit den Täubchen,
Hast mich hinaufgelockt bis in die Wolken,
Um jählings mich von dort herabzuschleudern.
Ich höre fallend noch dein Spottgelächter,
Ich sehe fallend, wie dein Zauberwagen
Zu einem Sarge wird, mit Feuerrädern,
Wie deine Tauben sich in Drachen wandeln,
Wie du sie lenkst am schwarzen Schlangenzügel -
Und grausen Fluch hinunterbrüllend, stürz ich
Hinab, hinab, bis in den Schlund der Hölle,
Und Teufel selbst erschrecken und erbleichen,
Bei meinem Wahnsinnfluch und Wahnsinnanblick.
Fort! fort von hier! ich weiß noch einen Fluch,
Spräch ich ihn aus, müßt Eblis selbst erblassen,
Die Sonne müßt erschrocken rückwärts eilen,
Die Toten kröchen zitternd aus den Gräbern,
Und Mensch und Tier und Bäume würden Stein. Stürzt fort.

Zuleima, die bis jetzt verhüllt und unbeweglich stand, wirft sich nieder vor dem Christusbilde. Ein Kirchenlied singend ziehen Mönche, mit Kirchenfahnen und Heil'gen-Bildern, in Prozession vorüber.


Waldgegend


Der Chor:

Es ist ein schönes Land, das schöne Spanien,
Ein großer Garten, wo da prangen Blumen,
Goldäpfel, Myrten; - aber schöner noch
Prangten mit stolzem Glanz die Maurenstädte,
Das edle Maurentum, das Tarik einst,
Mit starker Hand, auf span'schen Boden pflanzte.
Durch manch Ereignis war schon früh gediehn
Das junge Reich; es wuchs und blühte auf
In Herrlichkeit, und überstrahlte fast
Des alten Mutterlands ehrwürd'ge Pracht.
Denn als der letzte Omaijad entrann
Dem Gastmahl, wo der arge Abasside
Der Omaijaden blut'ge Leichenhaufen,
Zu Speisetischen, höhnend aufgeschichtet;
Als Abderam nach Spanien sich gerettet,
Und wackre Mauren treu sich angeschlossen
Dem letzten Zweig des alten Herrscherstamms -
Da trennte feindlich sich der span'sche Moslem
Vom Glaubensbruder in dem Morgenlande;
Zerrissen ward der Faden, der von Spanien,
Weit übers Meer, bis nach Damaskus reichte,
Und dort geknüpft war am Kalifenthron;
Und in den Prachtgebäuden Cordobas
Da wehte jetzt ein reinrer Lebensgeist,
Als in des Orients dumpfigen Haremen.
Wo sonst nur grobe Schrift die Wand bedeckte,
Erhub sich jetzt, in freundlicher Verschlingung,
Der Tier- und Blumenbilder bunte Fülle;
Wo sonst nur lärmte Tamburin und Zimbel,
Erhob sich jetzt, beim Klingen der Gitarre,
Der Wehmutsang, die schmelzende Romanze;
Wo sonst der finstre Herr, mit strengem Blick,
Die bange Sklavin trieb zum Liebesfron,
Erhub das Weib jetzund sein Haupt als Herrin,
Und milderte, mit zarter Hand, die Roheit
Der alten Maurensitten und Gebräuche,
Und Schönes blühte, wo die Schönheit herrschte.
Kunst, Wissenschaft, Ruhmsucht und Frauendienst,
Das waren jene Blumen, die da pflegten
Der Abderamen königliche Hand.
Gelehrte Männer kamen aus Byzanz,
Und brachten Rollen voll uralter Weisheit;
Viel neue Weisheit sproßte aus der alten;
Und Scharen wißbegier'ger Schüler wallten,
Aus allen Ländern, her nach Cordoba,
Um hier zu lernen, wie man Sterne mißt,
Und wie man löst die Rätsel dieses Lebens.
Cordoba fiel, Granada stieg empor,
Und ward der Sitz der Maurenherrlichkeit.
Noch klingt's in blühend stolzen Liedern von
Granadas Pracht, von ihren Ritterspielen,
Von Höflichkeit im Kampf, von Siegergroßmut,
Und von dem Herzenspochen holder Damen,
Die streiten sahn die Ritter ihrer Farbe.
  Doch war's ein ernstrer Ritterkampf, worin
Sie selber fiel, die leuchtende Granada,
Und ritterliche Großmut war es nicht,
Als jüngst sein Wort, womit er Glaubensfreiheit
Verbürget hatt, der Sieger listig brach,
Und den Besiegten nur die Wahl gelassen,
Entweder Christ zu werden, oder fort
Aus Spanien nach Afrika zu fliehn.
Da wurde Ali Christ. Er wollte nicht
Zurück ins dunkle Land der Barbarei.
Ihn hielt gefesselt edle Sitte, Kunst
Und Wissenschaft, die in Hispanien blühte.
Ihn hielt gefesselt Sorge für Zuleima,
Die zarte Blume, die im Frauenkäfig
Des strengen Morgenlands hinwelken sollte,
Ihn hielt gefesselt Vaterlandesliebe,
Die Liebe für das liebe, schöne Spanien.
Doch was am meisten ihn gefesselt hielt,
Das war ein großer Traum, ein schöner Traum,
Anfänglich wüst und wild, Nordstürme heulten,
Und Waffen klirrten, und dazwischen rief's
»Quiroga und Riego!« tolle Worte!
Und rote Bäche flossen, Glaubenskerker
Und Zwingherrnburgen stürzten ein, in Glut
Und Rauch, und endlich stieg, aus Glut und Rauch,
Empor das ew'ge Wort, das urgeborne,
In rosenroter Glorie selig strahlend. Geht ab.

Almansor wankt träumerisch einher.

Almansor kalt und verdrossen:

In alten Märchen gibt es goldne Schlösser,
Wo Harfen klingen, schöne Jungfraun tanzen,
Und schmucke Diener blitzen, und Jasmin
Und Myrt und Rosen ihren Duft verbreiten -
Und doch ein einziges Entzaubrungswort
Macht all die Herrlichkeit im Nu zerstieben,
Und übrig bleibt nur alter Trümmerschutt,
Und krächzend Nachtgevögel und Morast.
So hab auch ich mit einem einz'gen Worte
Die ganze blühende Natur entzaubert.
Da liegt sie nun, leblos und kalt und fahl,
Wie eine aufgeputzte Königsleiche,
Der man die Backenknochen rot gefärbt,
Und in die Hand ein Szepter hat gelegt.
Die Lippen aber schauen gelb und welk,
Weil man vergaß sie gleichfalls rot zu schminken,
Und Mäuse springen um die Königsnase,
Und spotten frech des großen, goldnen Szepters. -
  Es ist das eigne Blut, das uns hinaufsteigt
Ins Aug, wodurch mit schönem, roten Schimmer
Bekleidet werden all die Rosenblätter,
Jungfrauenwänglein, Sommerabendwölkchen,
Und gleiche Spielerein, die uns entzücken.
Ich hab die rote Brille abgelegt -
Und sieh! welch schlechtes Machwerk ist die Welt!
Die Vögel singen falsch; die Bäume ächzen
Wie alte Mütterchen; die Sonne wirft,
Statt glühnder Strahlen, lauter kalte Schatten;
Schamlos, wie Metzen, lachen dort die Veilchen;
Und Tulpen, Nelken und Aurikeln haben
Die bunten Sonntagsröckchen ausgezogen,
Und tragen ihr geflicktes, graues Hauskleid.
Ich selbst hab mich verändert noch am meisten;
Kaum kann ein Mädchensinn sich so verändern!
Ich bin nur noch ein knöchrichtes Skelett;
Und was ich sprech, ist nur ein kalter Windstoß,
Der klappernd zieht durch meine trocknen Rippen.
Das kluge Männlein, das im Kopf mir wohnte,
Ist ausgezogen, und in meinem Schädel
Spinnt eine Spinn ihr friedliches Gewebe.
Auch wein ich einwärts jetzt; denn als ich schlief,
Stahl man die Augen mir, und glühnde Kohlen
Hat man gefugt in meine Augenhöhlen.
  Du Engel oben, du, von dem die Amme
Mir einst erzählte: daß du jede Träne,
Die meinem Aug entflösse, sorgsam zähltest,
Du hast jetzt Feierabend! Mühsam war
Dein Tagewerk, du armer Tränenzähler -
Hast du dich nie verzählt? und konntest du
Die großen Zahlen stets im Kopf behalten?
Du bist wohl müd, und ich bin auch recht müd,
Und auch mein Herz ist müd vom vielen Klopfen,
Und ausruhn wollen wir.

Er legt sich nieder, an einen Kastanienbaum gelehnt.

Ich bin recht müd,
Und krank, und kranker noch als krank, denn ach!
Die allerschlimmste Krankheit ist das Leben;
Und heilen kann sie nur der Tod. Das ist
Die bitterste Arznei, doch auch die letzte,
Und ist zu haben überall, und wohlfeil,

Er zieht einen Dolch hervor.

Du eiserne Arznei, du schaust so zweifelnd
Mich an. Willst du mir helfen?

Hassan tritt auf und naht sich leise.

Hassan:

Allah hilft!

Almansor ohne ihn zu bemerken, noch immer mit dem Dolche sprechend:

Du murmelst was von Allah und dergleichen.
Bedarf der Dolch noch eines spitz'gen Wortes,
Um mir das Herz im Leibe zu verwunden?

Hassan:

Was Allah tut, ist wohlgetan.

Almansor immer noch mit dem Dolche sprechend:

Ha, ha, ha!
Moralisieren, scheint es, will der Dolch!
Ich rate, schweig, denn schweigend sprichst du mehr,
Als mancher Moralist mit seinem Wortschwall.

Hassan seufzend:

Almansor ben Abdullah, was beginnst du?

Almansor Hassan erblickend:

Ha! ha! Du sprachst, zweibeinig kluges Ding!
Trägst du nicht Hassans Bart und Hassans Augen?
Bist du gar Hassan selbst? Das ist recht schön.
Wir wollen Abschied nehmen. Lebe wohl!
Gleich reis ich ab!

Zeigt ihm den Dolch.

Sieh, diese schmale Brücke
Führt aus dem Land der Trauer in das Land
Der Freude. Drohend steht am Eingang zwar,
Mit blankem Schwert, ein kohlenschwarzer Riese -
Der ist dem Feigen furchtbar, doch der Mut'ge
Geht ungestört hinein ins Land der Freude.
Ja, dorten ist die wahre Freude, oder -
Was doch dasselbe ist - die wahre Ruh.
Dort summt ins Ohr kein überläst'ger Käfer,
Und keine Mücke kitzelt dort die Nase;
Dort fällt kein grelles Licht ins blöde Aug;
Und nimmer quält dort Hitz, und Frost, und Hunger
Und Durst; und was das beste ist, dort schläft man
Den ganzen Tag, und obendrein die Nacht.

Hassan:

Nein, Sohn Abdullahs, feige ist der Schwächling,
Der keine Kraft hat mit dem Schmerz zu ringen,
Und ihm den Nacken zeigt, und zaghaft von
Des Lebens Kampfplatz flieht - steh auf, Almansor!

Almansor hebt eine Kastanie von der Erde:

Durch wessen Schuld liegt diese Frucht am Boden?

Hassan:

Durch Wurm und Sturm; der Wurm zernagt die Fasern,
Und leicht wirft dann der Sturm die Frucht herab.

Almansor:

Soll nun der Mensch, die allerschwächste Frucht,
Nicht auch zu Boden fallen, wenn der Wurm,

Zeigt aufs Herz.

Der schlimmste Wurm die Lebenskraft zernagte,
Und der Verzweiflung wilder Sturm ihn rüttelt?

Hassan:

Steh auf, steh auf, Almansor! Nur der Wurm
Mag sich am Boden krümmen, doch der Aar
Fliegt stolz hinauf zum ew'gen Sonnenlichte.

Almansor:

Reiß du dem Aar die mächt'gen Flügel aus,
Und auch der Aar ist Wurm und kriecht am Boden.
Des Mißmuts Schere hat mir längst zerschnitten
Die goldnen Flügel, die mich einst als Knabe
Gen Himmel trugen, hoch, gar hoch hinauf.

Hassan:

Oh, zeig mir einen Stein, der kalt und stumm ist,
Und sprich: das ist Almansor! Ich will's glauben.
Doch du bist's nicht, du, der mit offnen Augen
Dort zaghaft liegst, und liegst, und glotzend zusiehst,
Wie man die Schmach auf deine Brüder wälzt,
Wie span'scher Übermut der Mauren beste
Und edelste Geschlechter frech verhöhnt,
Wie man sie schlau beraubt, und händeringend,
Und nackt und hülflos aus der Heimat peitscht -
Du bist Almansor nicht, sonst dränge dir
Ins Ohr der Greise und der Weiber Wimmern,
Das span'sche Hohngelächter und der Angstruf
Der edlen Opfer auf dem glühnden Holzstoß.

Almansor:

Glaub mir, ich bin's. Ich seh den span'schen Hund!
Dort spuckt er meinem Bruder in den Bart,
Und tritt ihn noch mit Füßen obendrein.
Ich hör's; dort weint das arme Mütterchen;
Sie aß am Freitag gerne Gänsebraten,
Drum bratet man sie selbst jetzt, Gott zu Ehren.
Am Pfahl daneben steht ein schönes Mädchen -
Die Flammen sind in sie verliebt, umschmeicheln,
Umlecken sie mit lüstern roten Zungen;
Sie schreit und sträubt sich holderrötend gegen
Die allzu heißen Buhlen, und sie weint -
O schade! aus den schönen Augen fallen
Hellreine Perlen in die gier'ge Glut.
Jedoch was sollen diese Leute mir?
Mein Herz ist ganz durchstochen wie ein Sieb,
Hat keinen Raum für neue Schmerzenstiche.
Der blut'ge Mann, der auf der Folter liegt,
Hat kein Gefühl für einer Biene Stachel.
Glaub mir's, ich bin Almansor noch, und gastfrei
Steht meine Brust noch offen fremden Schmerzen;
Doch, durch die engen Pförtlein Aug und Ohr,
Sind Riesenleiden in die Brust gestiegen,
Die Brust ist voll - Ängstlich leise: Gar ein'ge wunde Gäste
Sind, herbergsuchend, mir ins Hirn gestiegen.

Hassan:

Steh auf! steh auf! sonst sag ich dir ein Wort,
Das dich aufgeißeln wird, und neue Glut
In deine Adern gießt - Sich zu ihm herabbeugend. Zuleima
Liegt heute Nacht in eines Spaniers Armen.

Almansor aufspringend und sich krampfhaft windend:

Die Sonne ist mir auf den Kopf gefallen,
Das Hirn ist eingebrochen, und die Gäste,
Die dort sich eingenistet taumeln auf,
Umflirren mich, wie graue Fledermäuse,
Umsummen mich, umächzen mich, umnebeln
Mich mit dem Duft vergifteter Gedanken!

Hält sich den Kopf.

O weh! o weh! die Alte faßt mich an,
Reißt mir das Haupt vom Rumpf, und schleudert es
In einen Hochzeitsaal, wo zärtlich bellend
Ein span'scher Hund mein süßes Liebchen küßt,
Und schnalzend küßt und herzt - O weh! O hilf mir!

Wirft sich zu Hassans Füßen.

O hilf dem blut'gen, abgerißnen Kopf,
Der keine Arme hat, den Hund zu würgen -
O leih mir deine Arme, Hassan! Hassan!

Hassan:

Ja, meinen Arm will ich dir leihn, Almansor,
Und auch die starken Arme meiner Freunde.
Wir wollen würgen jenen span'schen Hund,
Der dir entreißen will dein Eigentum.
Steh auf! Du sollst Zuleima bald besitzen.

Almansor steht auf.

Als ich eur gestrig Nachtgespräch belauscht,
Riet ich zu schneller Flucht, allein vergebens;
Doch soll Almansor nicht verzweifeln dacht ich.
Ich habe meine Freunde hergeführt;
Sie harren meines Winkes, und wir stürmen
Nach Alis Schloß, wir ungeladne Gäste.
Du nimmst dir deine Braut, und bringst sie mit
Nach unserm Schiff, das an der Küste liegt.
Zuleimas Liebe wird schon wiederkommen.

Almansor:

Ha, ha, ha! Liebe! Liebe! Fades Wort,
Das einst, mit schläfrig halbgeschloßnen Augen,
Ein Engel gähnend sprach. Er gähnte wieder,
Und eine Welt voll Narren, alt und jung,
Hat gähnend nachgelallet: Liebe! Liebe!
Nein, nein! ich bin kein schmächt'ger Zephyr mehr,
Der schmeichelnd fächelt eines Mädchens Wange;
Ich bin der Nordsturm, der ihr Haar zerzaust,
Und rasend mit sich reißt die scheue Braut.
Ich bin kein süßes Weihrauchdüftchen mehr,
Das einer Jungfrau Nase zärtlich kitzelt;
Ich bin der Gifthauch, der sie dumpf betäubt,
Und schwelgend dringt in alle ihre Sinne.
Ich bin das Lamm nicht mehr, das, fromm und mild,
Sich hinschmiegt zu den Füßen seiner Schäfrin;
Ich bin der Tiger, der sie wild umkrallt,
Und wollustbrüllend ihren Leib zerfleischt.
Zuleimas Leib ist's, was ich jetzt verlange;
Ich will ein glücklich Tier sein, ja, ein Tier;
Und in des Sinnenrausches Taumel will ich
Vergessen daß es einen Himmel gibt.

Ergreift hastig Hassans Hand.

Ich bleibe bei dir, Hassan! ja wir wollen
Auf wilder See ein lustig Reich begründen;
Tribut soll uns der stolze Spanier zollen;
Wir plündern seine Küst und seine Schiffe; -
Auf dem Verdecke kämpf ich dir zur Seite; -
Mein Säbel spaltet stolze Spanierschädel -
Die Hunde über Bord! - das Schiff ist unser!
Ich aber eile jetzt, mich zu erquicken,
Nach der Kajüte, wo Zuleima wohnt,
Umfasse sie mit meinen blut'gen Armen,
Und küsse ab von ihrer weißen Brust
Die roten Flecken - Ha! sie sträubt sich noch?
Zu meinen Füßen, Sklavin, sollst du wimmern,
Ohnmächtig Ding, das meine Sinne kühlt
Nach wilder Kampfeshitze - Sklavin, Sklavin,
Gehorche mir, und fächle meine Glut!

Beide eilen fort.




Zurück | Fortsetzung

© Wolfgang Fricke