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August 1854.
Als ich in obigem Berichte, vielleicht etwas zu beschaulich indifferent, aber mit gutem Gewissen, ganz ohne heuchlerische Tugendgrämelei, über die sogenannte Guizotsche Korruption schrieb, kam es mir wahrlich nicht in den Sinn, daß ich selber, fünf Jahre später, als Teilnehmer einer solchen Korruption angeklagt werden sollte! Die Zeit war sehr gut gewählt, und die Verleumdung hatte freien Spielraum in der Sturm-und-Drang-Periode vom Februar 1848, wo alle politischen Leidenschaften, plötzlich entzügelt, ihren rasenden Veitstanz begannen. Es herrschte überall eine Verblendung, wie sie nur bei den Hexen auf dem Blocksberg oder bei dem Jakobinismus in seinen rohesten Schreckenstagen vorgekommen. Es gab wieder unzählige Klubs, wo von den schmutzigsten Lippen der unbescholtenste Leumund angespuckt ward; die Mauern aller Gebäude waren mit Schmähungen, Denunziationen, Aufruhrpredigten, Drohungen, Invektiven, in Versen und in Prosa, besudelt: eine schmierige Mordbrandliteratur. Sogar Blanqui, der inkarnierte Terrorismus und der bravste Kerl unter der Sonne, ward damals der gemeinsten Angeberei und eines Einverständnisses mit der Polizei bezüchtigt. – Keine honette Person verteidigte sich mehr. Wer einen schönen Mantel besaß, verhüllte darin das Antlitz. In der ersten Revolution mußte der Name Pitt dazu dienen, die besten Patrioten als verkaufte Verräter zu beflecken – Danton, Robespierre, ja sogar Marat, denunzierte man als besoldet von Pitt. Der Pitt der Februarrevolution hieß Guizot, und den lächerlichsten Verdächtigungen mußte der Name Guizot Vorschub leisten. Erregte man den Neid eines jener Tageshelden, die schwach von Geist waren, aber lange in Sainte-Pélagie oder gar auf dem Mont Saint-Michel gesessen, so konnte man darauf rechnen, nächstens in seinem Klub als ein Helfershelfer Guizots, als ein feiler Söldner des Guizotschen Bestechungssystems angeklagt zu werden. Es gab damals keine Guillotine, womit man die Kopfe abschnitt, aber man hatte eine Guizotine erfunden, womit man uns die Ehre abschnitt. Auch der Name des Schreibers dieser Blätter entging nicht der Verunglimpfung in jener Tollzeit, und ein Korrespondent der »Allgemeinen Zeitung« entblödete sich nicht, in einem anonymen Artikel von den unwürdigsten Stipulationen zu sprechen, wodurch ich für eine namhafte Summe meine literarische Tätigkeit den gouvernementalen Bedürfnissen des Ministeriums Guizot verkauft hätte.
Ich enthalte mich jeder Beleuchtung der Person jenes fürchterlichen Anklägers, dessen rauhe Tugend durch die herrschende Korruption so sehr in Harnisch geraten; ich will diesem mutigen Ritter nicht das Visier seiner Anonymität abreißen, und nur beiläufig bemerke ich, daß er kein Deutscher, sondern ein Italiener ist, der, in Jesuitenschulen erzogen, seiner Erziehung treu blieb und zu dieser Stunde in den Bureaux der österreichischen Gesandtschaft zu Paris eine kleine Anstellung genießt. Ich bin tolerant, gestatte jedem, sein Handwerk zu treiben, wir können nicht alle ehrliche Leute sein, es muß Käuze von allen Farben geben, und wenn ich mir etwa eine Rüge gestatte, so ist es nur die raffinierte Treulosigkeit, womit mein ultramontaner Brutus sich auf die Autorität eines französischen Flugblattes berief, das, der Tagesleidenschaft dienend, nicht rein von Entstellungen und Mißdeutungen jeder Art war, aber in bezug auf mich selbst sich auch kein Wort zuschulden kommen ließ, welches obige Bezüchtigung rechtfertigen konnte. Wie es kam, daß die sonst so behutsame »Allgemeine Zeitung« ein Opfer solcher Mystifikation wurde, will ich später andeuten. Ich begnüge mich hier, auf die Augsburger »Allgemeine Zeitung« vom 23. Mai 1848, Außerordentliche Beilage, zu verweisen, wo ich in einer öffentlichen Erklärung über die saubere Insinuation ganz unumwunden, nicht der geringsten Zweideutigkeit Raum lassend, mich aussprach. Ich unterdrückte alle verschämten Gefühle der Eitelkeit, und in öffentlicher »Allgemeinen Zeitung« machte ich das traurige Geständnis, daß auch mich am Ende die schreckliche Krankheit des Exils, die Armut, heimgesucht hatte und daß auch ich meine Zuflucht nehmen mußte zu jenem »großen Almosen, welches das französische Volk an so viele Tausende von Fremden spendete, die sich durch ihren Eifer für die Sache der Revolution in ihrer Heimat mehr oder minder glorreich kompromittiert hatten und an dem gastlichen Herde Frankreichs eine Freistätte suchten«.
Dieses waren meine nackten Worte in der besagten Erklärung, ich nannte die Sache bei ihrem betrübsamsten Namen. Obgleich ich wohl andeuten konnte, daß die Hülfsgelder, welche mir als eine »allocation annuelle d'une pension de secours« zuerkannt worden, auch wohl als eine hohe Anerkennung meiner literarischen Reputation gelten mochten, wie man mir mit der zartesten Courtoisie notifiziert hatte, so setzte ich doch jene Pension unbedingt auf Rechnung der Nationalgroßmut, der politischen Bruderliebe, welche sich hier ebenso rührend schön kundgab, wie es die evangelische Barmherzigkeit jemals getan haben mag. Es gab hochfahrende Gesellen unter meinen Exilkollegen, welche jede Unterstützung nur Subvention nannten; bettelstolze Ritter, welche alle Verpflichtung haßten, nannten sie ein Darlehn, welches sie später wohlverzinst den Franzosen zurückzahlen würden – ich jedoch demütigte mich vor der Notwendigkeit und gab der Sache ihren wahren Namen. In der erwähnten Erklärung hatte ich hinzugesetzt: »Ich nahm solche Hülfsgelder in Anspruch kurz nach jener Zeit, als die bedauerlichen Bundestagsdekrete erschienen, die mich, als den Chorführer eines sogenannten Jungen Deutschlands, auch finanziell zu verderben suchten, indem sie nicht bloß meine vorhandenen Schriften, sondern auch alles, was späterhin aus meiner Feder fließen würde, im voraus mit Interdikt belegten und mich solchermaßen meines Vermögens und meiner Erwerbsmittel beraubten, ohne Urteil und Recht.«
Ja, »ohne Urteil und Recht«. – Ich glaube mit Fug solchermaßen ein Verfahren bezeichnen zu dürfen, das unerhört war in den Annalen absurder Gewalttätigkeit. Durch ein Dekret meiner heimischen Regierung wurden nicht bloß alle Schriften verboten, die ich bisher geschrieben, sondern auch die künftigen, alle Schriften, welche ich hinfüro schreiben würde; mein Gehirn wurde konfisziert, und meinem armen unschuldigen Magen sollten durch dieses Interdikt alle Lebensmittel abgeschnitten werden. Zugleich sollte auch mein Name ganz ausgerottet werden aus dem Gedächtnis der Menschen, und an alle Zensoren meiner Heimat erging die strenge Verordnung, daß sie sowohl in Tagesblättern wie in Broschüren und Büchern jede Stelle streichen sollten, wo von mir die Rede sei, gleichviel, ob günstig oder nachteilig. Kurzsichtige Toren! solche Beschlüsse und Verordnungen waren ohnmächtig gegen einen Autor, dessen geistige Interessen siegreich aus allen Verfolgungen hervorgingen, wenn auch seine zeitlichen Finanzen sehr gründlich zugrunde gerichtet wurden, so daß ich noch heute die Nachwirkung der kleinlichen Nücken verspüre. Aber verhungert bin ich nicht, obgleich ich in jener Zeit von der bleichen Sorge hart genug bedrängt ward. Das Leben in Paris ist so kostspielig, besonders wenn man hier verheiratet ist und keine Kinder hat. Letztere, diese liebe kleine Puppen, vertreiben dem Gatten und zumal der Gattin die Zeit, und da brauchen sie keine Zerstreuung außer dem Hause zu suchen, wo dergleichen so teuer. Und dann habe ich nie die Kunst gelernt, wie man die Hungrigen mit bloßen Worten abspeist, um so mehr, da mir die Natur ein so wohlhabendes Äußere verliehen, daß niemand an meine Dürftigkeit geglaubt hätte. Die Notleidenden, die bisher meine Hülfe reichlich genossen, lachten, wenn ich sagte, daß ich künftig selber darben müsse. War ich nicht der Verwandte aller möglichen Millionäre? Hatte nicht der Generalissimus aller Millionäre, hatte nicht dieser Millionärissimus mich seinen Freund genannt, seinen Freund? Ich konnte nie meinen Klienten begreiflich machen, daß der große Millionärissimus mich eben deshalb seinen Freund nenne, weil ich kein Geld von ihm begehre; verlangte ich Geld von ihm, so hätte ja gleich die Freundschaft ein Ende! Die Zeiten von David und Jonathan, von Orestes und Pylades seien vorüber. Meine armen, hülfsbedürftigen Dummköpfe glaubten, daß man so leicht etwas von den Reichen erhalten könne. Sie haben nicht, wie ich, gesehen, mit welchen schrecklichen eisernen Schlössern und Stangen ihre großen Geldkisten verwahrt sind. Nur von Leuten, welche selbst wenig haben, läßt sich allenfalls etwas erborgen, denn erstens sind ihre Kisten nicht von Eisen, und dann wollen sie reicher scheinen, als sie sind.
Ja, zu meinen sonderbaren Mißgeschicken gehörte auch, daß nie jemand an meine eignen Geldnöten glauben wollte. In der Magna Charta, welche, wie uns Cervantes berichtet, der Gott Apollo den Poeten oktroyiert hat, lautet freilich der erste Paragraph: »Wenn ein Poet versichert, daß er kein Geld habe, solle man ihm auf sein bloßes Wort glauben und keinen Eidschwur verlangen« – ach! ich berief mich vergebens auf dieses Vorrecht meines Poetenstandes. So geschah es auch, daß die Verleumdung leichtes Spiel hatte, als sie die Motive, welche mich bewogen, die in Rede stehende Pension anzunehmen, nicht den natürlichsten Nöten und Befugnissen zuschrieb. Ich erinnere mich, als damals mehre meiner Landsleute, darunter der entschiedenste und geistreichste, Dr. Marx, zu mir kamen, um ihren Unwillen über den verleumderischen Artikel der »Allgemeinen Zeitung« auszusprechen, rieten sie mir, kein Wort darauf zu antworten, indem sie selbst bereits in deutschen Blättern sich dahin geäußert hätten, daß ich die empfangene Pension gewiß nur in der Absicht angenommen, um meine ärmern Parteigenossen tätiger unterstützen zu können. Solches sagten mir sowohl der ehemalige Herausgeber der »Neuen Rheinischen Zeitung« als auch die Freunde, welche seinen Generalstab bildeten; ich aber dankte für die liebreiche Teilnahme, und ich versicherte diesen Freunden, daß sie sich geirrt, daß ich gewöhnlich jene Pension sehr gut für mich selbst brauchen konnte und daß ich dem böswilligen anonymen Artikel der »Allgemeinen Zeitung« nicht indirekt durch meine Freunde, sondern direkt mit eigner Namensunterschrift entgegentreten müsse.
Bei dieser Gelegenheit will ich auch erwähnen, daß die Redaktion des französischen Flugblattes, die »Revue rétrospective«, auf welches sich der Korrespondent der »Allgemeinen Zeitung« berief, ihren Unwillen über eine solche Zitation in einer bestimmten Abwehr bezeugen wollte, die übrigens ganz überflüssig gewesen wäre, da der flüchtigste Anblick auf jenes französische Blatt hinlänglich dartat, daß dasselbe an jeder Verunglimpfung meines Namens unschuldig; doch die Existenz jenes Blattes, welches in zwanglosen Lieferungen erschien, war sehr ephemer, und es ward von dem tollen Tagesstrudel verschlungen, bevor es die projektierte Abwehr bringen konnte. Der Redakteur en chef jener retrospektiven Revue war der Buchhändler Paulin, ein wackerer, ehrlicher Mann, der sich mir seit zwei Dezennien immer sehr teilnehmend und dienstwillig erwiesen; durch Geschäftsbezüge und gemeinschaftliche intime Freunde hatten wir Gelegenheit, uns wechselseitig hochschätzen und achten zu lernen. Paulin war der Associé meines Freundes Dubochet, er liebt wie einen Bruder meinen vielberühmten Freund Mignet, und er vergöttert Thiers, welcher, unter uns gesagt, die »Revue rétrospective« heimlich patronisierte; jedenfalls ward sie von Personen seiner Koterie gestiftet und geleitet, und diesen Personen konnte es wohl nicht in den Sinn kommen, einen Mann zu verunglimpfen, von welchem sie wußten, daß ihr Gönner ihn mit seiner besondern Vorliebe beehrte.
Die Redaktion der »Allgemeinen Zeitung« hatte in keinem Fall jenes französische Blatt gekannt, ehe sie den saubern Korruptionsartikel druckte. In der Tat, der flüchtigste Anblick hätte ihr die abgefeimte Arglist ihres Korrespondenten entdeckt. Diese bestand darin, daß er mir eine Solidarität mit Personen auflud, die von mir gewiß ebenso entfernt und ebenso verschieden waren wie ein Chesterkäse vom Monde. Um zu zeigen, wie das Guizotsche Ministerium nicht bloß durch Ämterverteilung, sondern auch durch bare Geldspenden sein Korruptionssystem übte, hatte die erwähnte französische Revue das Budget, Einnahme und Ausgabe des Departements, dem Guizot vorstand, abgedruckt, und hier sahen wir allerdings jedes Jahr die ungeheuersten Summen verzeichnet für ungenannte Ausgaben, und das anklagende Blatt hatte gedroht, in spätern Nummern die Personen namhaft zu machen, in deren Säckel jene Schätze geflossen. Durch das plötzliche Eingehen des Blattes kam die Drohung nicht zur Ausführung, was uns sehr leid war, da jeder alsdann sehen konnte, wie wir bei solcher geheimen Munifizenz, welche direkt vom Minister oder seinem Sekretär ausging und eine Gratifikation für bestimmte Dienste war, niemals beteiligt gewesen. Von solchen sogenannten bons du ministre, den wirklichen Geheimfonds, sind sehr zu unterscheiden die Pensionen, womit der Minister sein Budget schon belastet vorfindet, zugunsten bestimmter Personen, denen jährlich bestimmte Summen als Unterstützung zuerkannt worden. Es war eine sehr ungroßmütige, ich möchte sagen eine sehr unfranzösische Handlung, daß das retrospektive Flugblatt, nachdem es in Bausch und Bogen die verschiedenen Gesandtschaftsgehalte und Gesandtschaftsausgaben angegeben, auch die Namen der Personen druckte, welche Unterstützungspensionen genossen, und wir müssen solches um so mehr tadeln, da hier nicht bloß in Dürftigkeit gesunkene Männer des höchsten Ranges vorkamen, sondern auch große Damen, die ihre gefallene Größe gern unter einigen Putzflittern verbargen und jetzt mit Kummer ihr vornehmes Elend enthüllt sahen. Von zarterem Takte geleitet, wird der Deutsche dem unartigen Beispiel der Franzosen nicht folgen, und wir verschweigen hier die Nomenklatur der hochadligen und durchlauchtigen Frauen, die wir auf der Liste der Pensionsfonds im Departemente Guizots verzeichnet fanden. Unter den Männern, welche auf derselben Liste mit jährlichen Unterstützungssummen genannt waren, sahen wir Exulanten aus allen Weltgegenden, Flüchtlinge aus Griechenland und St. Domingo, Armenien und Bulgarien, aus Spanien und Polen, hochklingende Namen von Baronen, Grafen, Fürsten, Generälen und Exministern, von Priestern sogar, gleichsam eine Aristokratie der Armut bildend, während auf den Listen der Kassen andrer Departemente minder brillante arme Teufel paradierten. Der deutsche Poet brauchte sich wahrlich seiner Genossenschaft nicht zu schämen, und er befand sich in Gesellschaften von Berühmtheiten des Talentes und des Unglücks, deren Schicksal erschütternd. Dicht neben meinem Namen auf der erwähnten Pensionsliste, in derselben Rubrik und in derselben Kategorie, fand ich den Namen eines Mannes, der einst ein Reich beherrschte, größer als die Monarchie des Ahasverus, der da König war von Haude bis Kusch, von Indien bis an die Mohren, über hundertundsiebenundzwanzig Länder; – es war Godoy, der Prince de la paix, der unumschränkte Günstling Ferdinands VII. und seiner Gattin, die sich in seine Nase verliebt hatte. – Nie sah ich eine umfangreichere, kurfürstlichere Purpurnase, und ihre Füllung mit Schnupftabak muß gewiß dem armen Godoy mehr gekostet haben, als sein französisches Jahrgehalt betrug. Ein anderer Name, den ich neben dem meinigen erblickte und der mich mit Rührung und Ehrfurcht erfüllte, war der meines Freundes und Schicksalsgenossen, des ebenso glorreichen wie unglücklichen Augustin Thierry, des größten Geschichtschreibers unserer Zeit. Aber anstatt neben solchen respektabeln Leuten meinen Namen zu nennen, wußte der ehrliche Korrespondent der »Allgemeinen Zeitung« aus den erwähnten Budgetlisten, wo freilich auch pensionierte diplomatische Agenten verzeichnet standen, just zwei Namen der deutschen Landsmannschaft herauszuklauben, welche Personen gehörten, die gewiß besser sein mochten als ihr Ruf, aber jedenfalls dem meinigen schaden mußten, wenn man mich damals mit ihnen zusammenstellte. Der eine war ein deutscher Gelehrter aus Göttingen, ein Legationsrat, der von jeher der Sündenbock der liberalen Partei gewesen und das Talent besaß, durch eine zur Schau getragene diplomatische Geheimtuerei für das Schlimmste zu gelten. Begabt mit einem Schatz von Kenntnissen und einem eisernen Fleiße, war er für viele Kabinette ein sehr brauchbarer Arbeiter gewesen, und so arbeitete er später gleichfalls in der Kanzlei Guizots, welcher ihn auch mit verschiedenen Missionen betraute, und diese Dienste rechtfertigen seine Besoldung, die sehr bescheiden war. Die Stellung des andern Landsmanns, mit welchem der ehrliche Korruptionskorrespondent mich zusammen nannte, hatte mit der meinigen ebensowenig Analogie wie die des ersteren: er war ein Schwabe, der bisher als unbescholtener Spießbürger in Stuttgart lebte, aber jetzt in einem fatal zweideutigen Lichte erschien, als man sah, daß er auf dem Budget Guizots mit einer Pension verzeichnet stand, die fast ebenso groß war wie das Jahrgehalt, das aus derselben Kasse der Oberst Gustavson, Exkönig von Schweden, bezog; ja sie war drei- oder viermal so groß wie die auf demselben Guizotschen Budget eingezeichneten Pensionen des Baron von Eckstein und des Hrn. Capefigue, welche beide, nebenbei gesagt, seit undenklicher Zeit Korrespondenten der »Allgemeinen Zeitung« sind. Der Schwabe konnte in der Tat seine fabelhaft große Pension durch kein notorisches Verdienst rechtfertigen, er lebte nicht als Verfolgter in Paris, sondern, wie gesagt, in Stuttgart als ein stiller Untertan des Königs von Württemberg, er war kein großer Dichter, er war kein Lumen der Wissenschaft, kein Astronom, kein berühmter Staatsmann, kein Heros der Kunst, er war überhaupt kein Heros, im Gegenteil, er war sehr unkriegerisch, und als er einst die Redaktion der »Allgemeinen Zeitung« beleidigt hatte und diese letztere spornstreichs von Augsburg nach Stuttgart reiste, um den Mann auf Pistolen herauszufordern: – da wollte der gute Schwabe kein Bruderblut vergießen (denn die Redaktion der »Allgemeinen Zeitung« ist von Geburt eine Schwäbin), und er lehnte das Pistolenduell noch aus dem ganz besondern Sanitätsgrunde ab, weil er keine bleiernen Kugeln vertragen könne und sein Bauch nur an gebackene Schaletkugeln und schwäbische Knödeln gewöhnt sei.
Korsen, nordamerikanische Indianer und Schwaben verzeihen nie; und auf diese schwäbische Vendetta rechnete der Jesuitenzögling, als er seinen korrupten Korruptionsartikel der »Allgemeinen Zeitung« einschickte; und die Redaktion derselben ermangelte nicht, brühwarm eine Pariser Korrespondenz abzudrucken, welche den guten Leumund des unerschossenen schwäbischen Landsmanns den unheimlichsten und schändlichsten Hypothesen und Konjekturen überlieferte. Die Redaktion der »Allgemeinen Zeitung« konnte ihre Unparteilichkeit bei der Aufnahme dieses Artikels um so glänzender zur Schau stellen, da darin einer ihrer befreundeten Korrespondenten nicht minder bedenklich bloßgestellt war. Ich weiß nicht, ob sie der Meinung gewesen, daß sie mir durch den Abdruck schmählicher, aber haltloser Beschuldigungen einen Dienst erweise, indem sie mir dadurch Gelegenheit böte, jedem unwürdigen Gerede, jeder im Nebel schleichenden Insinuation mit einer bestimmten Erklärung entgegenzutreten – genug, die Redaktion der »Allgemeinen Zeitung« druckte den eingesandten Korruptionsartikel, doch sie begleitete denselben mit einer Note, worin sie in bezug auf meine Pension die Bemerkung machte, »daß ich dieselbe in keinem Falle für das, was ich schrieb, sondern nur für das, was ich nicht schrieb, empfangen haben könne«.
Ach, diese gewiß wohlgemeinte, aber wegen ihrer allzu witzigen Abfassung sehr verunglückte Ehrenrettungsnote war ein wahres pavé, ein Pflasterstein, wie die französischen Journalisten in ihrer Koteriesprache eine ungeschickte Verteidigung nennen, welche den Verteidigten totschlägt, wie es der Bär in der Fabel tat, als er von der Stirn des schlafenden Freundes eine Schmeißfliege verscheuchen wollte und mit dem Quaderstein, den er auf sie schleuderte, auch das Hirn des Schützlings zerschmetterte.
Das augsburgische pavé mußte mich empfindlicher verletzen als der Korrespondenzartikel der armseligen Schmeißfliege, und in der Erklärung, die ich damals, wie oben erwähnt, in der »Allgemeinen Zeitung« drucken ließ, sagte ich darüber folgende Worte: »Die Redaktion der 'Allgemeinen Zeitung' begleitet jene Korrespondenz mit einer Note, worin sie vielmehr die Meinung ausspricht, daß ich nicht für das, was ich schrieb, jene Unterstützung empfangen haben möge, sondern für das, was ich nicht schrieb. Die Redaktion der 'Allgemeinen Zeitung', die seit zwanzig Jahren nicht sowohl durch das, was sie von mir druckte, als vielmehr durch das, was sie nicht druckte, hinlänglich Gelegenheit hatte, zu merken, daß ich nicht der servile Schriftsteller bin, der sich sein Stillschweigen bezahlen läßt – besagte Redaktion hätte mich wohl mit jener levis nota verschonen können.«
Zeit, Ort und Umstände erlaubten damals keine weitern Erörterungen, doch heute, wo alle Rücksichten erloschen, ist es mir erlaubt, noch viel tatsächlicher darzutun, daß ich weder für das, was ich schrieb, noch für das, was ich nicht schrieb, vom Ministerium Guizot bestochen sein konnte. Für Menschen, die mit dem Leben abgeschlossen, haben solche retrospektive Rechtfertigungen einen sonderbar wehmütigen Reiz, und ich überlasse mich demselben mit träumerischer Indolenz. Es ist mir zu Sinne, als ob ich einem Längstverstorbenen eine fromme Genugtuung verschaffe; jedenfalls stehen hier am rechten Platze die folgenden Erläuterungen über französische Zustände zur Zeit des Ministeriums Guizot.
Das Ministerium vom 29. November 1840 sollte man eigentlich nicht das Ministerium Guizot, sondern vielmehr das Ministerium Soult nennen, da letzterer Präsident des Ministerkonseils war. Aber Soult war nur dessen Titularoberhaupt, ungefähr wie der jedesmalige König von Hannover immer den Titel eines Rektors der Universität Georgia Augusta führt, während Se. Magnifizenz, der zeitliche Prorektor zu Göttingen, die wirkliche Rektoratsgewalt ausübt. Trotz der offiziellen Machtvollkommenheit Soults war von ihm nie die Rede; nur daß zuweilen die liberalen Blätter, wenn sie mit ihm zufrieden waren, ihn den Sieger von Toulouse nannten; hatte er aber ihr Mißfallen erregt, so verhöhnten sie ihn, steif und fest behauptend, daß er die Schlacht bei Toulouse nicht gewonnen habe. Man sprach nur von Guizot, und dieser stand während mehren Jahren im Zenit seiner Popularität bei der Bourgeoisie, die von der Kriegslust seines Vorgängers ins Bockshorn gejagt worden; es versteht sich von selbst, daß der Nachfolger von Thiers noch größere Sympathie jenseits des Rheins erregte. Wir Deutschen konnten dem Thiers nicht verzeihen, daß er uns aus dem Schlaf getrommelt, aus unserm gemütlichen Pflanzenschlaf, und wir rieben uns die Augen und riefen: »Vivat Guizot!« Besonders die Gelehrten sangen das Lob desselben, in Pindarschen Hymnen, wo auch die Prosodie, das antike Silbenmaß, treu nachgeahmt war, und ein hier durchreisender deutscher Professor der Philologie versicherte mir, daß Guizot ebensogroß sei wie Thiersch. Ja, ebensogroß wie mein lieber, menschenfreundlicher Freund Thiersch, der Verfasser der besten griechischen Grammatik! Auch die deutsche Presse schwärmte für Guizot, und nicht bloß die zahmen Blätter, sondern auch die wilden, und diese Begeisterung dauerte sehr lange; ich erinnere mich, noch kurz vor dem Sturz des vielgefeierten Lieblings der Deutschen fand ich im radikalsten deutschen Journal, in der »Speyerer Zeitung«, eine Apologie Guizots aus der Feder eines jener Tyrannenfresser, deren Tomahawk und Skalpiermesser keine Barmherzigkeit jemals kannte. Die Begeisterung für Guizot ward in der »Allgemeinen Zeitung« fürnehmlich vertreten von meinem Kollegen mit dem Venuszeichen und von meinem Kollegen mit dem Pfeil; ersterer schwang das Weihrauchfaß mit sazerdotaler Weihe, letzterer bewahrte selbst in der Ekstase seine Süße und Zierlichkeit: beide hielten aus bis zur Katastrophe.
Was mich betrifft, so hatte ich, seitdem ich mich ernstlich mit französischer Literatur beschäftigt, die ausgezeichneten Verdienste Guizots immer erkannt und begriffen, und meine Schriften zeugen von meiner frühen Verehrung des weltberühmten Mannes. Ich liebte mehr seinen Nebenbuhler Thiers, aber nur seiner Persönlichkeit wegen, nicht ob seiner Geistesrichtung, die eine borniert nationale ist, so daß er fast ein französischer Altdeutscher zu nennen wäre, während Guizots kosmopolitische Anschauungsweise meiner eignen Denkungsart näherstand. Ich liebte vielleicht in ersterem manche Fehler, deren man mich selber zieh, während die Tugenden des andern beinahe abstoßend auf mich wirkten. Erstern mußte ich oft tadeln, doch geschah es mit Widerstreben; wenn mir letzterer Lob abzwang, so erteilte ich es gewiß erst nach strengster Prüfung. Wahrlich nur mit unabhängiger Wahrheitsliebe besprach ich den Mann, welcher damals den Mittelpunkt aller Besprechungen bildete, und ich referierte immer getreu, was ich hörte. Es war für mich eine Ehrensache, die Berichte, worin ich den Charakter und die gouvernementalen Ideen (nicht die administrativen Akte) des großen Staatsmannes am wärmsten würdigte, hier in diesem Buche ganz unverändert abzudrucken, obgleich dadurch manche Wiederholungen entstehen mußten. Der geneigte Leser wird bemerken, diese Besprechungen gehen nicht weiter als bis gegen Ende des Jahres 1843, wo ich überhaupt aufhörte, politische Artikel für die »Allgemeine Zeitung« zu schreiben, und mich darauf beschränkte, dem Redakteur derselben in unserer Privatkorrespondenz manchmal freundschaftliche Mitteilungen zu machen; nur dann und wann veröffentlichte ich einen Artikel über Wissenschaft und schöne Künste.
Das ist nun das Schweigen, das Nichtschreiben, wovon die »Allgemeine Zeitung« spricht und das mir als einen Verkauf meiner Redefreiheit ausgedeutet werden sollte. Lag nicht viel näher die Annahme, daß ich um jene Zeit in meinem Glauben an Guizot schwankend, überhaupt an ihm irre geworden sein mochte? Ja, das war der Fall, doch im März 1848 geziemte mir kein solches Geständnis. Das erlaubten damals weder Pietät noch Anstand. Ich mußte mich darauf beschränken, der treulosen Insinuation, welche mein plötzliches Verstummen der Bestechung zuschrieb, in der erwähnten Erklärung bloß das rein Faktische meines Verhältnisses zum Guizotschen Ministerio entgegenzustellen. Ich wiederhole hier diese Tatsachen. Vor dem 29. November 1840, wo Herr Guizot das Ministerium übernahm, hatte ich nie die Ehre gehabt, denselben zu sehen. Erst einen Monat später machte ich ihm einen Besuch, um ihm dafür zu danken, daß die Komptabilität seines Departements von ihm die Weisung erhalten hatte, mir auch unter dem neuen Ministerium meine jährliche Unterstützungspension nach wie vor in monatlichen Terminen auszuzahlen. Jener Besuch war der erste und zugleich der letzte, den ich in diesem Leben dem illustren Manne abstattete. In der Unterredung, womit er mich beehrte, sprach er mit Tiefsinn und Wärme seine Hochschätzung für Deutschland aus, und diese Anerkennung meines Vaterlandes sowie auch die schmeichelhaften Worte, welche er mir über meine eignen literarischen Erzeugnisse sagte, waren die einzige Münze, mit welcher er mich bestochen hat. Nie fiel es ihm ein, irgendeinen Dienst von mir zu verlangen. Und am allerwenigsten mochte es dem stolzen Manne, der nach Impopularität lechzte, in den Sinn kommen, eine kümmerliche Lobspende in der französischen Presse oder in der Augsburger »Allgemeinen Zeitung« von mir zu verlangen, von mir, der ihm bisher ganz fremd war, während weit gravitätischere und also zuverlässigere Leute, wie der Baron von Eckstein oder der Historiograph Capefigue, welche beide, wie oben bemerkt, ebenfalls Mitarbeiter der »Allgemeinen Zeitung« waren, mit Herrn Guizot in vieljährigem gesellschaftlichen Verkehr gestanden und gewiß ein delikates Vertrauen verdient hätten. Seit der erwähnten Unterredung habe ich Herrn Guizot nie wieder gesehen; nie sah ich seinen Sekretär oder sonst jemand, der in seinem Bureau arbeitete. Nur zufällig erfuhr ich einst, daß Herr Guizot von transrhenanischen Gesandtschaften oft und dringend angegangen worden, mich aus Paris zu entfernen. Nicht ohne Lachen konnte ich dann an die ärgerlichen Gesichter denken, welche jene Reklamanten geschnitten haben mochten, als sie entdeckten, daß der Minister, von welchem sie meine Ausweisung verlangt, mich obendrein durch ein Jahrgehalt unterstützte. Wie wenig derselbe wünschte, dieses edle Verfahren divulgiert zu sehen, begriff ich ohne besondern Wink, und diskrete Freunde, denen ich nichts verhehlen kann, teilten meine Schadenfreude.
Für diese Belustigung und die Großmut, womit er mich behandelt, war ich Herrn Guizot gewiß zu großem Dank verpflichtet. Doch als ich in meinem Glauben an seine Standhaftigkeit gegen königliche Zumutungen irre ward, als ich ihn vom Willen Ludwig Philipps allzu verderblich beherrscht sah und den großen, entsetzlichen Irrtum dieses autokratischen Starrwillens, dieses unheilvollen Eigensinns begriff: da würde wahrlich nicht der psychische Zwang der Dankbarkeit mein Wort gefesselt haben, ich hätte gewiß mit ehrfurchtsvoller Betrübnis die Mißgriffe gerügt, wodurch das allzu nachgiebige Ministerium, oder vielmehr der betörte König, das Land und die Welt dem Untergang entgegenführte. Aber es knebelten meine Feder auch brutale physische Hindernisse, und diese reelle Ursache meines Schweigens, meines Nichtschreibens, kann ich erst heute öffentlich enthüllen.
Ja, im Fall ich auch das Gelüste empfunden hätte, in der »Allgemeinen Zeitung« gegen das unselige Regierungssystem Ludwig Philipps nur eine Silbe drucken zu lassen, so wäre mir solches unmöglich gewesen, aus dem ganz einfachen Grunde: weil der kluge König schon vor dem 29. November gegen einen solchen verbrecherischen Korrespondenteneinfall, gegen ein solches Attentat, seine Maßregeln genommen, indem er höchstselbst geruhte, den damaligen Zensor der »Allgemeinen Zeitung« zu Augsburg nicht bloß zum Ritter, sondern sogar zum Offizier der französischen Ehrenlegion zu ernennen. So groß auch meine Vorliebe für den seligen König war, so fand doch der Augsburger Zensor, daß ich nicht genug liebte, und er strich jedes mißliebige Wort, und sehr viele meiner Artikel über die königliche Politik blieben ganz ungedruckt. Aber kurz nach der Februarrevolution, wo mein armer Ludwig Philipp ins Exil gewandert war, erlaubte mir weder die Pietät noch der Anstand die Veröffentlichung einer solchen Tatsache, selbst im Fall der Augsburger Zensor ihr sein Imprimatur verliehen hätte.
Ein anderes, ähnliches Geständnis gestattete damals nicht die Zensur des Herzens, die noch weit ängstlicher als die der »Allgemeinen Zeitung«. Nein, kurz nach dem Sturze Guizots durfte ich nicht öffentlich eingestehen, daß ich vorher auch aus Furcht schwieg. Ich mußte mir nämlich Anno 1844 gestehen, daß, wenn Herr Guizot von meiner Korrespondenz erführe und die darin enthaltene Kritik ihm einigermaßen mißfiele, der leidenschaftliche Mann wohl fähig gewesen wäre, die Gefühle der Großmut überwindend, dem unbequemen Kritiker in einer sehr summarischen Weise das Handwerk zu legen. Mit der Ausweisung des Korrespondenten aus Paris hätte auch seine Pariser Korrespondenz notwendigerweise ein Ende gehabt. In der Tat, Se. Magnifizenz hatte die Fasces der Gewalt in Händen, er konnte mir zu jeder Zeit das Consilium abeundi erteilen, und ich mußte dann auf der Stelle den Ranzen schnüren. Seine Pedelle in blauer Uniform mit zitronengelben Aufschlägen hätten mich bald meinen Pariser kritischen Studien entrissen und bis an jene Pfähle begleitet, »die wie das Zebra sind gestreift«, wo mich andere Pedelle mit noch viel fataleren Livreen und germanisch ungeschliffenern Manieren in Empfang genommen hätten, um mir die Honneurs des Vaterlandes zu machen – -
Aber, unglücklicher Poet, warst du nicht durch deine französische Naturalisation hinlänglich geschützt gegen solche Ministerwillkür?
Ach, die Beantwortung dieser Frage entreißt mir ein Geständnis, das vielleicht die Klugheit geböte zu verschweigen. Aber die Klugheit und ich, wir haben schon lange nicht mehr aus derselben Kumpe gegessen – und ich will heute rücksichtslos bekennen, daß ich mich nie in Frankreich naturalisieren ließ und meine Naturalisation, die für eine notorische Tatsache gilt, dennoch nur ein deutsches Märchen ist. Ich weiß nicht, welcher müßige oder listige Kopf dasselbe ersonnen. Mehre Landsleute wollten freilich aus authentischer Quelle diese Naturalisation erschnüffelt haben; sie referierten darüber in deutschen Blättern, und ich unterstützte den irrigen Glauben durch Schweigen. Meine lieben literarischen und politischen Gegner in der Heimat, und manche sehr einflußreiche intime Feinde hier in Paris, wurden dadurch irregeleitet und glaubten, ich sei durch ein französisches Bürgerrecht gegen mancherlei Vexationen und Machinationen geschützt, womit der Fremde, der hier einer exzeptionellen Jurisdiktion unterworfen ist, so leicht heimgesucht werden kann. Durch diesen wohltätigen Irrtum entging ich mancher Böswilligkeit und auch mancher Ausbeutung von Industriellen, die in geschäftlichen Konflikten ihre Bevorrechtung benutzt hätten. Ebenso widerwärtig wie kostspielig wird auf die Länge in Paris der Zustand des Fremden, der nicht naturalisiert ist. Man wird geprellt und geärgert, und zumeist eben von naturalisierten Ausländern, die am schäbigsten darauf erpicht sind, ihre erworbenen Befugnisse zu mißbrauchen. Aus mißmütiger Fürsorge erfüllte ich einst die Formalitäten, die zu nichts verpflichten und uns doch in den Stand setzen, nötigstenfalls die Rechte der Naturalisation ohne Zögernis zu erlangen. Aber ich hegte immer eine unheimliche Scheu vor dem definitiven Akt. Durch dieses Bedenken, durch diese tiefeingewurzelte Abneigung gegen die Naturalisation, geriet ich in eine falsche Stellung, die ich als die Ursache aller meiner Nöten, Kümmernisse und Fehlgriffe während meinem dreiundzwanzigjährigen Aufenthalt in Paris betrachten muß. Das Einkommen eines guten Amtes hätte hier meinen kostspieligen Haushalt und die Bedürfnisse einer nicht sowohl launischen als vielmehr menschlich freien Lebensweise hinreichend gedeckt – aber ohne vorhergehende Naturalisation war mir der Staatsdienst verschlossen. Hohe Würden und fette Sinekuren stellten mir meine Freunde lockend genug in Aussicht, und es fehlte nicht an Beispielen von Ausländern, die in Frankreich die glänzendsten Stufen der Macht und der Ehre erstiegen – Und ich darf es sagen, ich hätte weniger als andere mit einheimischer Scheelsucht zu kämpfen gehabt, denn nie hatte ein Deutscher in so hohem Grade wie ich die Sympathie der Franzosen gewonnen, sowohl in der literarischen Welt als auch in der hohen Gesellschaft, und nicht als Gönner, sondern als Kamerad pflegte der Vornehmste meinen Umgang. Der ritterliche Prinz, der dem Throne am nächsten stand und nicht bloß ein ausgezeichneter Feldherr und Staatsmann war, sondern auch das »Buch der Lieder« im Original las, hätte mich gar zu gern in französischen Diensten gesehen, und sein Einfluß wäre groß genug gewesen, um mich in solcher Laufbahn zu fördern. Ich vergesse nicht die Liebenswürdigkeit, womit einst im Garten des Schlosses einer fürstlichen Freundin der große Geschichtschreiber der französischen Revolution und des Empires, welcher damals der allgewaltige Präsident des Konseils war, meinen Arm ergriff und, mit mir spazierengehend, lange und lebhaft in mich drang, daß ich ihm sagen möchte, was mein Herz begehre, und daß er sich anheischig mache, mir alles zu verschaffen. – Im Ohr klingt mir noch jetzt der schmeichlerische Klang seiner Stimme, in der Nase prickelt mir noch der Duft des großen blühenden Magnoliabaums, dem wir vorübergingen und der mit seinen alabasterweißen vornehmen Blumen in die blauen Lüfte emporragte, so prachtvoll, so stolz, wie damals, in den Tagen seines Glückes, das Herz des deutschen Dichters!
Ja, ich habe das Wort genannt. Es war der närrische Hochmut des deutschen Dichters, der mich davon abhielt, auch nur pro forma ein Franzose zu werden. Es war eine ideale Grille, wovon ich mich nicht losmachen konnte. In bezug auf das, was wir gewöhnlich Patriotismus nennen, war ich immer ein Freigeist, doch konnte ich mich nicht eines gewissen Schauers erwehren, wenn ich etwas tun sollte, was nur halbweg als ein Lossagen vom Vaterlande erscheinen mochte. Auch im Gemüte des Aufgeklärtesten nistet immer ein kleines Alräunchen des alten Aberglaubens, das sich nicht ausbannen läßt; man spricht nicht gern davon, aber es treibt in den geheimsten Schlupfwinkeln unsrer Seele sein unkluges Wesen. Die Ehe, welche ich mit Unserer Lieben Frau Germania, der blonden Bärenhäuterin, geführt, war nie eine glückliche gewesen. Ich erinnere mich wohl noch einiger schönen Mondscheinnächte, wo sie mich zärtlich preßte an ihren großen Busen mit den tugendhaften Zitzen – doch diese sentimentalen Nächte lassen sich zählen, und gegen Morgen trat immer eine verdrießlich gähnende Kühle ein und begann das Keifen ohne Ende. Auch lebten wir zuletzt getrennt von Tisch und Bett. Aber bis zu einer eigentlichen Scheidung sollte es nicht kommen. Ich habe es nie übers Herz bringen können, mich ganz loszusagen von meinem Hauskreuz. Jede Abtrünnigkeit ist mir verhaßt, und ich hätte mich von keiner deutschen Katze lossagen mögen, nicht von einem deutschen Hund, wie unausstehlich mir auch seine Flöhe und Treue. Das kleinste Ferkelchen meiner Heimat kann sich in dieser Beziehung nicht über mich beklagen. Unter den vornehmen und geistreichen Säuen von Périgord, welche die Trüffeln erfunden und sich damit mästen, verleugnete ich nicht die bescheidenen Grünzlinge, die daheim im Teutoburger Wald nur mit der Frucht der vaterländischen Eiche sich atzen aus schlichtem Holztrog, wie einst ihre frommen Vorfahren, zur Zeit, als Arminius den Varus schlug. Ich habe auch nicht eine Borste meines Deutschtums, keine einzige Schelle an meiner deutschen Kappe eingebüßt, und ich habe noch immer das Recht, daran die schwarzrotgoldene Kokarde zu heften. Ich darf noch immer zu Maßmann sagen: »Wir deutsche Esel!« Hätte ich mich in Frankreich naturalisieren lassen, würde mir Maßmann antworten können: »Nur ich bin ein deutscher Esel, du aber bist es nicht mehr« – und er schlüge dabei einen verhöhnenden Burzelbaum, der mir das Herz bräche. Nein, solcher Schmach habe ich mich nicht ausgesetzt. Die Naturalisation mag für andere Leute passen; ein versoffener Advokat aus Zweibrücken, ein Strohkopf mit einer eisernen Stirn und einer kupfernen Nase, mag immerhin, um ein Schulmeisteramt zu erschnappen, ein Vaterland aufgeben, das nichts von ihm weiß und nie etwas von ihm erfahren wird – aber dasselbe geziemt sich nicht für einen deutschen Dichter, welcher die schönsten deutschen Lieder gedichtet hat. Es wäre für mich ein entsetzlicher, wahnsinniger Gedanke, wenn ich mir sagen müßte, ich sei ein deutscher Poet und zugleich ein naturalisierter Franzose. – Ich käme mir selber vor wie eine jener Mißgeburten mit zwei Köpfchen, die man in den Buden der Jahrmärkte zeigt. Es würde mich beim Dichten unerträglich genieren, wenn ich dächte, der eine Kopf finge auf einmal an, im französischen Truthahnpathos die unnatürlichsten Alexandriner zu skandieren, während der andere in den angebornen wahren Naturmetren der deutschen Sprache seine Gefühle ergösse. Und ach! unausstehlich sind mir, wie die Metrik, so die Verse der Franzosen, dieser parfümierte Quark – kaum ertrage ich ihre ganz geruchlosen besseren Dichter. – Wenn ich jene sogenannte poésie lyrique der Franzosen betrachte, erkenne ich erst ganz die Herrlichkeit der deutschen Dichtkunst, und ich könnte mir alsdann wohl etwas darauf einbilden, daß ich mich rühmen darf, in diesem Gebiete meine Lorbeern errungen zu haben. – Wir wollen auch kein Blatt davon aufgeben, und der Steinmetz, der unsre letzte Schlafstätte mit einer Inschrift zu verzieren hat, soll keine Einrede zu gewärtigen haben, wenn er dort eingräbt die Worte: »Hier ruht ein deutscher Dichter.«