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Heinrich Heine
Lutetia – Erster Teil






II

Paris, den 1. März 1840


Thiers steht heute im vollen Lichte seines Tages. Ich sage heute, ich verbürge mich nicht für morgen. – Daß Thiers jetzt Minister ist, alleiniger, wahrhaftiger Gewaltminister, unterliegt keinem Zweifel, obgleich viele Personen, mehr aus Schelmerei denn aus Überzeugung, daran nicht glauben wollen, ehe sie die Ordonnanzen unterzeichnet sähen, schwarz auf weiß im »Moniteur«. Sie sagen, bei der zögernden Weise des Fabius Cunctator des Königtums sei alles möglich; vorigen Mai habe sich der Handel zerschlagen, als Thiers bereits zur Unterzeichnung die Feder in die Hand genommen. Aber diesmal, bin ich überzeugt, ist Thiers Minister – »schwören will ich darauf, aber nicht wetten«, sagte einst Fox bei einer ähnlichen Gelegenheit. Ich bin nun neugierig, in wieviel Zeit seine Popularität wieder demoliert sein wird. Die Republikaner sehen jetzt in ihm ein neues Bollwerk des Königtums, und sie werden ihn gewiß nicht schonen. Großmut ist nicht ihre Art, und die republikanische Tugend verschmäht nicht die Allianz mit der Lüge. Morgen schon werden die alten Verleumdungen aus den modrigsten Schlupfwinkeln ihre Schlangenköpfchen hervorrecken und freundlich züngeln. Die armen Kollegen werden ebenfalls stark herhalten. »Ein Karnevalsministerium«, rief man schon gestern abend, als der Name des Ministers des Unterrichts genannt wurde. Das Wort hat dennoch eine gewisse Wahrheit. Ohne die Besorgnis vor den drei Karnevalstagen hätte man sich mit der Bildung des Ministeriums vielleicht nicht so sehr geeilt. Aber heute ist schon Faschingsonntag, in diesem Augenblick wälzt sich bereits der Zug des boeuf gras durch die Straßen von Paris, und morgen und übermorgen sind die gefährlichsten Tage für die öffentliche Ruhe. Das Volk überläßt sich dann einer wahnsinnigen, fast verzweiflungsvollen Lust, alle Tollheit ist grauenhaft entzügelt, und der Freiheitsrausch trinkt dann leicht Brüderschaft mit der Trunkenheit des gewöhnlichen Weins. – Mummerei gegen Mummerei, und das neue Ministerium ist vielleicht eine Maske des Königs für den Karneval.






© Wolfgang Fricke