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Heinrich Heine
Lutetia – Erster Teil






VII

Paris, 14. Mai 1840


Die offizielle Ankündigung in betreff der sterblichen Reste Napoleons hat hier eine Wirkung hervorgebracht, die alle Erwartungen des Ministeriums übertraf. Das Nationalgefühl ist aufgeregt bis in seine abgründlichsten Tiefen, und der große Akt der Gerechtigkeit, die Genugtuung, die dem Riesen unseres Jahrhunderts widerfährt und alle edlen Herzen dieses Erdballs erfreuen muß, erscheint den Franzosen als der Anfang einer Rehabilitation ihrer gekränkten Volksehre. Napoleon ist ihr Point d'honneur.

Während aber der kluge Präsident des Konseils die Nationaleitelkeit unserer lieben Kechenäer, der Maulaufsperrer an der Seine, mit Erfolg zu kitzeln und auszubeuten weiß, zeigt er sich sehr indifferent, ja mehr als indifferent in einer Sache, wo nicht die Interessen eines Landes oder eines Volks, sondern die Interessen der Menschheit selbst in Betracht kommen. Ist es Mangel an liberalem Gefühl oder an Scharfsinn, was ihn verleitete, für den französischen Konsul, dem in der Tragödie zu Damaskus die schändlichste Rolle zugeschrieben wird, offenbar Partei zu nehmen? Nein, Herr Thiers ist ein Mann von großer Einsicht und Humanität, aber er ist auch Staatsmann, er bedarf nicht bloß der revolutionären Sympathien, er hat Helfer nötig von jeder Sorte, er muß transigieren, er braucht eine Majorität in der Pairskammer, er kann den Klerus als ein gouvernementales Mittel benützen, nämlich jenen Teil des Klerus, der, von der ältern bourbonischen Linie nichts mehr erwartend, sich der jetzigen Regierung angeschlossen hat. Zu diesem Teil des Klerus, welchen man den clergé rallié nennt, gehören sehr viele Ultramontanen, deren Organ ein Journal namens »Univers«; letztere erwarten das Heil der Kirche von Herrn Thiers, und dieser sucht wieder in jenen seine Stütze. Graf Montalembert, das rührigste Mitglied der frommen Gesellschaft und seit dem 1. März auch Séide des Herrn Thiers, ist der sichtbare Vermittler zwischen dem Sohn der Revolution und den Vätern des Glaubens, zwischen dem ehemaligen Redakteur des »National« und den jetzigen Redaktoren des »Univers«, die in ihren Kolonnen alles mögliche aufbieten, um der Welt glauben zu machen, die Juden fräßen alte Kapuziner und der Graf Ratti-Menton sei ein ehrlicher Mann. Graf Ratti-Menton, ein Freund, vielleicht nur ein Werkzeug der Freunde des Grafen Montalembert, war früher französischer Konsul in Sizilien, wo er zweimal bankerott machte und fortgeschafft ward. Später war er Konsul in Tiflis, wo er ebenfalls das Feld räumen mußte, und zwar wegen Dingen, die nicht sonderlich ehrender Art sind; nur soviel will ich bemerken, daß damals der russische Botschafter in Paris, Graf Pahlen, dem hiesigen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Grafen Molé, die bestimmte Anzeige machte: im Fall man den Herrn Ratti-Menton nicht von Tiflis abberufe, werde die kaiserlich russische Regierung denselben schimpflich zu entfernen wissen. Man hätte das Holz, wodurch man Flammen schüren will, nicht von so faulem Baume nehmen sollen!






© Wolfgang Fricke