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Heinrich Heine
Lutetia – Erster Teil






XXVI

Paris, 7. November 1840


Der König hat geweint. Er weinte öffentlich, auf dem Throne, umgeben von allen Würdeträgern des Reichs, angesichts seines ganzen Volks, dessen erwählte Vertreter ihm gegenüberstanden, und Zeugen dieses kummervollen Anblicks waren alle Fürsten des Auslandes, repräsentiert in der Person ihrer Gesandten und Abgeordneten. Der König weinte! Dieses ist ein betrübendes Ereignis. Viele verdächtigen diese Tränen des Königs und vergleichen sie mit denen des Reineke. Aber ist es nicht schon hinlänglich tragisch, wenn ein König so sehr bedrängt und geängstet worden, daß er zu dem feuchten Hülfsmittel des Weinens seine Zuflucht genommen? Nein, Ludwig Philipp, der königliche Dulder, braucht nicht eben seinen Tränendrüsen Gewalt auzutun, wenn er an die Schrecknisse denkt, wovon er, sein Volk und die ganze Welt bedroht ist. –

Über die Stimmung der Kammer läßt sich noch nichts Bestimmtes vermelden. Und doch hängt alles davon ab, die innere wie die äußere Ruhe Frankreichs und der ganzen Welt. Entsteht ein bedeutender Zwiespalt zwischen den Bourgeoisnotabilitäten der Kammer und der Krone, so zögern die Häuptlinge des Radikalismus nicht länger mit einem Aufstand, der schon im geheimen organisiert wird und der nur auf die Stunde harrt, wo der König nicht mehr auf den Beistand der Deputiertenkammer rechnen kann. Solange beide Teile nur schmollen, aber doch ihren Ehekontrakt nicht verletzen, kann kein Umsturz der Regierung gelingen, und das wissen die Rädelsführer der Bewegung sehr gut, deshalb verschlucken sie für den Augenblick all ihren Grimm und hüten sich vor jedem unzeitigen Schilderheben. Die Geschichte Frankreichs zeigt, daß jede bedeutende Phase der Revolution immer parlamentarische Anfänge hatte und die Männer des gesetzlichen Widerstandes immer mehr oder minder deutlich dem Volk das furchtbare Signal gaben. Durch diese Teilnahme, wir möchten fast sagen, Komplizität eines Parlaments ist das Interregnum der rohen Fäuste nie von langer Dauer, und die Franzosen sind vor der Anarchie viel mehr geschützt als andere Völker, die im revolutionären Zustand sind, z.B. die Spanier. Das sahen wir in den Tagen des Julius, wo das Parlament, die legislative Versammlung, sich in einen exekutierenden Konvent verwandelte. Es ist wieder eine solche Umwandlung, die man im schlimmsten Fall erwartet.






© Wolfgang Fricke