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Paris, 12. November 1840
Die Geburt des Herzogs von Chartres ist ein Nachtrag zur Kronrede. »Mitleid, das nackte Kindlein« – sagt Shakespeare. Und das Kindlein ist obendrein ein Prinz von Geblüt und also bestimmt, die traurigsten Prüfungen zu erdulden, wo nicht gar die königliche Dornenkrone von Frankreich auf dem Haupte zu tragen! Gebt ihm eine deutsche Hebamme, damit er die Milch der Geduld sauge. Er befindet sich frisch und gesund. Das kluge Kind hat gleich seine Situation begriffen und gleich zu weinen angefangen. Übrigens soll es dem Großvater sehr ähnlich sehen. Letzterer jauchzt vor Freude. Wir gönnen ihm von Herzen diesen Trost, diesen Balsam; hat er doch in der letzten Zeit soviel gelitten! Ludwig Philipp ist der vortrefflichste Hausvater, und eben die übertriebene Sorgfalt für das Glück seiner Familie brachte ihn in so viele Kollisionen mit den Nationalinteressen der Franzosen. Eben weil er Kinder hat und sie liebt, hegt er auch die entschiedenste Zärtlichkeit für den Frieden. Kriegslustige Fürsten sind gewöhnlich kinderlos. Dieser Sinn für Häuslichkeit und häusliches Glück, wie dergleichen bei Ludwig Philipp vorherrschend, ist gewiß ehrenwert, und jedenfalls ist das allerhöchste Muster von dem heilsamsten Einfluß auf die Sitten. Der König ist tugendhaft im bürgerlichsten Geschmack, sein Haus ist das honetteste von ganz Frankreich, und die Bourgeoisie, die ihn zu ihrem Statthalter gewählt, hat noch immer hinlängliche Gründe, mit ihm zufrieden zu sein.
Solange die Bourgeoisie am Ruder steht, droht der jetzigen Dynastie keine Gefahr. Wie soll es aber gehen, wenn Stürme aufsteigen, wo stärkere Fäuste zum Ruder greifen und die Hände der Bourgeoisie, die mehr geeignet zum Geldzählen und Buchführen, sich ängstlich zurückziehen? Die Bourgeoisie wird noch weit weniger Widerstand leisten als die ehemalige Aristokratie; denn selbst in ihrer kläglichsten Schwäche, in ihrer Erschlaffung durch Sittenlosigkeit, in ihrer Entartung durch Kurtisanerie, war die alte Noblesse doch noch beseelt von einem gewissen Point d'honneur, das unsrer Bourgeoisie fehlt, die durch den Geist der Industrie emporblüht, aber auch untergehen wird. Man prophezeit ihr einen 10. August, aber ich zweifle, ob die bürgerlichen Ritter des Juliusthrons sich so heldenmütig zeigen werden wie die gepuderten Marquis des alten Regimes, die, in seidenen Röcken und mit dünnen Galanteriedegen, sich dem eindringenden Volke in den Tuilerien entgegensetzten.
Die Nachrichten, die uns aus dem Osten zukommen, sind für die Franzosen sehr betrübend. Die Autorität Frankreichs ist im Orient unwiederbringlich verloren und wird die Beute von England und Rußland. Die Engländer haben erlangt, was sie wollten, die tatsächliche Obmacht in Syrien, die Sicherung ihrer Handelsstraße nach Indien: der Euphrat, einer der vier Paradiesflüsse, wird ein englisches Gewässer, worauf man mit dem Dampfschiffe fährt, wie nach Ramsgate und Margate usw. – auf Tower Street ist das Steamboat-Office, wo man sich einschreibt – zu Bagdad, dem alten Babylon, steigt man aus und trinkt Porter oder Tee. – Die Engländer schwören täglich in ihren Blättern, daß sie keinen Krieg wollten und daß der famose Pazifikationstraktat nicht im mindesten die Interessen Frankreichs verletzen und die Fackel des Kriegs in die Welt schleudern sollte – und dennoch war es der Fall: die Engländer haben die Franzosen aufs bitterste beleidigt und die ganze Welt einem allgemeinen Brande ausgesetzt, um für sich einige Schachvorteile zu erzielen! Aber die Selbstsucht sorgte nur für den Moment, und die Zukunft bereitet ihr die Strafe. Die Vorteile, die Rußland durch den erwähnten Traktat erntete, sind zwar nicht von so barer Münze, man kann sie nicht so schnell berechnen und einkassieren, aber sie sind von unschätzbarstem Werte für seine Zukunft. Zunächst ward dadurch die Allianz zwischen Frankreich und England aufgelöst, was ein wichtiger Gewinn für Rußland, das früh oder spät mit einer jener Mächte in die Schranken treten muß. Dann ward die Macht jenes Ägyptiers vernichtet, der, wenn er sich an die Spitze der Moslemin stellte, imstande war, das türkische Reich zu schützen vor den Russen, die es schon als ihr Eigentum betrachten. Und noch viele Vorteile der Art haben die Russen erbeutet, und zwar ohne großen Aufwand von Gefahr, da, im Fall eines Kriegs, die Franzosen nicht bis zu ihnen hinüberreichen könnten, ebensowenig wie sie den Engländern beizukommen vermöchten. Zwischen England und dem Zorn der Franzosen liegt das Meer, zwischen den letztern und den Russen liegt Deutschland; – und wir armen Deutschen, durch den Zufall der Örtlichkeit, wir hätten uns schlagen müssen für Dinge, die uns gar nichts angehen, für nichts und wieder nichts, gleichsam für des Kaisers Bart. – Ach, wäre es noch für den Bart eines Kaisers!