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Heinrich Heine
Lutetia – Erster Teil






XXXII

Paris, 31. März 1841


Die Debatten in der Deputiertenkammer über das literarische Eigentum sind sehr unersprießlich. Es ist aber jedenfalls ein bedeutendes Zeichen der Zeit, daß die heutige Gesellschaft, die auf dem Eigentumsrechte basiert ist, auch den Geistern eine gewisse Teilnahme an solchem Besitzprivilegium gestatten möchte, aus Billigkeitsgefühl oder vielleicht auch als Bestechung! Kann der Gedanke Eigentum werden? Ist das Licht das Eigentum der Flamme, wo nicht gar des Kerzendochts? Ich enthalte mich jedes Urteils über solche Frage und freue mich nur darüber, daß ihr dem armen Dochte, der sich brennend verzehrt, eine kleine Vergütung verwilligen wollt für sein großes, gemeinnütziges Beleuchtungsverdienst!

Das Schicksal des Mehemed Ali wird hier weniger besprochen, als man glauben sollte; doch will es mich bedünken, als herrsche in den Gemütern ein um so tieferes Mitleid für den Mann, der dem Sterne Frankreichs zuviel vertraut hat. Das Ansehen der Franzosen im Orient geht verloren, und dieser Verlust wirkt auch mißlich auf ihre okzidentalischen Verhältnisse; Sterne, an die man nicht mehr glauben kann, erbleichen. – Als die amerikanischen Händel sich so bedenklich gestalteten, ward von englischer Seite die Ausgleichung der ägyptischen Erblichkeitsfrage aufs emsigste betrieben. Frankreich hatte da leichtes Spiel, zum Besten des Paschas zu agieren; das Ministerium scheint aber nichts getan zu haben, um den getreusten Alliierten zu retten.

Die amerikanischen Händel sind es aber nicht allein, was die Engländer antreibt, die ägyptische Erblichkeitsfrage so bald als möglich abzufertigen und somit die französische Diplomatie wieder in den Stand zu setzen, an den Beratungen und Beschlüssen der europäischen Großmächte teilzunehmen. Die Dardanellenfrage steht drohend vor der Tür, verlangt schnelle Entscheidung, und hier rechnen die Engländer auf die konferenzielle Stütze des französischen Kabinetts, dessen Interessen bei dieser Gelegenheit mit ihren eigenen übereinstimmen, Rußland gegenüber.

Ja, die sogenannte Dardanellenfrage ist von der höchsten Wichtigkeit, und nicht bloß für die erwähnten Großmächte, sondern für uns alle, für den Kleinsten wie für den Größten für Reuß-Schleiz-Greiz und Hinterpommern ebensogut wie für das allmächtige Österreich, für den geringsten Schuhflicker wie für den reichsten Lederfabrikanten; denn das Schicksal der Welt selbst steht hier in Frage, und diese Frage muß an den Dardanellen gelöst werden, gleichviel in welcher Weise. Solange dieses nicht geschehen, kränkelt Europa an einem heimlichen Übel, das ihm keine Ruhe läßt und das, je später, desto entsetzlicher, am Ende zum Ausbruch kommt. Die Dardanellenfrage ist nur ein Symptom der orientalischen Frage selbst, der türkischen Erbschaftsfrage, des Grundübels, woran wir siechen, des Krankheitsstoffs, der im europäischen Staatskörper gärt und der leider nur gewaltsam ausgeschieden, vielleicht nur mit dem Schwerte ausgeschnitten werden kann. Wenn sie auch von ganz andern Dingen sprechen, so schielen doch alle Machthaber nach den Dardanellen, nach der Hohen Pforte, nach dem alten Byzanz, nach Stambul, nach Konstantinopel – das Gehreste hat viele Namen. Wäre im europäischen Staatsrechte das Prinzip der Volkssouveränetät sanktioniert, so könnte das Zusammenbrechen des Osmanischen Kaisertums nicht für die übrige Welt so gefährlich sein, da alsdann in dem aufgelösten Reiche die einzelnen Völker sich bald ihre besondern Regenten selbst erwählen und sich so gut als möglich fortregieren lassen würden. Aber im allergrößten Teil Europas herrscht noch das Dogma des Absolutismus, wonach Land und Leute das Eigentum des Fürsten sind und dieses Eigentum durch das Recht des Stärkern, durch die ultima ratio regis, das Kanonenrecht, erwerbbar ist. – Was Wunder, daß keiner der hohen Potentaten den Russen die große Erbschaft gönnen wird und jeder ein Stück von dem morgenländischen Kuchen haben will; jeder wird Appetit bekommen, wenn er sieht, wie die Barbaren des Nordens sich gütlich tun, und der kleinste deutsche Duodezfürst wird wenigstens auf ein Biergeld Anspruch machen. Das sind die menschlichen Antriebe, weshalb der Untergang der Türkei für die Welt verderblich werden muß. Die politischen Beweggründe, warum hauptsächlich England, Frankreich und Österreich nicht erlauben können, daß Rußland sich in Konstantinopel festsetze, sind jedem Schulknaben einleuchtend.

Der Ausbruch eines Krieges, der in der Natur der Dinge liegt, ist aber vorderhand vertagt. Kurzsichtige Politiker, die nur zu Palliativen ihre Zuflucht nehmen, sind beruhigt und hoffen ungetrübte Friedenstage. Besonders unsre Finanziers sehen wieder alles im lieblichsten Hoffnungslichte. Auch der größte derselben scheint sich solcher Täuschung hinzugeben, aber nicht zu jeder Stunde. Herr von Rothschild, welcher seit einiger Zeit etwas unpäßlich schien, ist jetzt wieder ganz hergestellt und sieht gesund und wohl aus. Die Zeichendeuter der Börse, welche sich auf die Physiognomie des großen Barons so gut verstehen, versichern uns, daß die Schwalben des Friedens in seinem Lächeln nisten, daß jede Kriegsbesorgnis aus seinem Gesichte verschwunden, daß in seinen Augen keine elektrischen Gewitterfünkchen sichtbar seien und daß also das entsetzliche Kanonendonnerwetter, das die ganze Welt bedrohte, sich gänzlich verzogen habe. Er niese sogar den Frieden. Es ist wahr, als ich das letztemal die Ehre hatte, Herrn von Rothschild meine Aufwartung zu machen, strahlte er vom erfreulichsten Wohlbehagen, und seine rosige Laune ging fast über in Poesie; denn, wie ich schon einmal erzählt, in solchen heitern Momenten pflegt der Herr Baron den Redefluß seines Humors in Reimen ausströmen zu lassen. Ich fand, daß ihm das Reimen diesmal ganz besonders gelang; nur auf »Konstantinopel« wußte er keinen Reim zu finden, und er kratzte sich an dem Kopf, wie alle Dichter tun, wenn ihnen der Reim fehlt. Da ich selbst auch ein Stück Poet bin, so erlaubte ich mir, dem Herrn Baron zu bemerken, ob sich nicht auf »Konstantinopel« ein russischer »Zobel« reimen ließe. Aber dieser Reim schien ihm sehr zu mißfallen, er behauptete, England würde ihn nie zugeben, und es könnte dadurch ein europäischer Krieg entstehen, welcher der Welt viel Blut und Tränen und ihm selber eine Menge Geld kosten würde.

Herr von Rothschild ist in der Tat der beste politische Thermometer; ich will nicht sagen Wetterfrosch, weil das Wort nicht hinlänglich respektvoll klänge. Und man muß doch Respekt vor diesem Manne haben, sei es auch nur wegen des Respektes, den er den meisten Leuten einflößt. Ich besuche ihn am liebsten in den Bureaux seines Comptoirs, wo ich als Philosoph beobachten kann, wie sich das Volk, und nicht bloß das Volk Gottes, sondern auch alle andern Völker, vor ihm beugen und bücken. Das ist ein Krümmen und Winden des Rückgrats, wie es selbst dem besten Akrobaten schwerfiele. Ich sah Leute, die, wenn sie dem großen Baron nahten, zusammenzuckten, als berührten sie eine voltaische Säule. Schon vor der Tür seines Kabinetts ergreift viele ein Schauer der Ehrfurcht, wie ihn einst Moses auf dem Horeb empfunden, als er merkte, daß er auf dem heiligen Boden stand. Ganz so, wie Moses alsbald seine Schuhe auszog, so würde gewiß mancher Mäkler oder Agent de change, der das Privatkabinett des Herrn von Rothschild zu betreten wagt, vorher seine Stiefel ausziehen, wenn er nicht fürchtete, daß alsdann seine Füße noch übler riechen und den Herrn Baron dieser Mistduft inkommodieren dürfte. Jenes Privatkabinett ist in der Tat ein merkwürdiger Ort, welcher erhabene Gedanken und Gefühle erregt, wie der Anblick des Weltmeeres oder des gestirnten Himmels: wir sehen hier, wie klein der Mensch und wie groß Gott ist! Denn das Geld ist der Gott unserer Zeit, und Rothschild ist sein Prophet.

Vor mehreren Jahren, als ich mich einmal zu Herrn von Rothschild begeben wollte, trug eben ein galonierter Bedienter das Nachtgeschirr desselben über den Korridor, und ein Börsenspekulant, der in demselben Augenblick vorbeiging, zog ehrfurchtsvoll seinen Hut ab vor dem mächtigen Topfe. So weit geht, mit Respekt zu sagen, der Respekt gewisser Leute. Ich merkte mir den Namen jenes devoten Mannes, und ich bin überzeugt, daß er mit der Zeit ein Millionär sein wird. Als ich einst dem Herrn * erzählte, daß ich mit dem Baron Rothschild in den Gemächern seines Comptoirs en famille zu Mittag gespeist, schlug jener mit Erstaunen die Hände zusammen und sagte mir, ich hätte hier eine Ehre genossen, die bisher nur den Rothschilds von Geblüt oder allenfalls einigen regierenden Fürsten zuteil geworden und die er selbst mit der Hälfte seiner Nase einkaufen würde. Ich will hier bemerken, daß die Nase des Herrn *, selbst wenn er die Hälfte einbüßte, dennoch eine hinlängliche Länge behalten würde.

Das Comptoir des Herrn von Rothschild ist sehr weitläufig, ein Labyrinth von Sälen, eine Kaserne des Reichtums; das Zimmer, wo der Baron von Morgen bis Abend arbeitet – er hat ja nichts andres zu tun als zu arbeiten -, ist jüngst sehr verschönert worden. Auf dem Kamin steht jetzt die Marmorbüste des Kaisers Franz von Österreich, mit welchem das Haus Rothschild die meisten Geschäfte gemacht hat. Der Herr Baron will überhaupt aus Pietät die Büsten von allen europäischen Fürsten anfertigen lassen, die durch sein Haus ihre Anleihen gemacht, und diese Sammlung von Marmorbüsten wird eine Walhalla bilden, die weit großartiger sein dürfte als die Regensburger. Ob Herr Rothschild seine Walhallagenossen in Reimen oder im ungereimten königlich bayrischen Lapidarstil feiern wird, ist mir unbekannt.






© Wolfgang Fricke