» Startseite » Texte von Heine » Lutetia - Artikel XXXIII

Heinrich Heine
Lutetia – Erster Teil






XXXIII

Paris, 20. April 1841


Der diesjährige Salon offenbarte nur eine buntgefärbte Ohnmacht. Fast sollte man meinen, mit dem Wiederaufblühen der bildenden Künste habe es bei uns ein Ende; es war kein neuer Frühling, sondern ein leidiger Alteweibersommer. Einen freudigen Aufschwung nahm die Malerei und die Skulptur, sogar die Architektur, bald nach der Juliusrevolution; aber die Schwingen waren nur äußerlich angeheftet, und auf den forcierten Flug folgte der kläglichste Sturz. Nur die junge Schwesterkunst, die Musik, hatte sich mit ursprünglicher, eigentümlicher Kraft erhoben. Hat sie schon ihren Lichtgipfel erreicht? Wird sie sich lange darauf behaupten? Oder wird sie schnell wieder herabsinken? Das sind Fragen, die nur ein späteres Geschlecht beantworten kann. Jedenfalls hat es aber den Anschein, als ob in den Annalen der Kunst unsre heutige Gegenwart vorzugsweise als das Zeitalter der Musik eingezeichnet werden dürfte. Mit der allmählichen Vergeistigung des Menschengeschlechts halten auch die Künste ebenmäßig Schritt. In der frühesten Periode mußte notwendigerweise die Architektur alleinig hervortreten, die unbewußte rohe Größe massenhaft verherrlichend, wie wir's z.B. sehen bei den Ägyptiern. Späterhin erblicken wir bei den Griechen die Blütezeit der Bildhauerkunst, und diese bekundet schon eine äußere Bewältigung der Materie: der Geist meißelte eine ahnende Sinnigkeit in den Stein. Aber der Geist fand dennoch den Stein viel zu hart für seine steigenden Offenbarungsbedürfnisse, und er wählte die Farbe, den bunten Schatten, um eine verklärte und dämmernde Welt des Liebens und Leidens darzustellen. Da entstand die große Periode der Malerei, die am Ende des Mittelalters sich glänzend entfaltete. Mit der Ausbildung des Bewußtseinlebens schwindet bei den Menschen alle plastische Begabnis, am Ende erlischt sogar der Farbensinn, der doch immer an bestimmte Zeichnung gebunden ist, und die gesteigerte Spiritualität, das abstrakte Gedankentum, greift nach Klängen und Tönen, um eine lallende Überschwenglichkeit auszudrücken, die vielleicht nichts anderes ist als die Auflösung der ganzen materiellen Welt: die Musik ist vielleicht das letzte Wort der Kunst, wie der Tod das letzte Wort des Lebens.

Ich habe diese kurze Bemerkung hier vorangestellt, um anzudeuten, weshalb die musikalische Saison mich mehr ängstigt als erfreut. Daß man hier fast in lauter Musik ersäuft, daß es in Paris fast kein einziges Haus gibt, wohin man sich wie in eine Arche retten kann vor dieser klingenden Sündflut, daß die edle Tonkunst unser ganzes Leben überschwemmt – dies ist für mich ein bedenkliches Zeichen, und es ergreift mich darob manchmal ein Mißmut, der bis zur murrsinnigsten Ungerechtigkeit gegen unsre großen Maestri und Virtuosen ausartet. Unter diesen Umständen darf man keinen allzu heitern Lobgesang von mir erwarten für den Mann, den hier die schöne Welt, besonders die hysterische Damenwelt, in diesem Augenblick mit einem wahnsinnigen Enthusiasmus umjubelt und der in der Tat einer der merkwürdigsten Repräsentanten der musikalischen Bewegung ist. Ich spreche von Franz Liszt, dem genialen Pianisten. Ja, der Geniale ist jetzt wieder hier und gibt Konzerte, die einen Zauber üben, der ans Fabelhafte grenzt. Neben ihm schwinden alle Klavierspieler – mit Ausnahme eines einzigen, des Chopin, des Raffaels des Fortepiano. In der Tat, mit Ausnahme dieses Einzigen sind alle andern Klavierspieler, die wir dieses Jahr in unzähligen Konzerten hörten, eben nur Klavierspieler, sie glänzen durch die Fertigkeit, womit sie das besaitete Holz handhaben, bei Liszt hingegen denkt man nicht mehr an überwundene Schwierigkeit, das Klavier verschwindet, und es offenbart sich die Musik. In dieser Beziehung hat Liszt, seit wir ihn zum letztenmal hörten, den wunderbarsten Fortschritt gemacht. Mit diesem Vorzug verbindet er eine Ruhe, die wir früher an ihm vermißten. Wenn er z.B. damals auf dem Pianoforte ein Gewitter spielte, sahen wir die Blitze über sein eigenes Gesicht dahinzucken, wie von Sturmwind schlotterten seine Glieder, und seine langen Haarzöpfe träuften gleichsam vom dargestellten Platzregen. Wenn er jetzt auch das stärkste Donnerwetter spielt, so ragt er doch selber darüber empor, wie der Reisende, der auf der Spitze einer Alpe steht, während es im Tal gewittert: die Wolken lagern tief unter ihm, die Blitze ringeln wie Schlangen zu seinen Füßen, das Haupt erhebt er lächelnd in den reinen Äther.

Trotz seiner Genialität begegnet Liszt einer Opposition hier in Paris, die meistens aus ernstlichen Musikern besteht und seinem Nebenbuhler, dem kaiserlichen Thalberg, den Lorbeer reicht. – Liszt hat bereits zwei Konzerte gegeben, worin er, gegen allen Gebrauch, ohne Mitwirkung anderer Künstler ganz allein spielte. Er bereitet jetzt ein drittes Konzert zum Besten des Monuments von Beethoven. Dieser Komponist muß in der Tat dem Geschmack eines Liszt am meisten zusagen. Namentlich Beethoven treibt die spiritualistische Kunst bis zu jener tönenden Agonie der Erscheinungswelt, bis zu jener Vernichtung der Natur, die mich mit einem Grauen erfüllt, das ich nicht verhehlen mag, obgleich meine Freunde darüber den Kopf schütteln. Für mich ist es ein sehr bedeutungsvoller Umstand, daß Beethoven am Ende seiner Tage taub ward und sogar die unsichtbare Tonwelt keine klingende Realität mehr für ihn hatte. Seine Töne waren nur noch Erinnerungen eines Tones, Gespenster verschollener Klänge, und seine letzten Produktionen tragen an der Stirne ein unheimliches Totenmal.

Minder schauerlich als die Beethovensche Musik war für mich der Freund Beethovens, l'ami de Beethoven, wie er sich hier überall produzierte, ich glaube sogar auf Visitenkarten. Eine schwarze Hopfenstange mit einer entsetzlich weißen Krawatte und einer Leichenbittermiene. War dieser Freund Beethovens wirklich dessen Pylades? Oder gehörte er zu jenen gleichgültigen Bekannten, mit denen ein genialer Mensch zuweilen um so lieber Umgang pflegt, je unbedeutender sie sind und je prosaischer ihr Geplapper ist, das ihm eine Erholung gewährt nach ermüdend poetischen Geistesflügen? Jedenfalls sahen wir hier eine neue Art der Ausbeutung des Genius, und die kleinen Blätter spöttelten nicht wenig über den ami de Beethoven. »Wie konnte der große Künstler einen so unerquicklichen, geistesarmen Freund ertragen!« riefen die Franzosen, die über das monotone Geschwätz jenes langweiligen Gastes alle Geduld verloren. Sie dachten nicht daran, daß Beethoven taub war.

Die Zahl der Konzertgeber während der diesjährigen Saison war Legion, und an mittelmäßigen Pianisten fehlte es nicht, die in öffentlichen Blättern als Mirakel gepriesen wurden. Die meisten sind junge Leute, die in bescheiden eigner Person jene Lobeserhebungen in die Presse fördern. Die Selbstvergötterungen dieser Art, die sogenannten Reklamen, bilden eine sehr ergötzliche Lektüre. Eine Reklame, die jüngst in der »Gazette musicale« enthalten war, meldete aus Marseille, daß der berühmte Döhler auch dort alle Herzen entzückt habe und besonders durch seine interessante Blässe, die, eine Folge überstandener Krankheit, die Aufmerksamkeit der schönen Welt in Anspruch genommen. Der berühmte Döhler ist seitdem nach Paris zurückgekehrt und hat mehre Konzerte gegeben; er spielt in der Tat hübsch, nett und niedlich. Sein Vortrag ist allerliebst, beurkundet eine erstaunliche Fingerfertigkeit, zeugt aber weder von Kraft noch von Geist. Zierliche Schwäche, elegante Ohnmacht, interessante Blässe.

Zu den diesjährigen Konzerten, die im Andenken der Kunstliebhaber forttönen, gehören die Matineen, welche von den Herausgebern der beiden musikalischen Zeitungen ihren Abonnenten geboten wurden. Die »France musicale«, redigiert von den Brüdern Escudier, glänzte in ihrem Konzert durch die Mitwirkung der italienischen Sänger und des Violinspielers Vieuxtemps, der als einer der Löwen der musikalischen Saison betrachtet wurde. Ob sich unter dem zottigen Fell dieses Löwen ein wirklicher König der Bestien oder nur ein armes Grauchen verbirgt, vermag ich nicht zu entscheiden. Ehrlich gesagt, ich kann den übertriebenen Lobsprüchen, die ihm gezollt wurden, keinen Glauben schenken. Es will mich bedünken, als ob er auf der Leiter der Kunst noch nicht eine sonderliche Höhe erklommen. Vieuxtemps steht etwa auf der Mitte jener Leiter, auf deren Spitze wir einst Paganini erblickten und auf deren letzter, unterster Sprosse unser vortrefflicher Sina steht, der berühmte Badegast von Boulogne und Eigentümer eines Autographs von Beethoven. Vielleicht steht Herr Vieuxtemps dem Herrn Sina noch viel näher als dem Niccolò Paganini.

Vieuxtemps ist ein Sohn Belgiens, wie denn überhaupt aus den Niederlanden die bedeutendsten Violinisten hervorgingen. Die Geige ist ja das dortige Nationalinstrument, das von groß und klein, von Mann und Weib kultiviert wird, von jeher, wie wir auf den holländischen Bildern sehen. Der ausgezeichnetste Violinist dieser Landsmannschaft ist unstreitig Bériot, der Gemahl der Malibran; ich kann mich manchmal der Vorstellung nicht erwehren, als säße in seiner Geige die Seele der verstorbenen Gattin und sänge. Nur Ernst, der poesiereiche Böhme, weiß seinem Instrument so schmelzende, so verblutend süße Klagetöne zu entlocken. – Ein Landsmann Bériots ist Artôt, ebenfalls ein ausgezeichneter Violinist, bei dessen Spiel man aber nie an eine Seele erinnert wird: ein geschniegelter, wohlgedrechselter Gesell, dessen Vortrag glatt und glänzend, wie Wachsleinen. Hauman, der Sohn des Brüsseler Nachdruckers, treibt auf der Violine das Metier des Vaters: was er geigt, sind reinliche Nachdrücke der vorzüglichsten Geiger, die Texte hie und da verbrämt mit überflüssigen Originalnoten und vermehrt mit brillanten Druckfehlern. – Die Gebrüder Franco-Mendès, welche auch dieses Jahr Konzerte gaben, wo sie ihr Talent als Violinspieler bewährten, stammen ganz eigentlich aus dem Lande der Trekschuiten und Quispeldorchen. Dasselbe gilt von Batta, dem Violoncellisten; er ist ein geborner Holländer, kam aber früh hieher nach Paris, wo er durch seine knabenhafte Jugendlichkeit ganz besonders die Damen ergötzte. Er war ein liebes Kind und weinte auf seiner Bratsche wie ein Kind. Obgleich er mittlerweile ein großer Junge geworden, so kann er doch die süße Gewohnheit des Greinens nimmermehr lassen, und als er jüngst wegen Unpäßlichkeit nicht öffentlich auftreten konnte, hieß es allgemein: durch das kindische Weinen auf dem Violoncello habe er sich endlich eine wirkliche Kinderkrankheit, ich glaube die Masern, an den Hals gespielt. Er scheint jedoch wieder ganz hergestellt zu sein, und die Zeitungen melden, daß der berühmte Batta nächsten Donnerstag eine musikalische Matinee bereite, welche das Publikum für die lange Entbehrnis seines Lieblings entschädigen werde.

Das letzte Konzert, welches Herr Maurice Schlesinger den Abonnenten seiner »Gazette musicale« gab und das, wie ich bereits angedeutet habe, zu den glänzendsten Erscheinungen der Saison gehörte, war für uns Deutsche von ganz besonderm Interesse. Auch war hier die ganze Landsmannschaft vereinigt, begierig, die Mademoiselle Löwe zu hören, die gefeierte Sängerin, die das schöne Lied von Beethoven, »Adelaide«, in deutscher Zunge sang. Die Italiener und Herr Vieuxtemps, welche ihre Mitwirkung versprochen, ließen während des Konzerts absagen, zur größten Bestürzung des Konzertgebers, welcher mit der ihm eigentümlichen Würde vors Publikum trat und erklärte: Herr Vieuxtemps wolle nicht spielen, weil er das Lokal und das Publikum als seiner nicht angemessen betrachte! Die Insolenz jenes Geigers verdient die strengste Rüge. Das Lokal des Konzertes war der Musardsche Saal der Rue Vivienne, wo man nur während des Karnevals ein bißchen Cancan tanzt, jedoch das übrige Jahr hindurch die anständigste Musik von Mozart, Giacomo Meyerbeer und Beethoven exekutiert. Den italienischen Sängern, einem Signor Rubini und Signor Lablache, verzeiht man allenfalls ihre Laune; von Nachtigallen kann man sich wohl die Prätension gefallen lassen, daß sie nur vor einem Publikum von Goldfasanen und Adlern singen wollen. Aber Mynheer, der flämische Storch, dürfte nicht so wählig sein und eine Gesellschaft verschmähen, worunter sich das honetteste Geflügel, Pfauen und Perlhühner die Menge und mitunter auch die ausgezeichnetsten deutschen Schnapphähne und Mistfinken befanden. – Welcher Art war der Erfolg des Debüts der Mademoiselle Löwe? Ich will die ganze Wahrheit kurz aussprechen: sie sang vortrefflich, gefiel allen Deutschen und machte Fiasko bei den Franzosen.

Was dieses letztere Mißgeschick betrifft, so möchte ich der verehrten Sängerin zu ihrem Troste versichern, daß es eben ihre Vorzüge waren, die einem französischen Sukzeß im Wege standen. In der Stimme der Mlle. Löwe ist deutsche Seele, ein stilles Ding, das sich bis jetzt nur wenigen Franzosen offenbart hat und in Frankreich nur allmählich Eingang findet. Wäre Mlle. Löwe einige Dezennien später gekommen, sie hätte vielleicht größere Anerkennung gefunden. Bis jetzt aber ist die Masse des Volks noch immer dieselbe. Die Franzosen haben Geist und Passion, und beides genießen sie am liebsten in einer unruhigen, stürmischen, gehackten, aufreizenden Form. Dergleichen vermißten sie aber ganz und gar bei der deutschen Sängerin, die ihnen noch obendrein die Beethovensche »Adelaide« vorsang. Dieses ruhige Ausseufzen des Gemütes, diese blauäugigen, schmachtenden Waldeinsamkeitstöne, diese gesungenen Lindenblüten mit obligatem Mondschein, dieses Hinsterben in überirdischer Sehnsucht, dieses erzdeutsche Lied fand kein Echo in französischer Brust und ward sogar als transrhenanische Sensiblerie verspöttelt.

Obgleich Mlle. Löwe hier keinen Beifall fand, geschah doch alles mögliche, um ihr ein Engagement für die Académie royale de musique auszuwirken. Der Name Meyerbeer wurde bei dieser Gelegenheit aufdringlicher in Anschlag gebracht, als es dem verehrten Meister wohl lieb sein möchte. Ist es wahr, wollte Meyerbeer seine neue Oper nicht zur Aufführung geben, im Falle man die Löwe nicht engagierte? Hat Meyerbeer wirklich die Erfüllung der Wünsche des Publikums an eine so kleinliche Bedingung geknüpft? Ist er wirklich so überbescheiden, daß er sich einbildet, der Erfolg seines neuen Werks sei abhängig von der mehr oder minder geschmeidigen Kehle einer Primadonna?

Die zahlreichen Verehrer und Bewunderer des bewunderungswürdigen Meisters sehen mit Betrübnis, wie der Hochgefeierte bei jeder neuen Produktion seines Genius sich mit der Sicherstellung des Erfolgs so unsäglich abmüht und an das winzigste Detail desselben seine besten Kräfte vergeudet. Sein zarter, schwächlicher Körperbau muß darunter leiden. Seine Nerven werden krankhaft überreizt, und bei seinem chronischen Unterleibsleiden wird er oft von der herrschenden Cholerine heimgesucht. Der Geisteshonig, der aus seinen musikalischen Meisterwerken träufelt und uns erquickt, kostet dem Meister selbst die furchtbarsten Leibesschmerzen. Als ich das letztemal die Ehre hatte, ihn zu sehen, erschrak ich über sein miserables Aussehen. Bei seinem Anblick dachte ich an den Diarrhöengott der tartarischen Volkssage, worin schauderhaft drollig erzählt wird, wie dieser bauchgrimmige Kakodämon auf dem Jahrmarkte von Kasan einmal zu seinem eigenen Gebrauche sechstausend Töpfe kaufte, so daß der Töpfer dadurch ein reicher Mann wurde. Möge der Himmel unserm hochverehrten Meister eine bessere Gesundheit schenken, und möge er selber nie vergessen, daß sein Lebensfaden sehr schlapp und die Schere der Parze desto schärfer ist. Möge er nie vergessen, welche hohe Interessen sich an seine Selbsterhaltung knüpfen. Was soll aus seinem Ruhme werden, wenn er selbst, der hochgefeierte Meister, was der Himmel noch lange verhüte, plötzlich dem Schauplatz seiner Triumphe durch den Tod entrissen würde? Wird ihn die Familie fortsetzen, diesen Ruhm, worauf ganz Deutschland stolz ist? An materiellen Mitteln würde es der Familie gewiß nicht fehlen, wohl aber an intellektuellen Mitteln. Nur der große Giacomo selbst, der nicht bloß Generalmusikdirektor aller Königl. Preuß. Musikanstalten, sondern auch der Kapellenmeister des Meyerbeerschen Ruhmes ist, nur er kann das ungeheure Orchester dieses Ruhmes dirigieren. – Er nickt mit dem Haupte, und alle Posaunen der großen Journale ertönen unisono; er zwinkert mit den Augen, und alle Violinen des Lobes fiedeln um die Wette; er bewegt nur leise den linken Nasenflügel, und alle Feuilleton- Flageolette flöten ihre süßesten Schmeichellaute. – Da gibt es auch unerhörte, antediluvianische Blasinstrumente, Jerichotrompeten und noch unentdeckte Windharfen, Saiteninstrumente der Zukunft, deren Anwendung die außerordentlichste Begabnis für Instrumentation bekundet. – Ja, in so hohem Grade wie unser Meyerbeer verstand sich noch kein Komponist auf die Instrumentation, nämlich auf die Kunst, alle möglichen Menschen als Instrumente zu gebrauchen, die kleinsten wie die größten, und durch ihr Zusammenwirken eine Übereinstimmung in der öffentlichen Anerkennung, die ans Fabelhafte grenzt, hervorzuzaubern. Das hat kein andrer jemals verstanden. Während die besten Opern von Mozart und Rossini bei der ersten Vorstellung durchfielen und erst Jahre vergingen, ehe sie wahrhaft gewürdigt wurden, finden die Meisterwerke unsres edlen Meyerbeer bereits bei der ersten Aufführung den ungeteiltesten Beifall, und schon den andern Tag liefern sämtliche Journale die verdienten Lob- und Preisartikel. Das geschieht durch das harmonische Zusammenwirken der Instrumente; in der Melodie muß Meyerbeer den beiden genannten Meistern nachstehen, aber er überflügelt sie durch Instrumentation. Der Himmel weiß, daß er sich oft der niederträchtigsten Instrumente bedient; aber vielleicht eben durch diese bringt er die großen Effekte hervor auf die große Menge, die ihn bewundert, anbetet, verehrt und sogar achtet. – Wer kann das Gegenteil beweisen? Von allen Seiten fliegen ihm die Lorbeerkränze zu, er trägt auf dem Haupte einen ganzen Wald von Lorbeeren, er weiß sie kaum mehr zu lassen und keucht unter dieser grünen Last. Er sollte sich einen kleinen Esel anschaffen, der, hinter ihm her trottierend, ihm die schweren Kränze nachtrüge. Aber Gouin ist eifersüchtig und leidet nicht, daß ihn ein anderer begleite.

Ich kann nicht umhin, hier ein geistreiches Wort zu erwähnen, das man dem Musiker Ferdinand Hiller zuschreibt. Als nämlich jemand denselben darüber befragte, was er von Meyerbeers Opern halte, soll Hiller ausweichend verdrießlich geantwortet haben: »Ach, laßt uns nicht von Politik reden!«






© Wolfgang Fricke