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Paris, 29. April 1841
Ein ebenso bedeutungsvolles wie trauriges Ereignis ist das Verdikt der Jury, wodurch der Redakteur des Journals »La France« von der Anklage absichtlicher Beleidigung des Königs freigesprochen wurde. Ich weiß wahrlich nicht, wen ich hier am meisten beklagen soll! Ist es jener König, dessen Ehre durch verfälschte Briefe befleckt wird und der dennoch nicht wie jeder andere sich in der öffentlichen Meinung rehabilitieren kann? Was jedem andern in solcher Bedrängnis gestattet ist, bleibt ihm grausam versagt. Jeder andere, der sich in gleicher Weise, durch falsche Briefe von landesverräterischem Inhalt, dem Publikum gegenüber bloßgestellt sähe, könnte es dahin bringen, sich förmlich in Anklagestand setzen zu lassen und infolge seines Prozesses die Unechtheit jener Briefe aufs bündigste zu erweisen. Eine solche Ehrenrettung gibt es aber nicht für den König, den die Verfassung für unverletzlich erklärt und nicht persönlich vor Gericht zu stellen erlaubt. Noch weniger ist ihm das Duell gestattet, das Gottesurteil, das in Ehrensachen noch immer eine gewisse justifizierende Geltung bewahrt: Ludwig Philipp muß ruhig auf sich schießen lassen, darf aber nimmermehr selbst zur Pistole greifen, um von seinen Beleidigern Genugtuung zu fordern. Ebensowenig kann er im üblich patzigen Stile eine abgedrungene Erklärung gegen seine Verleumder in den respektiven Landeszeitungen inserieren lassen: denn ach! Könige, wie große Dichter, dürfen sich nicht auf solchem Wege verteidigen und müssen alle Lügen, die man über ihre Person verbreitet, mit schweigender Langmut ertragen. In der Tat, ich hege das schmerzlichste Mitgefühl für den königlichen Dulder, dessen Krone nur eine Zielscheibe der Verleumdung und dessen Zepter, wo es eigene Verteidigung gilt, minder brauchbar wie ein gewöhnlicher Stock. – Oder soll ich noch weit mehr euch bedauern, ihr Legitimisten, die ihr euch als die auserwählten Paladine des Royalismus gebärdet und dennoch in der Person Ludwig Philipps das Wesen des Königtums, das königliche Ansehen, herabgewürdigt habt? Jedenfalls habe ich Mitleid mit euch, wenn ich an die schrecklichen Folgen denke, die ihr durch solchen Frevel zunächst auf eure eignen törichten Häupter herabruft! Mit dem Umsturz der Monarchie harret euer wieder daheim das Beil und in der Fremde der Bettelstab. Ja, euer Schicksal wäre jetzt noch weit schmählicher als in früheren Tagen: euch, die gefoppten Compères eurer Henker, würde man nicht mehr mit wildem Zorn töten, sondern mit höhnischem Gelächter und in der Fremde würde man euch nicht mehr mit jener Ehrfurcht, die einem unverschuldeten Unglück gebührt, sondern mit Geringschätzung das Almosen hinreichen.
Was soll ich aber von den guten Leuten der Jury sagen, die in wetteifernder Verblendung das Brecheisen legten an das Fundament des eignen Hauses? Der Grundstein, worauf ihre ganze bürgerliche Staatsboutique ruht, die königliche Autorität, ward durch jenes beleidigende und schmachvolle Verdikt heillos gelockert. Die ganze verderbliche Bedeutung dieses Verdikts wird jetzt allmählich erkannt, es ist das unaufhörliche Tagesgespräch, und mit Entsetzen sieht man, wie der fatale Ausgang des Prozesses ganz systematisch ausgebeutet wird. Die verfälschten Briefe haben jetzt eine legale Stütze, und mit der Unverantwortlichkeit steigt die Frechheit bei den Feinden der bestehenden Ordnung. In diesem Augenblick werden lithographierte Kopien der vorgeblichen Autographen in unzähligen Exemplaren über ganz Frankreich verbreitet, und die Arglist reibt sich vergnügt die Hände, ob des gelungenen Meisterstücks. Die Legitimisten rufen »Viktoria!«, als hätten sie eine Schlacht gewonnen. Glorreiche Schlacht, wo die Contemporaine, die verrufene Mme. de Saint-Elme, das Banner trug! Der edle Baron Larochejacquelein beschirmte mit seinem Wappenschild diese neue Jeanne d'Arc. Er verbürgt ihre Glaubwürdigkeit – warum nicht auch ihre jungfräuliche Reinheit? Vor allen aber verdankt man diesen Triumph dem großen Berryer, dem bürgerlichen Dienstmann der legitimistischen Ritterschaft, der immer geistreich spricht, gleichviel für welche schlechte Sache.
Indessen, hier in Frankreich, dem Lande der Parteien, wo den Ereignissen alle ihre Konsequenzen unmittelbar abgepreßt werden, geht die böse Wirkung immer Hand in Hand mit einer mehr oder minder heilsamen Gegenwirkung. Und dieses zeigt sich auch bei Gelegenheit jenes unglückseligen Verdikts. Die argen Folgen desselben werden für den Moment einigermaßen neutralisiert durch den Jubel und das Siegesgeschrei, das die Legitimisten erheben: das Volk haßt sie so sehr, daß es all seinen Unmut gegen Ludwig Philipp vergißt, wenn jene Erbfeinde des neuen Frankreichs allzu jauchzend über ihn triumphieren. Der schlimmste Vorwurf, der gegen den König in jüngster Zeit aufgebracht wurde, war ja eben, daß man ihn beschuldigte, er betreibe allzu eifrig seine Aussöhnung mit den Legitimisten und opfere ihnen die demokratischen Interessen. Deshalb erregte die Beleidigung, die dem König gerade durch diese frondierenden Edelleute widerfuhr, zunächst eine gewisse Schadenfreude bei der Bourgeoisie, die, angehetzt durch die Journale des unzufriedenen Mittelstandes, von den reaktionären Vorsätzen des jetzigen Ministeriums die verdrießlichsten Dinge fabelt.
Welche Bewandtnis hat es aber mit jenen reaktionären Vorsätzen, die man absonderlich Herrn Guizot zuschreibt? Ich kann ihnen keinen Glauben schenken. Guizot ist der Mann des Widerstandes, aber nicht der Reaktion. Und seid überzeugt, daß man ihn ob seines Widerstandes nach oben schon längst verabschiedet hätte, wenn man nicht seines Widerstandes nach unten bedürfte. Sein eigentliches Geschäft ist die tatsächliche Erhaltung jenes Regiments der Bourgeoisie, das von den marodierenden Nachzüglern der Vergangenheit ebenso grimmig bedroht wird wie von der plünderungssüchtigen Avantgarde der Zukunft. Herr Guizot hat sich eine schwierige Aufgabe gestellt, und niemand weiß ihm Dank dafür. Am undankbarsten wahrlich zeigen sich gegen ihn eben jene guten Bürger, die seine starke Hand schirmt und schützt, denen er aber nie vertraulich die Hand gibt und mit deren kleinlichen Leidenschaften er nie gemeinschaftliche Sache macht. Sie lieben ihn nicht, diese Spießbürger, denn er lacht nicht mit ihnen über Voltairesche Witze, er ist nicht industriell und tanzt nicht mit ihnen um den Maibaum der Gloire! Er trägt das Haupt sehr hoch, und ein melancholischer Stolz spricht aus allen seinen Zügen: »Ich könnte vielleicht etwas Besseres tun, als für dieses Lumpenpack in mühsamen Tageskämpfen mein Leben vergeuden!« Das ist in der Tat der Mann, der nicht sehr zärtlich um Popularität buhlt und sogar den Grundsatz aufgestellt hat, daß ein guter Minister unpopulär sein müsse. Er hat nie der Menge gefallen wollen, sogar nicht in jenen Tagen der Restauration, wo er als gelehrter Volkstribun am herrlichsten gefeiert wurde. Als er in der Sorbonne seine denkwürdigen Vorlesungen hielt und der Beifall der Jugend sich ein bißchen allzu stürmisch äußerte, dämpfte er selber diesen huldigenden Lärm, mit den strengen Worten: »Meine Herren, auch im Enthusiasmus muß die Ordnung vorwalten!« Ordnungsliebe ist überhaupt ein vorstechender Zug des Guizotschen Charakters, und schon aus diesem Grunde wirkte sein Ministerium sehr wohltätig in die Konfusion der Gegenwart. Man hat ihn wegen dieser Ordnungsliebe nicht selten der Pedanterei beschuldigt, und ich gestehe, der schroffe Ernst seiner Erscheinung wird gemildert durch eine gewisse anklebende gelehrte Magisterhaftigkeit, die an unsre deutsche Heimat, besonders an Göttingen, erinnert. Er ist ebensowenig reaktionär, wie Hofrat Heeren, Tychsen oder Eichhorn solches gewesen – aber er wird nie erlauben, daß man die Pedelle prügle oder sich sonstig auf der Weenderstraße herumbalge und die Laternen zerschlage.