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Paris, 4. Dezember 1842
Wird sich Guizot halten? Es hat mit einem französischen Ministerium ganz dieselbe Bewandtnis wie mit der Liebe: man kann nie ein sicheres Urteil fällen über seine Stärke und Dauer. Man glaubt zuweilen, das Ministerium wurzle unerschütterlich fest, und siehe! es stürzt den nächsten Tag durch einen geringen Windzug. Noch öfter glaubt man, das Ministerium wackle seinem Untergang entgegen, es könne sich nur noch wenige Wochen auf den Beinen halten, aber zu unsrer Verwunderung zeigt es sich alsbald noch kräftiger als früher und überlebt alle diejenigen, die ihm schon die Leichenrede hielten. Vor vier Wochen, den 29. Oktober, feierte das Guizotsche Ministerium seinen dritten Geburtstag, es ist jetzt über zwei Jahr alt, und ich sehe nicht ein, warum es nicht länger leben sollte auf dieser schönen Erde, auf dem Boulevard des Capucines, wo grüne Bäume und gute Luft. Freilich, gar viele Ministerien sind dort schnell hingerafft worden, aber diese haben ihr frühes Ende immer selbst verschuldet: sie haben sich zuviel Bewegung gemacht. Ja, was bei uns andern die Gesundheit fördert, die Bewegung, das macht ein Ministerium todkrank, und namentlich der 1. März ist daran gestorben. Sie können nicht stillsitzen, diese Leutchen. Der öftere Regierungswechsel in Frankreich ist nicht bloß eine Nachwirkung der Revolution, sondern auch ein Ergebnis des Nationalcharakters der Franzosen, denen das Handeln, die Tätigkeit, die Bewegung ein ebenso großes Bedürfnis ist wie uns Deutschen das Tabaksrauchen, das stille Denken und die Gemütsruhe; gerade dadurch, daß die französischen Staatslenker so rührig sind und sich beständig etwas Neues zu schaffen machen, geraten sie in halsbrechende Verwicklungen. Dies gilt nicht bloß von den Ministerien, sondern auch von den Dynastien, die immer durch eigene Aktivität ihre Katastrophe beschleunigt haben. Ja, durch dieselbe fatale Ursache, durch die unermüdliche Aktivität, ist nicht bloß Thiers gefallen, sondern auch der stärkere Napoleon, der bis an sein seliges Ende auf dem Throne geblieben wäre, wenn er nur die Kunst des Stillsitzens, die bei uns den kleinen Kindern zuerst gelehrt wird, besessen hätte! Diese Kunst besitzt aber Herr Guizot in einem hohen Grade, er hält sich marmorn still, wie der Obelisk des Luxor, und wird deshalb sich länger erhalten, als man glaubt. Er tut nichts, und das ist das Geheimnis seiner Erhaltung. Warum aber tut er nichts? Ich glaube zunächst, weil er wirklich eine gewisse germanische Gemütsruhe besitzt und von der Sucht der Geschäftigkeit weniger geplagt wird als seine Landsleute. Oder tut er nichts, weil er soviel versteht? Je mehr wir wissen, je tiefer und umfassender unsre Einsichten sind, desto schwerer wird uns das Handeln, und wer alle Folgen jedes Schrittes immer voraussähe, der würde gewiß bald aller Bewegung entsagen und seine Hände nur dazu gebrauchen, um seine eigenen Füße zu binden. Das weiteste Wissen verdammt uns zur engsten Passivität.
Indessen – was auch das Schicksal des Ministeriums sein möge -, laßt uns die letzten Tage des Jahrs, das gottlob seinem Ende naht, so resigniert als möglich ertragen! Wenn uns nur der Himmel nicht zum Schluß mit einem neuen Unglück heimsucht! Es war ein schlechtes Jahr, und wäre ich ein Tendenzpoet, ich würde mit meinen mißtönend poltrigsten Versen dem scheidenden Jahre ein Charivari bringen. In diesem schlechten, schändlichen Jahre hat die Menschheit viel erduldet, und sogar die Bankiers haben einige Verluste erlitten. Welch ein schreckliches Unglück war z.B. der Brand auf der Versailler Eisenbahn! Ich spreche nicht von dem verunglückten Sonntagspublikum, das bei dieser Gelegenheit gebraten oder gesotten wurde, ich spreche vielmehr von der überlebenden Sabbatkompanie, deren Aktien um so viele Prozente gefallen sind und die jetzt dem Ausgang der Prozesse, die jene Katastrophe hervorgerufen, mit zitternder Besorgnis entgegensieht. Werden die Stifter der Kompanie den verwaisten oder verstümmelten Opfern ihrer Gewinnsucht einigen Schadenersatz gewähren müssen? Es wäre entsetzlich! Diese beklagenswerten Millionäre haben schon soviel eingebüßt, und der Profit von andern Unternehmungen mag in diesem Jahre das Defizit kaum decken. Dazu kommen noch andere Fatalitäten, über die man leicht den Verstand verlieren kann, und an der Börse versicherte man gestern, der Halbbankier Läusedorf wolle zum Christentum übergehn. Andern geht es besser, und wenn auch die rive gauche gänzlich ins Stocken geriete, könnten wir uns damit trösten, daß die rive droite desto erfreulicher gedeiht. Auch die südfranzösischen Eisenbahnen, sowie die jüngst konzessionierten, machen gute Geschäfte, und wer gestern noch ein armes Lümpchen war, ist heute schon ein reicher Lump. Namentlich der dünne und langnasige Herr * versichert: er habe »Grind«, mit der Vorsehung zufrieden zu sein. Ja, während ihr andern in philosophischen Spekulationen eure Zeit vertrödelt, spekulierte und trödelte dieser dünne Geist mit Eisenbahnaktien, und einer seiner Gönner von der hohen Bank sagte mir jüngst: »Sehen Sie, das Kerlchen war gar nichts, und jetzt hat es Geld, und es wird noch mehr Geld verdienen, und es hat sich all sein Lebtag nicht mit Philosophie abgegeben.« Wie doch diese Pilze in allen Ländern und Zeiten dieselben gewesen! Mit besonderer Verachtung haben sie immer auf Schriftsteller herabgesehen, die sich mit jenen uneigennützigen Studien beschäftigen, die wir Philosophie nennen. Schon vor achtzehnhundert Jahren, wie Petron erzählt, ließ ein römischer Parvenü sich folgende Grabschrift setzen: »Hier ruht Straberius – er war anfangs gar nichts, er hinterließ jedoch dreihundert Millionen Sesterzien, er hat sich sein Lebtag nicht mit Philosophie abgegeben, folge seinem Beispiel, und du wirst dich wohl befinden.«
Hier in Frankreich herrscht gegenwärtig die größte Ruhe. Ein abgematteter, schläfriger, gähnender Friede. Es ist alles still, wie in einer verschneiten Winternacht. Nur ein leiser, monotoner Tropfenfall. Das sind die Zinsen, die fortlaufend hinabträufeln in die Kapitalien, welche beständig anschwellen; man hört ordentlich, wie sie wachsen, die Reichtümer der Reichen. Dazwischen das leise Schluchzen der Armut. Manchmal auch klirrt etwas, wie ein Messer, das gewetzt wird. Nachbarliche Tumulte kümmern uns sehr wenig, und nicht einmal das rasselnde Schilderheben in Barcelona hat uns hier aufgestört. Der Mordspektakel, der im Studierzimmer der Mademoiselle Heinefetter zu Brüssel vorfiel, hat uns schon weit mehr interessiert, und ganz besonders sind die Damen ungehalten über dieses deutsche Gemüt, das trotz eines mehrjährigen Aufenthalts in Frankreich doch noch nicht gelernt hatte, wie man es anfängt, daß zwei gleichzeitige Anbeter sich nicht auf der Walstätte ihres Glücks begegnen. Die Nachrichten aus dem Osten erregten gleichfalls ein unzufriedenes Gemurmel im Volke, und der Kaiser von China hat sich ebenso stark blamiert wie Mademoiselle Heinefetter. Nutzloses Blutvergießen, und die Blume der Mitte ist verloren. Die Engländer sind überrascht, so leichten Kaufs mit dem Bruder der Sonne fertig geworden zu sein, und sie berechnen schon, ob sie die jetzt überflüssigen Kriegsrüstungen im Indischen Meere nicht gegen Japan richten sollen, um auch dieses Land zu brandschatzen. An einem loyalen Vorwande zum Angriff wird es gewiß auch hier nicht fehlen. Sind es nicht Opiumfässer, so sind es die Schriften der englischen Missionsgesellschaft, die von der japanischen Sanitätskommission konfisziert worden. Vielleicht bespreche ich in einem spätern Briefe, wie England seine Kriegszüge bemäntelt. Die Drohung, daß britische Großmut uns nicht zu Hülfe kommen werde, wenn Deutschland einst wie Polen geteilt werden dürfte, erschreckt mich nimmermehr. Erstens kann Deutschland nicht geteilt werden. Teile mal einer das Fürstentum Liechtenstein oder Greiz-Schleiz! Und zweitens – –