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Heinrich Heine: William Ratcliff



Wilde Gegend am Schwarzenstein. Nacht. Links abenteuerliche Felsenmassen und Baumstämme. Rechts ein Denkmal in der Form eines Kreuzes. Der Wind braust. Man sieht zwei weiße Nebelgestalten, die sehnsüchtig die Arme gegeneinander ausstrecken, sich nahen, immer wieder auseinanderfahren und endlich verschwinden. Ratcliff tritt auf.


Ratcliff allein:

Hui, wie das pfeift! Die Hölle hat all ihre
Querpfeifer ausgesandt. Die spielen auf.
Der Mond hüllt sich in seinen weiten Plaid,
Und schüttelt nur ein sparsam Licht herab.
   Ha! ha! meinthalb kann er sich ganz verhüllen.
Denn wie's auch dunkel sei, die Schneelawine
Bedarf nicht der Laterne, um zu schaun,
Wohin sie rollen soll; es wird das Eisen
Den Weg zu dem Magnet von selber finden;
Und ohne Meilenzeiger findet Ratcliffs
Erprobtes Schwert den Weg zu Douglas' Brust.
Ob auch das Gräflein kömmt? Ob nicht der Sturm,
Die Furcht vor Schnupfen, Husten und Erkältung
Es gar zurückhält? Und es denkt vielleicht:
Ich will's auf morgen nacht verschieben.
Ha! ha!
Und just um diese Nacht ist's mir zu tun.
Kömmt er nicht her, so komme ich zu ihm
Ins Schloß. An sein Schwert schlagend.
Der Schlüssel paßt für alle Zimmer;
Und diese Freunde Legt die Hand an die Pistolen im Gürtel.
decken mir den Rücken.

Nimmt eine Pistole heraus und betrachtet sie.

Der sieht mich an so ehrlich; gerne möcht ich
Auf seinen Mund festdrücken meinen Mund,
Und drücken -
Ach, nach solchem Feuerkusse,
Da wär mir wohl, und wich' mein wildes Weh! Sinnend.
Vielleicht im selben Augenblick drückt Douglas
Gleichfalls den Mund fest auf Mariens Mund -
   Ha! ha! das ist's. Deshalb darf ich nicht sterben.
Ich müßt allnächtlich aus dem Grabe steigen,
Und als ohnmächt'ger Schatten knirschend zusehn:
Wie 'n Gimpel, mit dem lüstern' Mopsgesicht,
Beschnüffelt und begafft Mariens Reize.
Ich darf nicht sterben. Kam ich in den Himmel
Und schaute, durch den Ritz der Himmelsdecke,
Zufällig in Graf Douglas' Schlafgemach -
Ich würde fluchen, daß den frommen Englein
Erblassen würden ihre roten Backen,
Und ängstlich in der Kehle steckenbliebe
Das lange, wässerige Halleluja.
Und bin ich mal verdammt zur ew'gen Hölle,
Wohlan, so will ich auch ein Teufel sein,
Und nicht ein jämmerlicher, armer Sünder.



Ratcliff. Douglas.


Ratcliff:

Horch, horch, ich höre Tritte!
Ruft laut:Holla! holla! -
Wer bist du, der sich dorten naht? Gib Antwort!

Douglas:

Die Stimm' ist mir bekannt. Es ist die Stimme
Des edlen Reiters, der mich jüngst gerettet
Aus Räuberklaun im Wald bei Invernes. Nähert sich ihm.
Ja, ja, Ihr seid's, jetzt könnt Ihr nicht entrinnen.
Ich muß Euch danken für die edle Tat.

Ratcliff:

Oh, spart den Dank. Es war nur eine Grille,
Daß ich Euch half. Drei lagen über Euch.
Das war zuviel. Wär's einer nur gewesen,
Bei Gott! ich wäre still vorbeigeritten.

Douglas:

Seid nicht so grämlich. Laßt uns Freunde werden.

Ratcliff:

Wohlan, es sei. Doch als Beweis der Freundschaft
Müßt Ihr mir eine Bitte gleich gewähren.

Douglas:

Sprecht nur. Mit Leib und Seel' gehör ich Euch.

Ratcliff:

Mein neuer Freund, verlaßt jetzt diesen Platz;

Lachend.

Es seie denn, daß Ihr Graf Douglas hießet.

Douglas befremdet:

Bei Gott, so heiß ich.

Ratcliff:

Was? Ihr heißt Graf Douglas?

Lachend.

Oh, das ist schlimm, so ist es ja schon aus
Mit unsrer hübschen, neugebacknen Freundschaft;
Denn wißt, Herr Graf, ich heiße - William Ratcliff.

Douglas wild und das Schwert ziehend:

Du bist der Mörder Macdonalds und Duncans?

Ratcliff zieht sein Schwert:

Ich bin's, und um das Kleeblatt vollzumachen,
Hab ich auch Euch, Herr Graf, hierher beschieden.

Douglas stürzt auf ihn ein:

Verruchter Mörder, wehr dich deiner Haut.

Gefecht.

Ratcliff:

Ha! ha! ich schlag, so gut ich kann. Ha! ha!

Douglas:

Lach nicht so gräßlich auf.

Ratcliff lachend:

Ich lache nicht,
Das tun die bleichen Nebelmenschen dort -

Douglas:

Lach, wie du willst. Ihr, Schatten Macdonalds
Und Duncans, steht mir bei!

Ratcliff:

Teufel und Hölle!
Der tote Duncan fängt die Quarten auf.
Misch dich nicht ein, verfluchter toter Fechter!

Douglas:

Ha! ha! der Hieb, der saß!

Ratcliff:

Tod und Verrat!
Jetzt kommt der Macdonald noch obendrein -
Das ist zuviel - Drei gegen einen -

Er weicht zurück und stolpert über das Piedestal des Monuments.

Ha!
Fluch und Verdammnis! Ratcliff liegt am Boden -
Stoßt zu, stoßt zu! ich bin Eu'r größter Feind.

Douglas kalt:

Ihr habt jetzund des Douglas Schwert erprobt.
Vielleicht verdankte ich Euch jüngst das Leben.
Jetzt sollt Ihr's mir verdanken. Wir sind quitt.
Ich denk, Ihr kennt mich jetzt, und die Lektion
Hat Euch vielleicht das böse Herz gebessert.

Er geht stolz ab.



Ratcliff liegt regungslos am Fuße des Monuments. Der Wind heult wilder. Die zwei Nebelgestalten erscheinen, nahen sich mit ausgestreckten Armen, fahren wieder auseinander und verschwinden.


RatcliffEr steht langsam und betäubt auf:

War's eine Menschenstimme? War's der Wind?
Ein wahnsinnschwangres Wort summt mir im Ohr.
War es ein toller Traum? Wo bin ich denn?
Was ist das für ein Kreuz, und was steht drauf?

Er liest die Inschrift des Monuments.

»Graf Duncan und Lord Macdonald sind hier
Von gottverfluchter Hand ermordet worden.«

Auffahrend.

Es ist kein Traum. Ich bin am Schwarzenstein,
Und bin besiegt, verspottet und verachtet!
Boshafte Winde kichern mir ins Ohr:
»Hier steht der Mann, der starke Riesengeist,
Der Großbritanniens Menschen und Gesetze
Verhöhnt, der trotzig mit dem Himmel rechtet -
Nun kann er's nicht verhindern, daß Graf Douglas
Heut nacht in seines Liebchens Armen liegt,
Und lachend ihr erzählet, wie der Wurm,
Der William Ratcliff heißt, am Schwarzenstein
Sich krümmte, jämmerlich am Boden krümmte,
Und wie des Douglas Fuß ihn nicht zertreten,
Um sich nicht zu besudeln« - In Wut ausbrechend.
Oh, verfluchte,
Verdammte Hexen, lacht nicht so entsetzlich,
Reibt nicht verhöhnend eure Zeigefinger!
Ich werfe Felsen auf eu'r scheußlich Haupt,
Ich reiße Schottlands Tannenwälder aus,
Und geißle euch damit den gelben Rücken,
Und mit dem Fuß stampf ich das schwarze Gift
Aus euren dürren, gottverhaßten Leibern!
Nordwind, zerzause und zerreiß die Welt!
Brich, Himmelsdecke, und zermalme mich!
Erde, vernachte und verschlinge mich!

Halb wild, halb ängstlich, und in einen geheimnisvollen Ton übergehend.

Verdammter Doppelgänger, Nebelmensch,
Anglotze mich nicht mit den stieren Augen -
Mit deinen Augen saugst du aus mein Blut,
Erstarren machst du mich, Eiswasser gießt du
In meine glühnden Adern, machst mich selbst
Zum toten Nachtgespenst - du zeigst dorthin?
Mit langem Nebelarm zeigst du dorthin?
Soll ich? Marie? Die weiße Taube? Blut?
Soll ich? Holla, wer spricht? Das war kein Wind.
Maria soll ich mit mir nehmen? Nickst du?
Es sei, es sei, mein Wille ist von Eisen,
Und ist allmächt'ger noch als Gott und Teufel.

Er stürzt fort.




MacGregors Schloß. Erleuchtetes Zimmer mit einem verhängten Kabinette in der Mitte. Man hört verhallende Tanzmusik und Mädchengekicher.

Maria, festlich geschmückt, und Margarete treten eben herein.


Maria:

Ach Gott! mir ist so ängstlich -

Margarete:

's tut der Schnürleib.
Komm her, ich will dich ausziehn, liebes Püppchen.

Sie hilft Marien beim Auskleiden.

Maria:

Das Herz ist mir beklommen.

Margarete:

Ei, mein Püppchen,
Graf Douglas ist ein hübscher Mann.

Maria heiter lachend:

Das ist er!
Und lustig, und verträglich, und ein Mann!

Margarete:

Ist Püppchen auch verliebt?

Maria:

Verliebt? verliebt?
Oh, das ist dumm. Man muß sich leiden können.

Margarete:

Man sprach nicht immer so. Als William Ratcliff -

Maria hält ihr ängstlich den Mund zu:

Oh, bitte, bitte, bitte, sprich nicht aus
Den bösen Namen, es ist Nacht und spät -

Margarete:

Mein Püppchen war verliebt.

Maria:

Ach nein! Im Anfang,
Da schien er lämmchensanft, und sein Gesicht,
Das schien mir so bekannt, und seine Stimme
Klang mir so weich, und auch sein Odem
Tat meiner Wange heimlich wohl, sein Auge,
Das schaute gar zu spaßhaft lieb und fromm -

Zusammenschauernd.

Doch plötzlich sah er aus wie ein Gespenst,
So blaß, so starr und wild verzerrt und blutig,
Und drohend grimm, als wollt er mich ermorden -
Er sah fast ähnlich jenem Nebelmann,
Der oft im Traum die Arme nach mir ausstreckt,
Und mich so lang entsetzlich zärtlich anschaut,
Bis daß ich selbst ein luft'ges Bildnis werde,
Und neblicht selbst ausbreite meine Arme.

Margarete:

Du bist doch just wie deine sel'ge Mutter;
Sie tat so bös, und doch wie eine Katz'
War sie verliebt in Ratcliff -

Maria:

Wie, in Ratcliff?

Margarete:

In Edward Ratcliff, William Ratcliffs Vater -
Oh, deine Mutter war so hübsch, so hübsch!
Sie hieß Schön-Betty. Locken hatte sie
Wie pures Gold, und Händ' wie Marmelstein,
Und Augen - Oh, die kannte Edward Ratcliff!
Der sah den ganzen Tag hinein, und hat
Sich fast die eignen Augen ausgeguckt -
Und singen konnt sie wie die Nachtigall;
Und wenn sie an dem Herde saß und sang: Sie singt.
»Was ist von Blut dein Schwert so rot, Edward? Edward?«
So blieb die Köchin stillstehn, und der Braten
Verbrannte jedesmal - Ach Gott! ich wollte,
Ich hätt ihr nie das böse Lied gelehrt. Sie weint.

Maria:

Oh, liebe Margret, o erzähl mir das.

Margarete:

Schön-Betty, deine Mutter, saß allein
Und sang:

Sie singt.

»Wie ist von Blut dein Schwert so rot, Edward? Edward?« -
Da sprang ins Zimmer plötzlich Edward Ratcliff,
Und sang im selben Tone trotzig weiter:

Sie singt.

»Ich habe geschlagen mein Liebchen tot -
Mein Liebchen war so schön, oh!«
Da hat Schön-Betty sich so sehr entsetzt,
Daß sie den armen, wilden Edward nimmer
Wollt wiedersehn; und um ihn noch zu ärgern,
Heiratete sie deinen Vater. Edward Ratcliff,
Der wurde toll vor Wut, und um zu zeigen,
Daß er Schön-Betty leicht entbehren könne,
Nahm er zur Frau, ganz aus Verzweiflungstrotz,
Lord Campbels Jenny, und der William Ratcliff,
Das ist der Sohn aus dieser tollen Ehe.

Maria:

Die arme Mutter!

Margarete:

Ei, Schön-Betty war
Ein eigensinnig Ding. Ein ganzes Jahr lang
Hat sie den Namen Ratcliff nie genannt.
Doch wie zum zweitenmal Oktober kam -
Ich glaub, es war just Ratcliffs Namenstag -,
Da frug sie, wie von ungefähr: »Margret,
Hast du von Edward nichts gehört?« - »Oh«, sagt ich,
»Der hat die Jenny Campbel sich zur Frau
Genommen.« - »Campbels Jenny?« rief Schön-Betty,
Und wurde blaß und rot, und bitterlich
Fing sie zu weinen an - dich hielt ich just
Im Schoß, Marie, drei Monat' warst du alt -
Und du fingst auch zu weinen an - und ich,
Um nur Schön-Bettys Tränen fortzuschwatzen,
Erzählte ihr: der Edward könne doch nicht
Ablassen von Schön-Betty, Tag und Nacht
Säh man ihn schleichen hier ums Schloß, man sähe,
Wie er die Arme nach Schön-Bettys Fenster
Sehnsüchtig ausstreckt. - »Oh, das wußt ich längst!«
Rief jetzt Schön-Betty lachend; hastig flog sie
Ans Fenster, streckte aus die Arm' nach Edward -
Oh, das war schlimm, MacGregor sah das just,
Dein eifersücht'ger Vater - Hält erschrocken ein.

Maria:

Nun, und da?
Erzähl doch weiter.

Margarete:

Nun, und da ist's aus.

Maria:

Erzähl doch weiter.

Margarete ängstlich:

Nun, am andern Morgen
Lag, bei der alten Schloßmau'r, tot und blutig
Der Edward Ratcliff -

Maria:

Und die arme Mutter?

Margarete:

Je nun, die starb, vor Schreck, drei Tage drauf.

Maria:

O das ist gräßlich!

Margarete im kalten, höhnischen Wahnsinntone:

Hättest du erst selbst
Gesehn mit deinen kleinen Augen, Püppchen,
Wie an der Schloßmau'r Edward Ratcliff lag -
Hu, hu, das blut'ge Bild klebt mir im Kopf!
Und weil ich weiß, wer ihn erschlagen hat,
Und weil ich das niemanden sagen darf,
Und weil ich toll bin - hu! kann ich nicht schlafen,
Und überall seh ich den Edward Ratcliff,
Den bleichen, blutigen, mit seinen starren,
Dolchspitzen Augen, mit dem Zeigefinger
Gespenstisch aufgehoben, langsam schreitend -



William Ratcliff, bleich, verstört und blutig, tritt herein.
Die Vorigen.


Margarete wild aufschreiend:

Jesus Marie, der tote Edward Ratcliff!

Sie kauert nieder in einer Ecke des Zimmers und bleibt dort starr und regungslos sitzen.

Maria aufschreiend:

Entsetzlicher! Bringst du mir Douglas' Ring?

Ratcliff bitter lachend:

Das Karussell, das Ringestechen, ist
Jetzt aus. Zwei Ringe stach ich, doch der dritte
Wollt sich nicht stechen lassen, und ich stürzte
Hinunter von dem Holzpferd.

Maria plötzlich im vertraulich ängstlichen Tone:

William! William!
Du blutest ja. Komm her, ich will die Wunde
Verbinden. -

Sie zerreißt ihren weißen Hochzeitschleier.

Gott! Wo bin ich? Böser William -
Nein, du bist Edward, ich, ich bin Schön-Betty -
Dein armer Kopf ist blutig, und der mein'ge
Ist so verwirrt - Ich weiß nicht, was ich tu -
Komm her; wenn du mich liebhast, kniee nieder -

Sie will ihm die Kopfwunde verbinden.

Ratcliff stürzt zu ihren Füßen. Schmerzhaft zärtlich:

Neckt mich ein Traum? Ich liege vor Marien?
Liege zu ihren Füßen? Kleine Füße,
Seid ihr nicht Nebel, die der Wahnsinn bildet,
Und die zerrinnen, wenn ich sie umfasse?

Maria beschwichtigend und ihm den Kopf mit dem Schleier verbindend:

Bleib ruhig. An den goldnen, hübschen Locken
Klebt Blut. Lieg still; du machst mich selber blutig.
Ja, wenn du still liegst, küß ich dich aufs Auge.

Sie küßt ihn.

Ratcliff:

Mir ist die Nacht vom Auge fortgeküßt;
Die Sonne kann ich wieder sehn - Maria!

Maria wie aus einem Traume aufgeschreckt:

Maria? Und du bist auch der William Ratcliff?

Hält sich die Augen zu.

O das ist gar zu traurig! Schaudernd.

Fort! geh fort!

Ratcliff springt auf und umschlingt sie:

Ich weiche nicht! Ich hab dich lieb, Maria,
Und du hast William lieb Vertraulich.
Im Traum hast du's
Mir oft gesagt. Weißt du, wir sehn uns ähnlich?
Schau in den Spiegel.

Er führt sie an einen Spiegel und zeigt nach beiden Spiegelbildern.

Deine Züge sind
Zwar schöner, edler, reiner als die mein'gen;
Doch sind sie ihnen ähnlich. Diese Lippen
Umzuckt derselbe Stolz, derselbe Trotz.
Hier sitzt der Leichtsinn ebenso wie dort.
Sprich mal ein Wörtchen!

Maria sich sträubend:

Laß mich! laß mich!

Ratcliff:

Hörst du?
Die Stimm' klingt wie die mein'ge, nur weit sanfter.
Das tiefe Blau des Auges ist dasselbe;
Nur glänzender bei dir. Gib her die Hand.

Nimmt ihre Hand und vergleicht sie mit der seinigen.

Siehst du dieselben Linien? Erschrickt.
Sieh mal her,
Die Lebenslinie ist so kurz wie hier -

Maria:

O laß mich, William, und entflieh! entflieh! -
Nur schnell, sie kommen gleich -

Ratcliff:

Ja, du hast recht,
Wir wollen fliehn. Komm, folge mir, mein Lieb.
Komm, folge mir. Gesattelt steht mein Roß,
Das schnellste in ganz Schottland. Zieht sein Schwert hervor.
Hier, mein Schwert
Bahnt uns den Weg. Sieh mal, wie's funkelt! Horch!

Margarete wahnsinnig singend:

»Was ist von Blut dein Schwert so rot, Edward? Edward?
Ich habe geschlagen mein Liebchen tot -
Mein Liebchen war so schön, oh!«

Ratcliff:

Wer sprach das blut'ge Wort? War's dort die Eule,
Die sich ans Fenster klammert? War's der Wind,
Der im Kamin pfeift? War's die bleiche Hexe,
Die in der Ecke kauert? Ja, die war es;
Ihr Leib ist marmorstarr, doch aus der Brust
Schrillt ihr der heisre Sang. Ich soll mein Liebchen

Im höchsten Schmerz.

Totschlagen, singt sie - Oh, das muß ich ja -

Maria:

Entsetzlich rollt dein Aug', dein Odem brennt -
Dein Wahnsinn steckt mich an - verlaß mich! laß mich!

Ratcliff:

O sträub dich nicht, mein Lieb. Der Tod ist ja
So süß. Ich nehm dich mit ins schöne Land,
Wovon wir oft geträumt. Komm mit, mein Lieb.

Maria sich von ihm losreißend:

Entflieh! Entflieh! Denn trifft dich hier Graf Douglas -

Ratcliff in Wut ausbrechend:

Verfluchter Name! Losungswort des Todes!
Kein Gott soll dich besitzen. Mir gehörst du -

Er will sie erstechen.

Maria sich in das verhängte Kabinett flüchtend:

William! du willst mich morden -

Ratcliff stürzt ihr nach ins Kabinett:

Mir gehörst du -
Mein ist Maria -

Man hört Marias Stimme: »William! Hülfe! William!«

Margarete singt:

»Ich habe geschlagen mein Liebchen tot -
Mein Liebchen war so schön, oh!«

Die zwei Nebelmenschen erscheinen von entgegengesetzten Seiten, stellen sich an den Eingang des Kabinetts, strecken die Arme nacheinander aus und verschwinden bei Ratcliffs Hervortreten.

Ratcliff das blutige Schwert in der Hand, stürzt aus dem Kabinette:

Halt! halt! entweich mir nicht, mein Doppelgänger!
Du bleiches Nachtgespenst, du hast's getan.
An deiner Nebelhand klebt rotes Blut.
Komm, ficht mit mir, du hast Marie ermordet -




MacGregor stürzt herein mit bloßem Schwerte.
Die Vorigen.


MacGregor:

Um Hülfe rief's - Erblickt Ratcliff.
Dich treff ich hier, Verruchter,
Verhaßter Mörder, Störer meiner Ruh' -

Ratcliff wild auflachend:

Das bin ich, und auch du bist mir verhaßt,
Weiß nicht warum, doch bist du mir verhaßt,
Nach deinem Blute lechz ich -

Sie stürzen fechtend aufeinander ein.

MacGregor:

Bösewicht!

Ratcliff:

Ha! ha! ha!

Margarete singt:

»Was ist von Blut dein Schwert so rot, Edward? Edward?«

MacGregor stürzt nieder:

Verfluchtes Lied! Er stirbt.

Ratcliff erschöpft:

Die gift'ge Schlang' ist tot.
Nun ist mir's leicht ums Herz. Den Vorgeschmack
Der Ruh' genieß ich schon. Marie ist mein.
Mein Tagwerk ist vollbracht. Ich komm, Marie.

Er geht ins Kabinett; man hört inwendig seine Stimme.

Hier bin ich, süßes, weißes Lieb. Maria!

Es fällt ein Schuß im Kabinette.

Die zwei Nebelbilder erscheinen von beiden Seiten, stürzen sich hastig in die Arme, halten sich fest umschlungen und verschwinden. Man hört lautes Rufen und verworrene Stimmen.



Douglas, Gäste und Diener treten bestürzt herein.
Die Vorigen.


Ein Diener:

Jesus Marie! hier liegt der edle Herr!

Viele Stimmen:

MacGregor!

Douglas:

Tot! tot ist der edle Laird.
Sucht nur den Mörder. Schließt des Schlosses Pforte.

Margarete richtet sich langsam in die Höhe, nähert sich der Leiche MacGregors und spricht im wahnsinnigen Tone:

Ei! ei! so blutig und so bleich lag auch
Der tote Edward Ratcliff an der Schloßmau'r.
Der böse, zornige MacGregor hatte
Den armen Edward Ratcliff totgeschlagen! Weinend:
Ich hab es nicht getan, hab's nur gewußt.
Und den Zeigt nach MacGregors Leiche.
hat William Ratcliff totgeschlagen -
Und auch der William hat jetzt Ruh'. Er schläft
Jetzt bei Marie - still! still! - weckt sie nicht auf -

Sie geht auf den Fußzehen nach dem Kabinette und hebt die Gardine desselben auf. Man sieht die Leichen von Maria und William Ratcliff.

Alle:

Entsetzlich!

Margarete vergnügt lachend:

Sie sehn fast aus wie Edward und Schön-Betty!




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© Wolfgang Fricke