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Als ich im Sommer 1831 nach Paris kam, war ich doch über nichts mehr verwundert als über die damals eröffnete Gemäldeausstellung, und obgleich die wichtigsten politischen und religiösen Revolutionen meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, so konnte ich doch nicht unterlassen, zuerst über die große Revolution zu schreiben, die hier im Reiche der Kunst stattgefunden und als deren bedeutsamste Erscheinung der erwähnte Salon zu betrachten war.
Nicht minder als meine übrigen Landsleute hegte auch ich die ungünstigsten Vorurteile gegen die französische Kunst, namentlich gegen die französische Malerei, deren letzte Entwicklungen mir ganz unbekannt geblieben. Es hat aber auch eine eigene Bewandtnis mit der Malerei in Frankreich. Auch sie folgte der sozialen Bewegung und ward endlich mit dem Volke selber verjüngt. Doch geschah dieses nicht so unmittel, bar wie in den Schwesterkünsten, Musik und Poesie, die schon vor der Revolution ihre Umwandlung begonnen.
Herr Louis de Maynard, welcher in der „Europe littéraire“ über den diesjährigen Salon eine Reihe Artikel geliefert welche zu dem Interessantesten gehören, was je ein Franzose über Kunst geschrieben, hat sich in betreff obiger Bemerkung mit folgenden Worten ausgesprochen, die ich, soweit es bei der Lieblichkeit und Grazie des Ausdrucks möglich ist, getreu wiedergebe:
„In derselben Weise wie die gleichzeitige Politik und die Literatur beginnt auch die Malerei des achtzehnten Jahrhunderts; in derselben Weise erreichte sie eine gewisse vollendete Entfaltung; und sie brach auch zusammen denselben Tag, als alles in Frankreich zusammengebrochen. Sonderbares Zeitalter, welches mit einem lauten Gelächter bei dem Tode Ludwigs XIV. anfängt und in den Armen des Scharfrichters endigt, ‚des Herrn Scharfrichters’, wie Madame Dubarry ihn nannte! Oh, dieses Zeitalter, welches alles verneinte, alles verspöttelte, alles entweihte und an nichts glaubte, war eben deshalb um so tüchtiger zu dem großen Werke der Zerstörung, und es zerstörte, ohne im mindesten etwas wieder aufbauen zu können, und es hatte auch keine Lust dazu.
Indessen, die Künste, wenn sie auch derselben Bewegung folgen, folgen sie ihr doch nicht mit gleichem Schritte. So ist die Malerei im achtzehnten Jahrhundert zurückgeblieben. Sie hat ihre Crebillon hervorgebracht, aber keine Voltaire, keine Diderot. Beständig im Solde der vornehmen Gönnerschaft, beständig im unterröcklichen Schutze der regierenden Mätressen, hat sich ihre Kühnheit und ihre Kraft allmählich aufgelöst, ich weiß nicht wie. Sie hat in all ihrer Ausgelassenheit nie jenen Ungestüm, nie jene Begeisterung bekundet, die uns fortreißt und blendet und für den schlechten Geschmack entschädigt. Sie wirkt mißbehaglich mit ihren frostigen Spielereien, mit ihren welken Kleinkünsten im Bereiche eines Boudoirs, wo ein nettes Zierdämchen, auf dem Sofa hingestreckt, sich leichtsinnig fächert. Favart, mit seinen Eglees und Zulmas, ist wahrheitlicher als Watteau und Boucher mit ihren koketten Schäferinnen und idyllischen Abbés. Favart, wenn er sich auch lächerlich machte, so meinte er es doch ehrlich. Die Maler jenes Zeitalters nahmen am wenigsten teil an dem, was sich in Frankreich vorbereitete. Der Ausbruch der Revolution überraschte sie im Negligé. Die Philosophie, die Politik, die Wissenschaft, die Literatur, jede durch einen besonderen Mann repräsentiert, waren sie stürmisch, wie eine Schar Trunkenbolde, auf ein Ziel losgestürmt, das sie nicht kannten; aber je näher sie demselben gelangten, desto besänftigter wurde ihr Fieber, desto ruhiger wurde ihr Antlitz, desto sicherer wurde ihr Gang. Jenes Ziel, welches sie nicht kannten, mochten sie wohl dunkel ahnen; denn im Buche Gottes hatten sie lesen können, daß alle menschlichen Freuden mit Tränen endigen. Und ach! sie kamen von einem zu wüsten, jauchzenden Gelag, als daß sie nicht zu dem Ernstesten und Schrecklichsten gelangen mußten. Wenn man die Unruhe betrachtet, wovon sie in dem süßesten Rausche dieser Orgie des achtzehnten Jahrhunderts zuweilen beängstigt worden, so sollte man glauben, das Schafott, das all diese tolle Lust endigen sollte, habe ihnen schon von ferne zugewinkt, wie das dunkle Haupt eines Gespenstes.
Die Malerei, welche sich damals von der ernsthaften sozialen Bewegung entfernt gehalten, sei es nun, weil sie von Wein und Weibern ermattet war, oder sei es auch, weil sie ihre Mitwirkung für fruchtlos hielt, genug, sie hat sich bis zum letzten Augenblick dahingeschleppt zwischen ihren Rosen, Moschusdüften und Schäferspielen. Vien und einige andere fühlten wohl, daß man sie zu jedem Preis daraus emporziehen müsse, aber sie wußten nicht, was man alsdann damit anfangen sollte. Lesueur, den der Lehrer Davids sehr hochachtete, konnte keine neue Schule hervorbringen. Er mußte dessen wohl eingeständig sein. In eine Zeit geschleudert, wo auch alles geistige Königtum in die Gewalt eines Marat und eines Robespierre geraten, war David in derselben Verlegenheit wie jene Künstler. Wissen wir doch, daß er nach Rom ging und daß er ebenso Vanlooisch heimkehrte, wie er abgereist war. Erst später, als das griechisch-römische Altertum gepredigt wurde, als Publizisten und Philosophen auf den Gedanken gerieten, man müsse zu den literärischen, sozialen und politischen Formen der Alten zurückkehren: erst alsdann entfaltete sich sein Geist in all seiner angeborenen Kühnheit, und mit gewaltiger Hand zog er die Kunst aus der tändelnden, parfümierten Schäferei, worin sie versunken, und er erhob sie in die ernsten Regionen des antiken Heldentums. Die Reaktion war unbarmherzig wie jede Reaktion, und David betrieb sie bis zum Äußersten. Es begann durch ihm ein Terrorismus auch in der Malerei.“
Über Davids Schaffen und Wirken ist Deutschland hinlänglich unterrichtet. Unsere französischen Gäste haben uns während der Kaiserzeit oft genug von dem großen David unterhalten. Ebenfalls von seinen Schülern, die ihn, jeder in seiner Weise, fortgesetzt, von Gerard, Gros, Girodet und Guerin, haben wir vielfach reden hören. Weniger weiß man bei uns von einem anderen Manne, dessen Name ebenfalls mit einem G anfängt und welcher, wenn auch nicht der Stifter, doch der Eröffner einer neuen Malerschule in Frankreich. Das ist Gericault.
Von dieser neuen Malerschule habe ich in den vorstehender. Blättern unmittelbare Kunde gegeben. Indem ich die besten Stücke des Salon von 1831 beschrieben, lieferte ich auch zu gleicher Zeit eine tatsächliche Charakteristik der neuen Meister. Jener Salon war nach dem allgemeinen Urteil der außerordentlichste, den Frankreich je geliefert, und er bleibt denkwürdig in den Annalen der Kunst. Die Gemälde, die ich eine Beschreibung würdigte, werden sich Jahrhunderte erhalten und mein Wort ist vielleicht ein nützlicher Beitrag zur Geschichte der Malerei.
Von jener unermeßlichen Bedeutung des Salon von 1831 habe ich mich dieses Jahr vollauf überzeugen können, als die Säle des Louvre, welche während zwei Monat geschlossen waren, sich den ersten April wieder öffneten und uns die neuesten Produkte der französischen Kunst entgegengrüßten. Wie gewöhnlich hatte man die alten Gemälde, welche die Nationalgalerie bilden, durch spanische Wände verdeckt, und an letzteren hingen die neuen Bilder, so daß zuweilen hinter der gotischen Abgeschmacktheiten eines neuromantischen Maler; gar lieblich die mythologischen altitalienischen Meisterwerke hervorlauschten. Die ganze Ausstellung glich einem Codex palimpsestus, wo man sich über den neubarbarischen Text um so mehr ärgerte, wenn man wußte, welche griechische Götterpoesie damit übersudelt worden.
Wohl gegen viertehalbtausend Gemälde waren ausgestellt, und es befand sich darunter fast kein einziges Meisterstück. War das die Folge einer allzu großen Ermüdung nach einer allzu großen Aufregung? Beurkundete sich in der Kunst der Nationalkatzenjammer, den wir jetzt, nachdem der übertolle Freiheitsrausch verdampft, auch im politischen Leben der Franzosen bemerken? War die diesjährige Ausstellung nur ein buntes Gähnen? nur ein farbiges Echo der diesjährigen Kammer? Wenn der Salon von 1831 noch von der Sonne des Julius durchglüht war, so tröpferte in dem Salon 1833 noch der trübe Regen des Junius. Die beiden gefeierten Helden des vorigen Salon, Delaroche und Robert, traten diesmal gar nicht in die Schranken, und die übrigen Maler, die ich früher gerühmt, gaben dies Jahr nichts Vorzügliches. Mit Ausnahme eines Bildes von Tony Johannot, einem Deutschen, hat kein einziges Gemälde dieses Salons mich gemütlich angesprochen. Herr Scheffer gab wieder eine Margarete, die von großen Fortschritten im Technischen zeugte, aber doch nicht viel bedeutete. Es war dieselbe Idee, glühender gemalt und frostiger gedacht. Auch Horaz Vernet gab wieder ein großes Bild, worauf jedoch nur schöne Einzelheiten. Decamps hat sich wohl über den Salon und sich selber lustig machen wollen, und er gab meistens Affenstacke; darunter ein ganz vortrefflicher Affe, der ein Historienbild malt. Das deutschchristlich langherabhängende Haar desselben mahnte mich ergötzlich an überrheinische Freunde.
Am meisten besprochen und durch Lob und Widerspruch gefeiert wurde dieses Jahr Herr Ingres. Er gab zwei Stücke; das eine war das Porträt einer jungen Italienerin, das andere war das Porträt des Herrn Bertin l'aîne, eines alten Franzosen.
Wie Ludwig Philipp im Reiche der Politik, so war Herr Ingres dieses Jahr König im Reiche der Kunst. Wie jener in den Tuilerien, so herrschte dieser im Louvre. Der Charakter des Herren Ingres ist ebenfalls Justemilieu, er ist nämlich ein Justemilieu zwischen Mieris und Michelangelo. In seinen Gemälden findet man die heroische Kühnheit des Mieris und die feine Farbengebung des Michelangelo.
In demselben Maße, wie die Malerei in der diesjährigen Ausstellung wenig Begeisterung zu erregen vermochte, hat die Skulptur sich um so glänzender gezeigt, und sie lieferte Werke, worunter viele zu den höchsten Hoffnungen berechtigten und eins sogar mit den besten Erzeugnissen dieser Kunst wetteifern konnte. Es ist der Kain des Herren Etex. Es ist eine Gruppe von symmetrischer, ja monumentaler Schönheit, voll antediluvianischem Charakter und doch zugleich voller Zeitbedeutung. Kain mit Weib und Kind, schicksalergeben, gedankenlos brütend, eine Versteinerung trostloser Ruhe. Dieser Mann hat seinen Bruder getötet, infolge eines Opferzwistes, eines Religionstreits. Ja, die Religion hat den ersten Brudermord verursacht, und seitdem trägt sie das Blutzeichen auf der Stirne.
Ich werde auf den Kain von Etex späterhin zurückkommen, wenn ich von dem außerordentlichen Aufschwung zu reden habe, den wir in unserer Zeit bei den Bildhauern noch weit mehr als bei den Malern bemerken. Der Spartakus und der Theseus, welche beide jetzt im Tuileriengarten aufgestellt sind, erregen jedesmal, wenn ich dort spazierengehe, meine nachdenkende Bewunderung. Nur schmerzt es mich zuweilen, wenn es regnet, daß solche Meisterstücke unserer modernen Kunst so ganz und gar der freien Luft ausgesetzt stehn. Der Himmel ist hier nicht so milde wie in Griechenland, und auch dort standen die besseren Werke nie so ganz ungeschützt gegen Wind und Wetter, wie man gewöhnlich meint. Die besseren waren wohlgeschirmt, meistens in Tempeln. Bis jetzt hat jedoch die Witterung den neuen Statuen in den Tuilerien wenig geschadet, und es ist ein heiterer Anblick, wenn sie blendend weiß aus dem frischgrünen Kastanienlaub hervorgrüßen. Dabei ist es hübsch anzuhören, wenn die Bonnen den kleinen Kindern, die dort spielen, manchmal erklären, was der marmorne nackte Mann bedeutet, der so zornig sein Schwert in der Hand hält, oder was das für ein sonderbarer Kauz ist, der auf seinem menschlichen Leib einen Ochsenkopf trägt und den ein anderer nackter Mann mit einer Keule niederschlägt; der Ochsenmensch, sagen sie, hat viele kleine Kinder gefressen. Junge Republikaner, die vorübergehn, pflegen auch wohl zu bemerken, daß der Spartakus sehr bedenklich nach den Fenstern der Tuilerien hinaufschielt, und in der Gestalt des Minotaurus sehen sie das Königtum. Andere Leute tadeln auch wohl an dem Theseus die Art, wie er die Keule schwingt, und sie behaupten: wenn er damit zuschlüge, würde er unfehlbar sich selber die Hand zerschmettern. Dem sei aber, wie ihm wolle; bis jetzt sieht das alles noch sehr gut aus. Jedoch nach einigen Wintern werden diese vortrefflichen Statuen schon verwittert und brüchig sein, und Moos wächst dann an dem Schwerte des Spartakus, und friedliche Insektenfamilien nisten zwischen dem Ochsenkopfe des Minotaurus und der Keule des Theseus, wenn diesem nicht gar unterdessen die Hand mitsamt der Keule abgebrochen ist.
Da hier doch soviel unnützes Militär gefüttert werden muß, so sollte der König in den Tuilerien neben jeder Statue eine Schildwache stellen, die, wenn es regnet, einen Regenschirm darüber ausspannt. Unter dem bürgerköniglichen Regenschirm würde dann im wahren Sinne des Wortes die Kunst geschützt sein.
Allgemein ist die Klage der Künstler über die allzu große Sparsamkeit des Königs. Als Herzog von Orleans, heißt es, habe er die Künste eifriger beschützt. Man murrt, er bestelle verhältnismäßig zuwenig Bilder und zahle dafür verhältnismäßig zuwenig Geld. Er ist jedoch, mit Ausnahme des Königs von Bayern, der größte Kunstkenner unter den Fürsten. Sein Geist ist vielleicht jetzt zu sehr politisch befangen, als daß er sich mit Kunstsachen so eifrig wie ehemals beschäftigen könnte. Wenn aber seine Vorliebe für Malerei und Skulptur etwas abgekühlt, so hat sich seine Neigung für Architektur fast bis zur Wut gesteigert. Nie ist in Paris soviel gebaut worden, wie jetzt auf Betrieb des Königs geschieht. Überall Anlagen zu neuen Bauwerken und ganz neuen Straßen. An den Tuilerien und dem Louvre wird beständig gehämmert. Der Plan zu den neuen Bibliothek ist das Großartigste, was sich denken läßt. Die Magdalenenkirche, der alte Tempel des Ruhms, ist seiner Vollendung nahe. An dem großen Gesandtschaftspalaste, den Napoleon an der rechten Seite der Seine aufführen wollte und der nur zur Hälfte fertig geworden, so daß er wie Trümmer einer Riesenburg aussieht, an diesem ungeheuren Werke wird jetzt weitergebaut. Dabei erheben sich wunderbar kolossale Monumente auf den öffentlichen Plätzen. Auf dem Bastillenplatz erhebt sich der große Elefant, der nicht übel die bewußte Kraft und die gewaltige Vernunft des Volks repräsentiert. Auf der Place de la Concorde sehen wir schon, in hölzerner Abbildung, den Obelisk des Luxor; in einigen Monaten steht dort das ägyptische Original und dient als Denkstein des schauerlichen Ereignisses, das einst am 21. Januar auf diesem Orte stattfand. Wieviel tausendjährige Erfahrungen uns dieser hieroglyphenbedeckte Bote aus dem Wunderland Ägypten mitbringen mag, so hat doch der junge Laternenpfahl, der auf der Place de la Concorde seit fünfzig Jahren steht, noch viel merkwürdigere Dinge erlebt, und der alte, rote, urheilige Riesenstein wird vor Entsetzen erblassen und zittern, wenn mal in einer stillen Winternacht jener frivol französische Laternenpfahl zu schwatzen beginnt und die Geschichte des Platzes erzählt, worauf sie beide stehen.
Das Bauwesen ist die Hauptleidenschaft des Königs, und diese kann vielleicht die Ursache seines Sturzes werden. Ich fürchte, trotz allen Versprechungen werden ihm die Forts détachés nicht aus dem Sinne kommen; denn bei diesem Projekte können seine Lieblingswerkzeuge, Kelle und Hammer, angewendet werden, und das Herz klopft ihm vor Freude, wenn er an einen Hammer denkt. Dieses Klopfen übertäubt vielleicht einst die Stimme seiner Klugheit, und ohne es zu ahnen, wird er von seinen Lieblingslaunen beschwatzt, wenn er jene Forts für sein einziges Heil und ihre Errichtung für leicht ausführbar hält. Durch das Medium der Architektur gelangen wir daher vielleicht in die größten Bewegungen der Politik. In Beziehung auf jene Forts und auf den König selbst will ich hier ein Fragment aus einem Memoire mitteilen, das ich vorigen Juli geschrieben:
„Das ganze Geheimnis der revolutionären Parteien besteht darin, daß sie die Regierung nicht mehr angreifen wollen, sondern von seiten derselben irgendeinen großen Angriff abwarten, um tatsächlichen Widerstand zu leisten. Eine neue Insurrektion kann daher in Paris nicht ausbrechen ohne den besondern Willen der Regierung, die erst durch irgendeine bedeutende Torheit die Veranlassung geben muß. Gelingt die Insurrektion, so wird Frankreich sogleich zu einer Republik erklärt, und die Revolution wälzt sich über ganz Europa, dessen alte Institutionen alsdann, wo nicht zertrümmert, doch wenigstens sehr erschüttert werden. Mißlingt die Insurrektion, so beginnt hier eine unerhört furchtbare Reaktion, die alsdann in den Nachbarländern mit der gewöhnlichen Ungeschicklichkeit nachgeäfft wird und dann ebenfalls manche Umgestaltung des Bestehenden hervorbringen kann. Auf jeden Fall wird die Ruhe Europas gefährdet durch alles, was die hiesige Regierung gegen die Interessen der Revolution Außerordentliches unternimmt, durch jede Feindseligkeit, die sie gegen die Parteien der Revolution ausübt. Da nun der Wille der hiesigen Regierung ganz ausschließlich der Wille des Königs ist, so ist die Brust Ludwig Philipps die eigentliche Pandorabüchse, die alle Übel enthält, die sich auf einmal über diese Erde ergießen können. Leider ist es nicht möglich, auf seinem Gesichte die Gedanken seines Herzens zu lesen; denn in der Verstellungskunst scheint die jüngere Linie ebensosehr Meister zu sein wie die ältere. Kein Schauspieler auf dieser Erde hat sein Gesicht so sehr in seiner Gewalt, keiner weiß so meisterhaft seine Rolle durchzuspielen wie unser Bürgerkönig. Er ist vielleicht einer der geschicktesten, geistvollsten und mutigsten Menschen Frankreichs; und doch hat er, als es galt, die Krone zu gewinnen, sich ein ganz harmloses, spießbürgerliches, zaghaftes Ansehen zu geben gewußt, und die Leute, die ihn ohne viel Umstände auf den Thron setzten, glaubten gewiß, ihn mit noch weit weniger Umständen wieder davon herunterwerfen zu können. Diesmal hat das Königtum die blödsinnige Rolle des Brutus gespielt. Daher sollten die Franzosen eigentlich über sich selber und nicht über den Ludwig Philipp lachen, wenn sie jene Karikaturen ansehen, wo letzterer mit seinem weißen Filzhut und großen Regenschirm dargestellt wird. Beides waren Requisiten, und wie die Poignées de main gehörten sie zu seiner Rolle. Der Geschichtschreiber wird ihm einst das Zeugnis geben, daß er diese gut ausgeführt hat; dieses Bewußtsein kann ihn trösten über die Satiren und Karikaturen, die ihn zur Zielscheibe ihres Witzes gewählt. Die Menge solcher Spottblätter und Zerrbilder wird täglich größer, und überall an den Mauern der Häuser sieht man groteske Birnen. Noch nie ist ein Fürst in seiner eignen Hauptstadt so sehr verhöhnt worden wie Ludwig Philipp. Aber er denkt, wer zuletzt lacht, lacht am besten; ihr werdet die Birne nicht fressen, die Birne frißt euch Gewiß, er fühlt alle Beleidigungen, die man ihm zufügt; denn er ist ein Mensch. Er ist auch nicht von so gnädiger Lammsnatur, daß er sich nicht dafür rächen möchte; er ist ein Mensch aber ein starker Mensch, der seinen augenblicklichen Unmut bezwingen kann und seiner Leidenschaft zu gebieten weiß. Wenn die Stunde kommt, die er für die rechte hält, dann wird er losschlagen; erst gegen die innern Feinde, hernach gegen die äußeren, die ihn noch weit empfindlicher beleidigt haben. Dieser Mann ist alles fähig, und wer weiß, ob er nicht einst jenen Handschuh, der von allen möglichen Poignées de main so schmutzig geworden, der ganzen Heiligen Allianz als Fehdehandschuh hinwirft. Es fehlt ihm wahrhaftig nicht an fürstlichem Selbstgefühl. Ihn, den ich kurz nach der Juliusrevolution mit Filzhut und Regenschirm sah, wie verändert erblickte ich ihn plötzlich am sechsten Junius voriges Jahr, als er die Republikaner bezwang. Es war nicht mehr der gutmütige, schwammbäuchige Spießbürger, das lächelnde Fleischgesicht; sogar seine Korpulenz gab ihm plötzlich ein würdiges Ansehn, er warf das Haupt so kühn in die Höhe, wie es jemals irgendeiner seiner Vorfahren getan, er erhob sich in dickster Majestät, jedes Pfund ein König. Als er aber dennoch fühlte, daß die Krone auf seinem Haupte noch nicht ganz fest saß und noch manches schlechte Wetter eintreten könnte: wie schnell Hatte er wieder den alten Filzhut aufgestülpt und seinen alten Regenschirm zur Hand genommen! Wie bürgerlich, einige Tage nachher, bei der großen Revue, grüßte er wieder Gevatter Schneider und Schuster, wie gab er wieder rechts und links die herzlichsten Poignées de main, und nicht bloß mit der Hand, sondern auch mit den Augen, mit den lächelnden Lippen, ja sogar mit dem Backenbart! Und dennoch, dieserlächelnde grüßende, bittende, flehende gute Mann trug damals in seiner Brust vierzehn Forts détachés.
Diese Forts sind jetzt Gegenstand der bedenklichsten Fragen, und die Lösung derselben kann furchtbar werden und den ganzen Erdkreis erschüttern. Das ist wieder der Fluch, der die klugen Leute ins Verderben stürzt, sie glauben klüger zu sein als ganze Völker, und doch hat die Erfahrung gezeigt, daß die Massen immer richtig geurteilt und, wo nicht die ganzen Pläne, doch immer die Absichten ihrer Machthaber erraten. Die Völker sind allwissend, alldurchschauend; das Auge des Volks ist das Auge Gottes. So hat das französische Volk mitleidig die Achsel gezuckt, als die Regierung ihm landesväterlichst vorheuchelte: sie wolle Paris befestigen, um es gegen die Heilige Allianz verteidigen zu können. Jeder fühlte, daß nur Ludwig Philipp sich selber befestigen wollte gegen Paris. Es ist wahr, der König hat Gründe genug, Paris zu fürchten, die Krone glüht ihm auf dem Haupte und versengt ihm das Toupet, solange die große Flamme noch lodert in Paris, dem Foyer der Revolution. Aber warum gesteht er dieses nicht ganz offen? warum gebärdet er sich noch immer als einen treuen Wächter dieser Flamme? Ersprießlicher wäre vielleicht für ihn das offene Bekenntnis an die Gewürzkrämer und sonstige Parteigenossen, daß er für sie und sich selber nicht stehen könne, solange er nicht gänzlich Herr von Paris, daß er deshalb die Hauptstadt mit vierzehn Forts umgebe, deren Kanonen jeder Emeute gleich von oben herab Stillschweigen gebieten würden offenes Eingeständnis, daß es sich um seinen Kopf und alle Justemilieu-Köpfe handle, hätte vielleicht gute Wirkung hervorgebracht. Aber jetzt sind nicht bloß die Parteien der Opposition, sondern auch die Boutiquiers und die meisten Anhänger des Justemilieu-Systems ganz verdrießlich über die Forts détachés, und die Presse hat ihnen hinlänglich die Gründe auseinandergesetzt, weshalb sie verdrießlich sind. Die meisten Boutiquiers sind nämlich jetzt der Meinung, Ludwig Philipp sei ein ganz vortrefflicher König, er sei wert, daß man Opfer für ihn bringe, ja sich manchmal für ihn in Gefahr setze wie am 5. und 6. Junius, wo sie ihrer 40000 Mann in Gemeinschaft mit 20000 Mann Linientruppen gegen mehrere hundert Republikaner ihr Leben gewagt haben: keineswegs jedoch sei Ludwig Philipp wert, daß man, um ihn zu behalten, bei späteren bedeutenderen Emeuten ganz Paris, also sich selber nebst Weib und Kind und sämtlichen Butiken, in die Gefahr setzt, von 14 Höhen herab zugrunde geschossen zu werden. Man sei ja, meinen sie übrigens, seit fünfzig Jahren an alle möglichen Revolutionen gewöhnt, man habe sich ganz darauf einstudiert, bei geringen Emeuten zu intervenieren, damit die Ruhe gleich wiederhergestellt wird, bei größeren Insurrektionen sich gleich zu unterwerfen, damit ebenfalls die Ruhe gleich wiederhergestellt wird. Auch die Fremden, meinen sie, die reichen Fremden, die in Paris soviel Geld verzehren, hätten jetzt eingesehen, daß eine Revolution für jeden ruhigen Zuschauer ungefährlich sei, daß dergleichen mit großer Ordnung, sogar mit großer Artigkeit stattfinde, dergestalt, daß es für einen Ausländer noch ein besonderes Amüsement sei, eine Revolution in Paris zu erleben. Umgäbe man aber Paris mit Forts détachés, so würde die Furcht, daß man eines frühen Morgens zugrunde geschossen werden könne, die Ausländer, die Provinzialen und nicht bloß die Fremden, sondern auch viele hier ansässige Rentiers aus Paris verscheuchen; man würde dann weniger Zucker, Pfeffer und Pomade verkaufen und geringere Hausmiete gewinnen; kurz, Handel und Gewerbe würden zugrunde gehn. Die Epiciers, die solcherweise für den Zins ihrer Häuser, für die Kunden ihrer Butiken und für sich selbst und ihre Familien zittern, sind daher Gegner eines Projektes, wodurch Paris eine Festung wird, wodurch Paris nicht mehr das alte, heitere, sorglose Paris bleibt. Andere, die zwar zum Justemilieu gehören, aber den liberalen Prinzipien der Revolution nicht entsagt haben und solche Prinzipien noch immer mehr lieben als den Ludwig Philipp: diese wollen das Bürgerkönigtum vielmehr durch Institutionen als durch eine Art von Bauwerken geschützt sehen, die allzusehr an die alte feudalistische Zeit erinnern, wo der Inhaber der Zitadelle die Stadt nach Willkür beherrschen konnte. Ludwig Philipp, sagen sie, sei bis jetzt noch ein treuer Wächter der bürgerlichen Freiheit und Gleichheit, die man durch soviel Blut erkämpft; aber er sei Mensch, und im Menschen wohne immer ein geheimes Gelüste nach absoluter Herrschaft. Im Besitz der Forts détachés könne er ungeahndet, nach Willkür, jede Laune befriedigen; er sei alsdann weit unumschränkter, als es die Könige vor der Revolution jemals sein mochten; diese hätten nur einzelne Unzufriedene in die Bastille setzen können, Ludwig Philipp aber umgäbe die ganze Stadt mit Bastillen, er embastilliere ganz Paris. Ja, wenn man auch der edlen Gesinnung des jetzigen Königs ganz sicher wäre, so könne man doch nicht für die Gesinnungen seiner Nachfolger Bürge stehen, noch viel weniger für die Gesinnungen aller derjenigen, die sich durch List oder Zufall einst in den Besitz jener Forts détachés setzen und alsdann Paris nach Willkür beherrschen könnten. Weit wichtiger noch als diese Einwürfe war eine andere Besorgnis, die sich von allen Seiten kundgab und sogar diejenigen erschütterte, die bis jetzt weder gegen noch für die Regierung, ja nicht einmal für oder gegen die Revolution Partei genommen. Sie betraf das höchste und wichtigste Interesse des ganzen Volks, die Nationalunabhängigkeit. Trotz aller französischen Eitelkeit, die nie gern an 1814 und 1815 zurückdenkt, mußte man sich doch heimlich gestehen, daß eine dritte Invasion nicht so ganz außer dem Bereiche der Möglichkeit läge, daß die Forts détachés nicht bloß den Alliierten kein allzu großes Hindernis sein würden, wenn sie Paris einnehmen wollten, sondern daß sie eben dieser Forts sich bemächtigen könnten, um Paris für ewige Zeiten in Zaum zu halten oder wo nicht gar für immer in den Grund zu schießen. Ich referiere hier nur die Meinung der Franzosen, die sich für überzeugt halten, daß einst bei der Invasion die fremden Truppen sich wieder von Paris entfernt, weil sie keinen Stützpunkt gegen die große Einwohnermasse gefunden, und daß jetzt die Fürsten in der Tiefe ihrer Herzen nichts Sehnlicheres wünschen, als Paris, das Foyer der Revolution, von Grund aus zu zerstören. - -“
Sollte jetzt wirklich das Projekt der Forts détachés für immer aufgegeben sein? Das weiß nur der Gott, der in die Nieren der Könige schaut.
Ich kann nicht umhin zu erwähnen, daß uns vielleicht der Parteigeist verblendet und der König wirklich die gemeinnützigsten Absichten hegt und sich nur gegen die Heilige Allianz barrikadieren will. Es ist aber unwahrscheinlich. Die Heilige Allianz hat tausend Gründe, vielmehr den Ludwig Philipp zu fürchten, und sie hat noch außerdem einen allerwichtigsten Hauptgrund, seine Erhaltung zu wünschen. Denn erstens ist Ludwig Philipp der mächtigste Fürst in Europa, seine materiellen Kräfte werden verzehnfacht durch die ihnen inwohnende Beweglichkeit, und zehnfach, ja hundertfach stärker noch sind die geistigen Mittel, worüber er nötigenfalls gebieten könnte; und sollten dennoch die vereinigten Fürsten den Sturz dieses Mannes bewirken, so hätten sie selber die mächtigste und vielleicht letzte Stütze des Königtums in Europa umgestürzt. Ja, die Fürsten sollten dem Schöpfer der Kronen und Throne tagtäglich auf ihren Knien dafür danken, daß Ludwig Philipp König von Frankreich ist. Schon haben sie einmal die Torheit begangen, den Mann zu töten, der am gewaltigsten die Republikaner zu bändigen vermochte, den Napoleon. Oh, mit Recht nennt ihr euch Könige von Gottes Gnade! Es war eine besondere Gnade Gottes, daß er den Königen noch einmal einen Mann schickte, der sie rettete, als wieder der Jakobinismus die Axt in Händen hatte und das alte Königtum zu zertrümmern drohte; töten die Fürsten auch diesen Mann, so kann ihnen Gott nicht mehr helfen. Durch die Sendung des Napoleon Bonaparte und des Ludwig Philipp Orleans, dieser zwei Mirakel, hat er dem Königtum zweimal seine Rettung angeboten. Denn Gott ist vernünftig und sieht ein, daß die republikanische Regierungsform sehr unpassend, unersprießlich und unerquicklich ist für das alte Europa. Und auch ich habe diese Einsicht. Aber wir können vielleicht beide nichts ausrichten gegen die Verblendung der Fürsten und Demagogen. Gegen die Dummheit kämpfen wir Götter selbst vergebens.
Ja, es ist meine heiligste Überzeugung, daß das Republikentum unpassend, unersprießlich und unerquicklich wäre für die Völker Europas und gar unmöglich für die Deutschen. Als in blinder Nachäffung der Franzosen die deutschen Demagogen eine deutsche Republik predigten und nicht bloß die Könige, sondern auch das Königtum selbst, die letzte Garantie unseres Gesellschaft, mit wahnsinniger Wut zu verlästern und zu schmähen suchten: da hielt ich es für Pflicht, mich auszusprechen, wie es in vorstehenden Blättern in Beziehung auf den 21. Januar geschehen ist. Obgleich mir seit dem 28. Junius des vorigen Jahrs mein Monarchismus etwas sauer gemacht wird, so habe ich doch jene Äußerungen bei diesem erneuerten Druck nicht ausscheiden wollen. Ich bin stolz darauf, daß ich einst den Mut besessen, weder durch Liebkosung und Intrige noch durch Drohung mich fortreißen zu lassen in Unverstand und Irrsal. Wer nicht so weit geht, als sein Herz ihn drängt und die Vernunft ihm erlaubt, ist eine Memme; wer weiter geht, als er gehen wollte, ist ein Sklave.