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Heinrich Heine: Französische Maler
L. Robert





L. Robert


heißt dieser Maler. Ist er ein Historienmaler oder ein Genremaler? höre ich die deutschen Zunftmeister fragen. Leider kann ich hier diese Frage nicht umgehen, ich muß mich über jene unverständigen Ausdrücke etwas verständigen, um den größten Mißverständnissen ein für allemal vorzubeugen. Jene Unterscheidung von Historie und Genre ist so sinnverwirrend, daß man glauben sollte, sie sei eine Erfindung der Künstler, die am babylonischen Turme gearbeitet haben. Indessen ist sie von späterem Datum. In den ersten Perioden der Kunst gab es nur Historienmalerei, nämlich Darstellungen aus der heiligen Historie. Nachher hat man die Gemälde, deren Stoffe nicht bloß der Bibel, der Legende, sondern auch der profanen Zeitgeschichte und der heidnischen Götterfabel entnommen worden, ganz ausdrücklich mit dem Namen Historienmalerei bezeichnet, und zwar im Gegensatze zu jenen Darstellungen aus dem gewöhnlichen Leben, die namentlich in den Niederlanden aufkamen, wo der protestantische Geist die katholischen und mythologischen Stoffe ablehnte, wo für letztere vielleicht weder Modelle noch Sinn jemals vorhanden waren und wo doch so viele ausgebildete Maler lebten, die Beschäftigung wünschten, und so viele Freunde der Malerei, die gerne Gemälde kauften. Die verschiedenen Manifestationen des gewöhnlichen Lebens wurden alsdann verschiedene „Genres“.

Sehr viele Maler haben den Humor des bürgerlichen Kleinlebens bedeutsam dargestellt, doch die technische Meisterschaft wurde leider die Hauptsache. Alle diese Bilder gewinnen aber für uns ein historisches Interesse; denn wenn wir die hübschen Gemälde des Mieris, des Netscher, des Jan Steen, des van Dou, des van der Werff usw. betrachten, offenbart sich uns wunderbar der Geist ihrer Zeit, wir sehen sozusagen dem sechzehnten Jahrhundert in die Fenster und erlauschen damalige Beschäftigungen und Kostüme. In Hinsicht der letztern waren die niederländischen Maler ziemlich begünstigt, die Bauerntracht war nicht unmalerisch, und die Kleidung des Bürgerstandes war bei den Männern eine allerliebste Verbindung von niederländischer Behaglichkeit und spanischer Grandezza, bei den Frauen eine Mischung von bunten Allerweltsgrillen und einheimischem Phlegma. Z.B. Mynheer mit dem burgundischen Samtmantel und dem bunten Ritterbarett hatte eine irdene Pfeife im Munde; Mifrow trug schwere schillernde Schleppenkleider von venezianischem Atlas, Brüsseler Kanten, afrikanische Straußfedern, russisches Pelzwerk, westöstliche Pantoffeln und hielt im Arm eine andalusische Mandoline oder ein braunzottiges Hondchen von Saardamer Rasse; der aufwarstende Mohrenknabe, der türkische Teppich, die bunten Papageien, die fremländischen Blumen, die großen Silber- und Goldgeschirre mit getriebenen Arabesken, dergleichen warf auf das holländische Käseleben sogar einen orientalischen Märchenschimmer.

Als die Kunst, nachdem sie lange geschlafen, in unserer Zeit wieder erwachte, waren die Künstler in nicht geringer Verlegenheit ob der darzustellenden Stoffe. Die Sympathie für Gegenstände der heiligen Historie und der Mythologie war in den meisten Ländern Europas gänzlich erloschen, sogar in katholischen Ländern, und doch schien das Kostüm der Zeitgenossen gar zu unmalerisch, um Darstellungen aus der Zeitgeschichte und aus dem gewöhnlichen Leben zu begünstigen. Unser moderner Frack hat wirklich so etwas Grundprosaisches, daß er nur parodistisch in einem Gemälde zu gebrauchen wäre. Die Maler, die ebenfalls dieser Meinung sind, haben sich daher nach malerischen Kostümen umgesehen. Die Vorliebe für ältere geschichtliche Stoffe mag hierdurch besonders befördert worden sein, und wir finden in Deutschland eine ganze Schule, der es freilich nicht an Talenten gebricht, die aber unablässig bemüht ist, die heutigsten Menschen mit den heutigsten Gefühlen in die Garderobe des katholischen und feudalistischen Mittelalters, in Kutten und Harnische, einzukleiden. Andere Maler haben ein anderes Auskunftsmittel versucht: zu ihren Darstellungen wählten sie Volksstämme, denen die herandrängende Zivilisation noch nicht ihre Originalität und ihre Nationaltracht abgestreift. Daher die Szenen aus dem Tiroler Gebirge, die wir auf den Gemälden der Münchener Maler so oft sehen. Dieses Gebirge liegt ihnen so nahe, und das Kostüms seiner Bewohner ist malerischer als das unserer Dandys. Daher auch jene freudigen Darstellungen aus dem italienischen Volksleben, das ebenfalls den meisten Malern sehr nahe ist, wegen ihres Aufenthaltes in Rom, wo sie jene idealische Natur und jene uredle Menschenformen und malerische Kostüme finden, wonach ihr Künstlerherz sich sehnt.

Robert, Franzose von Geburt, in seiner Jugend Kupferstecher, hat späterhin eine Reihe Jahre in Rom gelebt, und zu der eben erwähnten Gattung, zu Darstellungen aus dem italienischen Volksleben, gehören die Gemälde, die er dem diesjährigen Salon geliefert. „Er ist also ein Genremaler“, höre ich die Zunftmeister aussprechen, und ich kenne eine Frau Historienmalerin, die jetzt über ihn die Nase rümpft. Ich kann aber jene Benennung nicht zugeben, weil es, im alten Sinne, keine Historienmalerei mehr gibt. Es wäre gar zu vag, wenn man diesen Namen für alle Gemälde, die einen tiefen Gedanken aussprechen, in Anspruch nehmen wollte und sich dann bei jedem Gemälde herumstritte, ob ein Gedanke darin ist; ein Streit, wobei am Ende nichts gewonnen wird als ein Wort. Vielleicht wenn es in seiner natürlichsten Bedeutung, nämlich für Darstellungen aus der Weltgeschichte, gebraucht würde, wäre dieses Wort Historienmalerei ganz bezeichnend für eine Gattung, die jetzt so üppig emporwächst und deren Blüte schon erkennbar ist in den Meisterwerken von Delaroche.

Doch ehe ich letzteren besonders bespreche, erlaube ich mir noch einige flüchtige Worte über die Robertschen Gemälde. Es sind, wie ich schon angedeutet, lauter Darstellungen aus Italien, Darstellungen, die uns die Holdseligkeit dieses Landes aufs wunderbarste zur Anschauung bringen. Die Kunst, lange Zeit die Zierde von Italien, wird jetzt der Cicerone seiner Herrlichkeit, die sprechenden Farben des Malers offenbaren uns seine geheimsten Reize, ein alter Zauber wird wieder mächtig, und das Land, das uns einst durch seine Waffen und später durch seine Worte unterjochte, unterjocht uns jetzt durch seine Schönheit. Ja, Italien wird uns immer beherrschen, und Maler wie Robert fesseln uns wieder an Rom.

Wenn ich nicht irre, kennt man schon durch Lithographie die Pifferari von Robert, die jetzt zur Ausstellung gekommen sind und jene Pfeifer aus den albanischen Gebirgen vorstellen, welche um Weihnachtzeit nach Rom kommen, vor den Marienbildern musizieren und gleichsam der Muttergottes ein heiliges Ständchen bringen. Dieses Stück ist besser gezeichnet als gemalt, es hat etwas Schroffes, Trübes, Bolognesisches, wie etwa ein kolorierter Kupferstich. Doch bewegt es die Seele, als hörte man die naiv fromme Musik, die eben von jenen albanischen Gebirgshirten gepfiffen wird.

Minder einfach, aber vielleicht noch tiefsinniger ist ein anderes Bild von Robert, worauf man eine Leiche sieht, die unbedeckt, nach italienischer Sitte, von der barmherzigen Brüderschaft zu Grabe getragen wird. Letztere, ganz schwarz vermummt, in der schwarzen Kappe nur zwei Löcher für die Augen, die unheimlich herauslugen, schreitet dahin wie ein Gespensterzug. Auf einer Bank im Vordergrunde, dem Beschauer entgegen, sitzt der Vater, die Mutter und der junge Bruder des Verstorbenen. Ärmlich gekleidet, tiefbekümmert, gesenkten Hauptes und mit gefalteten Händen sitzt der alte Mann in der Mitte zwischen dem Weibe und dem Knaben. Er schweigt; denn es gibt keinen größeren Schmerz in dieser Welt als den Schmerz eines Vaters, wenn er gegen die Sitte der Natur sein Kind überlebt. Die gelbbleiche Mutter scheint verzweiflungsvoll zu jammern. Der Knabe, ein armer Tölpel, hat ein Brot in den Händen, er will davon essen, aber kein Bissen will ihm munden ob des unbewußten Mitkummers, und um so trauriger ist seine Miene. Der Verstorbene scheint der älteste Sohn zu sein, die Stütze und Zierde der Familie, korinthische Säule des Hauses: und jugendlich blühend, anmutig und fast lächelnd liegt er auf der Bahre, so daß in diesem Gemälde das Leben trüb, häßlich und traurig, der Tod aber unendlich schön erscheint, ja anmutig und fast lächelnd.

Der Maler, der so schön den Tod verklärt, hat jedoch das Leben noch weit herrlicher darzustellen gewußt: sein großes Meisterwerk, „Die Schnitter“, ist gleichsam die Apotheose des Lebens; bei dem Anblick desselben vergißt man, daß es ein Schattenreich gibt, und man zweifelt, ob es irgendwo herrlicher und lichter sei als auf dieser Erde. „Die Erde ist der Himmel, und die Menschen sind heilig durchgöttert“, das ist die große Offenbarung, die mit seligen Farben aus diesem Bilde leuchtet. Das Pariser Publikum hat dieses gemalte Evangelium besser aufgenommen, als wenn der heilige Lukas es geliefert hätte. Die Pariser haben jetzt gegen letztern sogar ein allzu ungünstiges Vorurteil.

Eine öde Gegend der Romagna im italienisch blühendsten Abendlichte erblicken wir auf dem Robertschen Gemälde. Der Mittelpunkt desselben ist ein Bauerwagen, der von zwei großen, mit schweren Ketten geschirrten Büffeln gezogen wird und mit einer Familie von Landleuten beladen ist, die eben haltmachen will. Rechts sitzen Schnitterinnen neben ihren Garben und ruhen aus von der Arbeit, während ein Dudelsackpfeifer musiziert und ein lustiger Gesell zu diesen Tönen tanzt, seelenvergnügt, und es ist, als hörte man die Melodie und die Worte:

Damigella, tutta bella,
Versa, versa il bel vino!

Links kommen ebenfalls Weiber mit Fruchtgarben, jung und schön, Blumen, belastet mit Ähren; auch kommen von derselben Seite zwei junge Schnitter, wovon der eine etwas wollüstig schmachtend mit zu Boden gesenktem Blick einherschwankt, der andere aber mit aufgehobener Sichel in die Höhe jubelt. Zwischen den beiden Büffeln des Wagens steht ein stämmiger, braunbrustiger Bursche, der nur der Knecht zu sein scheint und stehend Sieste hält. Oben auf dem Wagen, an der einen Seite, liegt, weich gebettet, der Großvater, ein milder, erschöpfter Greis, der aber vielleicht geistig den Familienwagen lenkt; an der anderen Seite erblickt man dessen Sohn, einen kühnruhigen, männlichen Mann, der mit untergeschlagenem Beine auf dem Rücken des einen Büffels sitzt und das sichtbare Zeichen des Herrschers, die Peitsche, in den Händen hat; etwas höher auf dem Wagen, fast erhaben, steht das junge schöne Eheweib des Mannes, ein Kind im Arm, eine Rose mit einer Knospe, und neben ihr steht eine eben so holdblühende Jünglingsgestalt, wahrscheinlich der Bruder, der die Leinwand der Zeltstange eben entfalten will. Da das Gemälde, wie ich höre, jetzt gestochen wird und vielleicht schon nächsten Monat als Kupferstich nach Deutschland reist, so erspare ich mir jede weitere Beschreibung. Aber ein Kupferstich wird ebensowenig wie irgendeine Beschreibung den eigentlichen Zauber des Bildes aussprechen können. Dieser besteht im Kolorit. Die Gestalten, die sämtlich dunkler sind als der Hintergrund, werden durch den Widerschein des Himmels so himmlisch beleuchtet, so wunderbar, daß sie an und für sich in freudigst hellen Farben erglänzen und dennoch alle Konturen sich streng abzeichnen. Einige Figuren scheinen Porträt zu sein. Doch der Maler hat nicht in der dummehrlichen Weise mancher seiner Kollegen die Natur treu nachgepinselt und die Gesichter diplomatisch genau abgeschrieben, sondern, wie ein geistreicher Freund bemerkte, Robert hat die Gestalten, die ihm die Natur geliefert, erst in sein Gemüt aufgenommen, und wie die Seelen im Fegfeuer, die dort nicht ihre Individualität, sondern ihre irdischen Schlacken einbüßen, ehe sie selig hinaufsteigen in den Himmel, so wurden jene Gestalten in der glühenden Flammentiefe des Künstlergemütes so fegfeurig gereinigt und geläutert, daß sie verklärt emporstiegen in den Himmel der Kunst, wo ebenfalls ewiges Leben und ewige Schönheit herrscht, wo Venus und Maria niemals ihre Anbeter verlieren, wo Romeo und Julie nimmer sterben, wo Helena ewig jung bleibt und Hekuba wenigstens nicht älter wird.

In der Farbengebung des Robertschen Bildes erkennt man das Studium des Raffael. An diesen erinnert mich ebenfalls die architektonische Schönheit der Gruppierung. Auch einzelne Gestalten, namentlich die Mutter mit dem Kinde, ähneln den Figuren auf den Gemälden des Raffael, und zwar aus seiner Vorfrühlingsperiode, wo er noch die strengen Typen des Perugino zwar sonderbar treu, aber doch holdselig gemildert wiedergab.

Es wird mir nicht einfallen, zwischen Robert und dem größten Maler der katholischen Weltzeit eine Parallele zu ziehen. Aber ich kann doch nicht umhin, ihre Verwandtschaft zu gestehen. Es ist indessen nur eine materielle Formenverwandtschaft, nicht eine geistige Wahlverwandtschaft. Raffael ist ganz gedrängt von katholischem Christentum, einer Religion, die den Kampf des Geistes mit der Materie oder des Himmels mit der Erde ausspricht, eine Unterdrückung der Materie beabsichtigt, jeden Protest derselben eine Sünde nennt und die Erde vergeistigen oder vielmehr die Erde dem Himmel aufopfern möchte. Robert gehört aber einem Volke an, worin der Katholizismus erloschen ist. Denn, beiläufig gesagt, der Ausdruck der Charte, daß der Katholizismus die Religion der Mehrheit des Volkes sei, ist nur eine französische Galanterie gegen Notredame de Paris, die ihrerseits wieder mit gleicher Höflichkeit die drei Farben der Freiheit auf dem Haupte trägt, eine Doppelheuchelei, wogegen die rohe Menge etwas unförmlich protestierte, als sie jüngst die Kirchen demolierte und die Heiligenbilder in der Seine schwimmen lehrte. Robert ist ein Franzose, und er, wie die meisten seiner Landsleute, huldigt unbewußt einer noch verhüllten Doktrin, die von einem Kampfe des Geistes mit der Materie nichts wissen will, die dem Menschen nicht die sichern irdischen Genüsse verbietet und dagegen desto mehr himmlische Freuden ins Blaue hinein verspricht, die den Menschen vielmehr schon auf dieser Erde beseligen möchte und die sinnliche Welt ebenso heilig achtet wie die geistige; „denn Gott ist alles, was da ist“. Roberts Schnitter sind daher nicht nur sündenlos, sondern sie kennen keine Sünde, ihr irdisches Tagwerk ist Andacht, sie beten beständig, ohne die Lippen zu bewegen, sie sind selig ohne Himmel, versöhnt ohne Opfer, rein ohne beständiges Abwaschen, ganz heilig. Daher, wenn auf katholischen Bildern nur die Köpfe, als der Sitz des Geistes, mit einem Heiligenschein umstrahlt sind und die Vergeistigung dadurch symbolisiert wird, so sehen wir dagegen auf dem Robertschen Bilde auch die Materie verheiligt, indem hier der ganze Mensch, der Leib ebensogut wie der Kopf, vom himmlischen Lichte, wie von einer Glorie, umflossen ist.

Aber der Katholizismus ist im neuen Frankreich nicht bloß erloschen, sondern er hat hier auch nicht einmal einen rückwirkenden Einfluß auf die Kunst wie in unserm protestantischen Deutschland, wo er durch die Poesie, die jeder Vergangenheit inwohnt, eine neue Geltung gewonnen. Es ist vielleicht bei den Franzosen ein stiller Nachgrimm, der ihnen die katholischen Traditionen verleidet, während für alle andere Erscheinungen der Geschichte ein gewaltiges Interesse bei ihnen auftaucht. Diese Bemerkung kann ich durch eine Tatsache beweisen, die sich eben wieder durch jene Bemerkung erklären läßt. Die Zahl der Gemälde, worauf christliche Geschichten, sowohl des Alten Testaments als des Neuen, sowohl der Tradition als der Legende, dargestellt sind, ist im diesjährigen Salon so gering, daß manche Unter-Unterabteilung einer weltlichen Gattung weit mehr Stücke geliefert, und wahrhaftig bessere Stücke. Nach genauer Zählung finde ich unter den dreitausend Nummern des Katalogs nur neunundzwanzig jener heiligen Gemälde verzeichnet, während allein schon derjenigen Gemälde, worauf Szenen aus Walter Scotts Romanen dargestellt sind, über dreißig gezählt werden. Ich kann also, wenn ich von französischer Malerei rede, gar nicht mißverstanden werden, wenn ich die Ausdrücke „historische Gemälde“ und „historische Schule“ in ihrer natürlichsten Bedeutung gebrauche.

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© Wolfgang Fricke