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Heinrich Heine: Über die Französische Bühne


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Siebter Brief

Es wäre ungerecht, wenn ich, nach so rühmlicher Erwähnung Frédéric Lemaîtres, den ändern großen Schauspieler, dessen sich Paris zu erfreuen hat, mit Stillschweigen überginge. Bocage genießt hier eines ebenso glänzenden Ruhmes, und seine Persönlichkeit ist, wo nicht ebenso merkwürdig, doch gewiß ebenso interessant wie die seines Kollegen. Bocage ist ein schöner, vornehmer Mensch, der sich in den edelsten Formen bewegt. Er besitzt eine metallreiche, zu allen Tonarten biegsame Stimme, die ebensogut des furchtbarsten Donners von Zorn und Grimm als der hinschmelzendsten Zärtlichkeit des Liebeflüsterns fähig ist. In den wildesten Ausbrüchen der Leidenschaft bewahrt er eine Grazie, bewahrt er die Würde der Kunst und verschmäht es, in rohe Natur überzuschnappen, wie Frédéric Lemaître, der zu diesem Preise größere Effekte erreicht, aber Effekte, die uns nicht durch poetische Schönheit entzücken. Dieser ist eine exzeptionelle Natur, der von seiner dämonischen Gewalt mehr besessen wird, als er sie selber besitzt, und den ich mit Kean vergleichen konnte; jener, Bocage, ist nicht von anderen Menschen organisch verschieden, sondern unterscheidet sich von ihnen durch eine ausgebildetere Organisation, er ist nicht ein Zwittergeschöpf von Ariel und Kaliban, sondern er ist ein harmonischer Mensch, eine schöne, schlanke Gestalt, wie Phöbus Apollo. Sein Auge ist nicht so bedeutend, aber mit der Kopfbewegung kann er ungeheure Effekte hervorbringen, besonders wenn er manchmal weltverhöhnend vornehm das Haupt zurückwirft. Er hat kalte, ironische Seufzer, die einem wie eine stählerne Säge durch die Seele ziehen. Er hat Tränen in der Stimme und tiefe Schmerzenslaute, daß man glauben sollte, er verblute nach innen. Wenn er sich plötzlich mit beiden Händen die Augen bedeckt, so wird einem zumute, als spräche der Tod: „Es werde Finsternis!“ Wenn er aber dann wieder lächelt, mit all seinem süßen Zauber lächelt, dann ist es, als ob in seinen Mundwinkeln die Sonne aufgehe.

Da ich doch einmal in die Beurteilung des Spiels gerate, so erlaube ich mir, Ihnen über die Verschiedenheit der Deklamation in den drei Königreichen der zivilisierten Welt, in England, Frankreich und Deutschland, einige unmaßgebliche Bemerkungen mitzuteilen.

Als ich in England der Vorstellung englischer Tragödien zuerst beiwohnte, ist mir besonders eine Gestikulation aufgefallen, die mit der Gestikulation der Pantomimenspiele die größte Ähnlichkeit zeigte. Dieses erschien mir aber nicht als Unnatur, sondern vielmehr als Übertreibung der Natur, und es dauerte lange, ehe ich mich daran gewöhnen, trotz des karikierten Vertrags die Schönheit einer Shakespeareschen Tragödie auf englischem Boden genießen konnte. Auch das Schreien, das zerreißende Schreien, womit dort sowohl Männer wie Weiber ihre Rollen tragieren, konnte ich im Anfang nicht vertragen. Ist in England, wo die Schauspielhäuser so groß sind, dieses Schreien notwendig, damit die Worte nicht im weiten Räume verhallen? Ist die oberwähnte karikierte Gestikulation ebenfalls eine lokale Notwendigkeit, indem der größte Teil der Zuschauer in so großer Entfernung von der Bühne sich befindet? Ich weiß nicht. Es herrscht vielleicht auf dem englischen Theater ein Gewohnheitsrecht der Darstellung, und diesem ist die Übertreibung beizumessen, die mir besonders auffiel bei Schauspielerinnen, bei zarten Organen, die, auf Stelzen schreitend, nicht selten in die widerwärtigsten Mißlaute herabstürzen, bei jungfräulichen Leidenschaften, die sich wie Trampeltiere gebärden. Der Umstand, daß früher hin die Frauenzimmerrollen auf der englischen Bühne von Männern gespielt wurden, wirkt vielleicht noch auf die Deklamation der heutigen Schauspielerinnen, die ihre Rollen vielleicht nach alten Überlieferungen, nach Theatertraditionen, herschreien.

Indessen, wie groß auch die Gebrechen sind, womit die englische Deklamation behaftet ist, so leistet sie doch einen bedeutenden Ersatz durch die Innigkeit und Naivetät, die sie zuweilen hervortreten läßt. Diese Eigenschaften verdankt sie der Landessprache, die eigentlich ein Dialekt ist und alle Tugenden einer aus dem Volke unmittelbar hervorgegangenen Mundart besitzt. Die französische Sprache ist vielmehr ein Produkt der Gesellschaft, und sie entbehrt jene Innigkeit und Naivetät, die nur eine lautere, dem Herzen des Volks entsprungene und mit dein Herzblut desselben geschwängerte Wortquelle gewähren kann. Dafür aber besitzt die französische Deklamation eine Grazie und Flüssigkeit, die der englischen ganz fremd, ja unmöglich ist. Die Rede ist hier in Frankreich, durch das schwatzende Gesellschaftsleben, während drei Jahrhunderten so rein filtriert worden, daß sie alle unedle Ausdrücke und unklare Wendungen, alles Trübe und Gemeine, aber auch allen Duft, alle jene wilden Heilkräfte, alle jene geheimen Zauber, die im rohen Worte rinnen und rieseln, unwiederbringlich verloren hat. Die französische Sprache, und also auch die französische Deklamation, ist, wie das Volk selber, nur dem Tage, der Gegenwart angewiesen, das dämmernde Reich der Erinnerung und der Ahnung ist ihr verschlossen: sie gedeiht im Lichte der Sonne, und von dieser stammt ihre schöne Klarheit und Wärme; fremd und unwirtlich ist ihr die Nacht mit dem blassen Mondschein, den mystischen Sternen, den süßen Träumen und schauerlichen Gespenstern.

Was aber das eigentliche Spiel der französischen Schauspieler betrifft, so überragen sie ihre Kollegen in allen Landen, und zwar aus dem natürlichen Grunde, weil alle Franzosen geborene Komödianten sind. Das weiß sich in alle Lebensrollen so leicht hineinzustudieren und immer so vorteilhaft zu drapieren, daß es eine Freude ist anzusehen. Die Franzosen sind die Hofschauspieler des lieben Gottes, les comédiens ordinaires du bon Dieu, eine auserlesene Truppe, und die ganze französische Geschichte kommt mir manchmal vor wie eine große Komödie, die aber zum Besten der Menschheit aufgeführt wird. Im Leben wie in der Literatur und den bildenden Künsten der Franzosen herrscht der Charakter des Theatralischen.

Was uns Deutsche betrifft, so sind wir ehrliche Leute und gute Bürger. Was uns die Natur versagt, das erzielen wir durch Studium. Nur wenn wir zu stark brüllen, fürchten wir zuweilen, daß man in den Logen erschrecken und uns bestrafen möchte, und wir insinuieren dann mit einer gewissen Schlauheit, daß wir keine wirklichen Löwen sind, sondern nur in tragische Löwenhäute eingenähte Zettel, und diese Insinuation nennen wir Ironie. Wir sind ehrliche Leute und spielen am besten ehrliche Leute. Jubilierende Staatsdiener, alte Dallners, rechtschaffene Oberforstmeister und treue Bediente sind unsere Wonne. Helden werden uns sehr sauer, doch können wir schon damit fertig werden, besonders in Garnisonstädten, wo wir gute Muster vor Augen haben. Mit Königen sind wir nicht glücklich. In fürstlichen Residenzen hindert uns der Respekt, die Königsrollen mit absoluter Keckheit zu spielen; man könnte es übelnehmen, und wir lassen dann unter dem Hermelin den schäbigen Kittel der Untertansdemut hervorlauschen. In den deutschen Freistaaten, in Hamburg, Lübeck, Bremen und Frankfurt, in diesen glorreichen Republiken, dürften die Schauspieler ihre Könige ganz unbefangen spielen, aber der Patriotismus verleitet sie, die Bühne zu politischen Zwecken zu mißbrauchen, und sie spielen mit Vorsatz ihre Könige so schlecht, daß sie das Königtum, wo nicht verhaßt, doch wenigstens lächerlich machen. Sie befördern indirekt den Sinn für Republikanismus, und das ist besonders in Hamburg der Fall, wo die Könige am miserabelsten gespielt werden. Wäre der dortige hochweise Senat nicht undankbar, wie die Regierungen aller Republiken, Athen, Rom, Florenz, es immer gewesen sind, so müßte die Republik Hamburg für ihre Schauspieler ein großes Pantheon errichten, mit der Aufschrift: „Den schlechten Komödianten das dankbare Vaterland!“

Erinnern Sie sich noch, lieber Lewald, des seligen Schwarz, der in Hamburg den König Philipp im „Don Karlos“ spielte und immer seine Worte ganz langsam bis in den Mittelpunkt der Erde hinabzog und dann wieder plötzlich gen Himmel schnellte, dergestalt, daß sie uns nur eine Sekunde lang zu Gesicht kamen?

Aber um nicht ungerecht zu sein, müssen wir eingestehen, daß es vornehmlich an der deutschen Sprache liegt, wenn auf unserem Theater der Vortrag schlechter ist als bei den Engländern und Franzosen. Die Sprache der ersteren ist ein Dialekt, die Sprache der letzteren ist ein Erzeugnis der Gesellschaft; die unsrige ist weder das eine noch das andere, sie entbehrt dadurch sowohl der naiven Innigkeit als der flüssigen Grazie, sie ist nur eine Büchersprache, ein bodenloses Fabrikat der Schriftsteller, das wir durch Buchhändlervertrieb von der Leipziger Messe beziehen. Die Deklamation der Engländer ist Übertreibung der Natur, Übernatur; die unsrige ist Unnatur. Die Deklamation der Franzosen ist affektierter Tiradenton, die unsrige ist Lüge. Da ist ein herkömmliches Gegreine auf unserem Theater, wodurch mir oft die besten Stücke von Schiller verleidet wurden; besonders bei sentimentalen Stellen, wo unsere Schauspielerinnen in ein wäßriges Gesinge zerschmelzen. Doch wir wollen von deutschen Schauspielerinnen nichts Böses sagen, sie sind ja meine Landsmänninnen, und dann haben ja die Gänse das Kapitol gerettet, und dann gibt es auch soviel ordentliche Frauenzimmer darunter, und endlich ... ich werde hier unterbrochen von dem Teufelslärm, der vor meinem Fenster, auf dem Kirchhofe, los ist.

... Bei den Knaben, die eben noch so friedlich um den großen Baum herumtanzten, regte sich der alte Adam oder vielmehr der alte Kain, und sie begannen sich untereinander zu balgen. Ich mußte, um die Ruhe wiederherzustellen, zu ihnen hinaustreten, und kaum gelang es mir, sie mit Worten zu beschwichtigen. Da war ein kleiner Junge, der mit ganz besonderer Wut auf den Rücken eines anderen kleinen Jungen losschlug. Als ich ihn frug: „Was hat dir das arme Kind getan?“, sah er mich großäugig an und stotterte: „Es ist ja mein Bruder.“

Auch in meinem Hause blüht heute nichts weniger als der ewige Friede. Auf dem Korridor höre ich eben einen Spektakel, als fiele eine Klopstocksche Ode die Treppe herunter. Wirt und Wirtin zanken sich, und letztere macht ihrem armen Mann den Vorwurf, er sei ein Verschwender, er verzehre ihr Heiratsgut, und sie stürbe vor Kummer. Krank ist sie freilich, aber vor Geiz. Jeder Bissen, den ihr Mann in den Mund steckt, bekömmt ihr schlecht. Und dann auch, wenn ihr Mann seine Medizin einnimmt und etwas in den Flaschen übrigläßt, pflegt sie selber diese Reste zu verschlucken, damit kein Tropfen von der teuern Medizin verlorengehe, und davon wird sie krank. Der arme Mann, ein Schneider von Nation und seines Handwerks ein Deutscher, hat sich aufs Land zurückgezogen, um seine übrigen Tage in ländlicher Ruhe zu genießen. Diese Ruhe findet er aber gewiß nur auf dem Grabe seiner Gattin. Deshalb vielleicht hat er sich ein Haus neben dem Kirchhof gekauft und schaut er so sehnsuchtsvoll nach den Ruhestätten der Abgeschiedenen. Sein einziges Vergnügen besteht in Tabak und Rosen, und voll letzteren weiß er die schönsten Gattungen zu ziehen. Er hat diesen Morgen einige Töpfe mit Rosenstöcken in das Parterre vor meinem Fenster eingepflanzt. Sie blühen wunderschön. Aber, liebster Lewald, fragen Sie doch Ihre Frau, warum diese Rosen nicht duften? Entweder haben diese Rosen den Schnupfen oder ich.






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© Wolfgang Fricke