Der Weg in die Matratzengruft
Heinrich Heine in Briefen über seine fortschreitende Erkrankung
An Friedrich Merkel
Dieppe, 24. August 1832
Teurer Freund und Gönner!
Obgleich an einer lahmen und an einer schwachen Hand leidend, bekomme ich doch plötzlich den Drang, Dir zu schreiben. [...]
An Karl August Varnhagen von Ense
Paris, 28. März 1833
[...] - Ich leide noch immer an einer paralysierten Hand. Koreff ist mein Arzt. War sehr krank. Dennoch bleibe ich tätig. Ich gebe das Schwert nicht aus Händen, bis ich hinsinke. Solange bleib ich auch
Ihr Freund
H. Heine
An Maximilian Heine
Havre, ich glaube den 5. August 1836
[...] - Ich befinde mich wohl; körperlich leide ich fast gar nicht, außer an meiner linken Hand, deren Lähmung bis an den Ellbogen hinaufsteigt. Ich werde übrigens sehr dick. [...]
An Giacomo Meyerbeer
Paris, 24. März 1838
[...] Ich hingegen will mich nicht von der Chaussée d'Antin entfernen, wo Doktor Sichel wohnt, der mir, wenn mein Augenübel wieder eintreten sollte, gleich Hülfe schaffen kann. Sie haben keinen Begriff davon, wie sehr ich mich vor dem Blindwerden ängstige; Sichel hat mir gestern gestanden, daß ich immer noch in dieser Gefahr bin und nicht viel schreiben dürfe - - Ach! und nie habe ich mehr zu lesen und zu schreiben gehabt als eben dieses Jahr!
[...] - Und nun leben Sie wohl; ich kann heute nicht mehr schreiben, denn meine Augen schmerzen mich unsäglich. [...]
An George Sand
Granville, 17. August 1838
[...] Gegenwärtig bin ich von einer physischen Blindheit befallen, [...]
An Heinrich Laube
Paris, 7. Januar 1839
[...]
Ich befinde mich wohl und mutig und baue mir täglich neue Luftschlösser. Mit meinen Augen geht es besser.
[...]
An Gustav Kolb
Cauterets, Hautes Pyrénées, 3. Juli 1841
Ich schreibe Ihnen heute, und zwar eigenhändig, um Ihnen zunächst zu beweisen, daß ich weder blind noch sterbenskrank und am allerwenigsten tot bin, wie die französischen Journale behaupten. Ich bin aber sehr abgemattet, infolge der Bäder, die ich hier gebrauche, sehr abgemattet, und es kostet mir Mühe, die Feder in der Hand zu halten. [...]
An Julius Campe
Paris, 28. Februar 1842
[...] Nur Ruhe muß ich mir schaffen und mich von meinem bösen Kopfübel etwas heilen. Meine Verdrieslichkeit vom vorigen Jahr haben nicht bloß meine Finanzen ruiniert, sondern auch meine physische Heilung hintertrieben. [...]
An Betty Heine
Paris, 8. März 1842
[...] Mit mir geht es seitdem etwas besser, meine Augen sind wieder ganz gut, und nur meine Gesichtslähmung, die aber durchaus nicht schmerzhaft, ist übrig. [...]
Mein Haarseil im Nacken tut mir gut und schmerzt fast gar nicht.
An Betty Heine
Paris, 21. Februar 1843
Liebe gute Mutter!
Meine Saumseligkeit im Schreiben mußt Du entschuldigen. Leider ist mein Augenübel einige Zeit die Schuld gewesen, warum ich nicht schrieb. Erst seit etwa 10 Tagen kann ich wieder ordentlich sehen. Diese temporäre Belästigung hatte mich diesmal sehr beängstigt, da sie jetzt mit einer Erschlaffung der Gesichtsmuskeln auf der rechten Seite des Gesichts (von der Kopfspitze bis zum Kinn) verbunden war. Aber mein Augenübel scheint doch nur ein vorübergehendes Übel zu sein, das noch oft zu gewissen Zeiten seine Aufwartung machen wird und ebenso regelmäßig verschwinden wird; die übriggebliebene Gesichtsparalysie (die aber gottlob nicht sichtbar) wird schon etwas langsamer vertrieben werden können. Ich habe mir deswegen ein Haarseil im Nacken setzen lassen. Sonst befinde ich mich vom Herzen gesund, ja gesünder als je.
Mein Übel stört mich sehr in betreff meiner Arbeiten, denn ich schone mich ganz außerordentlich. [...]
An Maximilian Heine
Paris, 12. April 1843
[...] Das hat aber alles nicht viel zu bedeuten, trüge ich nicht meinen schlimmsten Feind in meinem eigenen Leibe, nämlich in meinem Kopfe, dessen Krankheit in letzter Zeit in eine sehr bedenkliche Phase getreten. Fast die ganze linke Seite ist paralysiert in bezug auf die Empfindung; die Bewegung der Muskeln ist noch vorhanden. Über der linken Augenbraue, wo die Nase anfängt, liegt ein Druck wie Blei, der nie aufhört, seit beinah zwei Jahren ist dieser Druck stationär; nur in Momenten des starken Anstrengens beim Arbeiten empfand ich ihn weniger, nachher aber war die Reaktion desto größer, und wie Du denken kannst, darf ich wenig jetzt arbeiten. Welch ein Unglück! Damit ist auch das linke Auge sehr schwach und leidend, stimmt oft nicht zusammen mit dem rechten, und zuzeiten entsteht dadurch eine Verwirrung des Gesichtes, die weit unleidlicher ist als das Dunkel der vollen Blindheit. Seit zwei Monat habe ich im Genick ein Haarseil, aber das ist nur ein Palliativ, und ich habe zu keinem Heilmittel Vertrauen. [...]
An Julius Campe
Paris, 20. Februar 1844
Liebster Campe!
Ihren Brief habe ich bereits vor 8 Tagen erhalten, und auch heute bin ich nicht imstande, Ihnen ordentlich zu schreiben. Denn seit 10 Tagen ist mein schreckliches Augenübel, schrecklicher als je, wieder eingetreten, und ich schreibe Ihnen diese Zeilen mit der größten Mühe; ich kann kaum die Buchstaben sehen. [...]
An Julius Campe
Paris, 17. April 1844
Liebster Campe!
Seit 4 Wochen bin ich wieder von meinem Augenübel hergestellt. Vorher war ich fast blind. - Nicht schreiben können, und was noch schrecklicher ist, nicht lesen können - Sie haben keinen Begriff von dem Unmut, der mich verzehrte. [...]
An Julius Campe
Paris, 5. Juni 1844
[...] habe ich das Geld nötig, um ins Bad zu reisen und meine armen kranken Augen zu kurieren.
[...]
Meine Augen sind so leidend, daß ich nicht überlesen kann, was ich Ihnen heute geschrieben.
An Mathilde Heine
Hamburg, 19. September 1844
Mit meinen Augen geht es immer schlechter, ich habe Mühe zu schreiben, und das ist der Grund, warum ich Dir jetzt nicht viel schreibe. [...]
An Julius Campe
Paris, 31. Oktober 1845
[...] Was das mit meinen Augen geben wird, weiß der liebe Himmel; das linke ist seit Januar immer geschlossen, und auch das rechte ist trüb und lahm. Ich kann gar nichts lesen, aber noch schreiben, und gehe einer gänzlichen Blindheit entgegen. [...]
An Karl August Varnhagen von Ense
Paris, 3. Januar 1846
[...] Mir ging es nämlich in der jüngsten Zeit spottschlecht, und das Schreiben selbst erinnert mich beständig an mein körperliches Mißgeschick; ich kann kaum meine eigenen Schriftzüge sehen, indem ich ein ganz geschlossenes und ein bereits sich schließendes Auge habe und jeder Brief mir eine Pein ist. [...]
An Ferdinand Lasalle
Paris, 10. Februar 1846
[...], denn ich bin seit drei Wochen leidender als je. - Vierzehn Tage mußte ich das Zimmer hüten, und jetzt muß ich ängstlich meinen kranken Kopf schonen, damit kein Gehirnfieber sich ausbildet. [...]
Zum Glück habe ich keine eigentliche Schmerzen, sondern nur Lähmungen, Genuß- und Lebenshindernisse. - Meine Lippen sind manchmal so lahm, daß ich ganze Abende schweigend neben meiner Frau am Kamin sitze. "Quelle conversation allemande!" ruft sie dann manchmal seufzend aus. [...]
An Julius Campe
Tarbes, 1. September 1846
[...]; leider aber hat mein Zustand, der sich seit Ende Mai bedenklich verschlimmert, in diesem Augenblick eine so ernsthafte Form angenommen, daß ich selbst erschrecke. Während der ersten Wochen, die ich in Barèges zubrachte, hatte ich mich etwas erholt und Hoffnung geschöpft, aber seitdem ging es den Schneckengang; meine Sprachwerkzeuge sind so gelähmt, daß ich nicht sprechen kann, und essen kann ich nicht seit vier Monat, wegen der Schwierigkeit des Kauens und Schluckens und der Abwesenheit des Geschmacks. Auch bin ich entsetzlich abgemagert, mein armer Bauch ist kläglich verschwunden, und ich sehe aus wie ein dürrer einäugiger Hannibal. Traurige Symptome (beständige Ohnmachten) haben mich nun bestimmt, nach Paris zurückzueilen, und gestern habe ich Barèges verlassen. [...]
An Ferdinand Friedland
Paris, 14. August 1846 (muß im September geschrieben worden sein)
[...]; ich bin hier tausendmal kranker angelangt als Sie mich vor meiner Abreise gesehen, die Mundlähmung ist ausgebildet, ich kann nicht mehr essen, bin abgemagert; der Druck auf der Brust bringt mich jeden Augenblick dem Ersticken nahe, mein Hintern fragt mich gar nicht mehr um Erlaubnis was er tun soll - enfin sehr schlechte Symptome und ich pfeiffe vielleicht aus dem letzten Loche. [...]
An Alexandre Weill
Montmorency, 22. September 1847
[...] denn seit länger als 14 Tagen bin ich auch an beiden Füßen und dem ganzen Unterleib gelähmt, so daß ich nicht gehen kann. [...]
An Edouard de Lagrange
Passy, 25. Juni 1848
[...] Ach, seit ich Sie das letztemal gesehen, hat sich die Krankheit verschlimmert, und die Lähmung hat fast meine ganze sterbliche Hülle ergriffen. Meine Beine haben den Sturz des Königtums nicht überlebt, und ich bin jetzt ein Krüppel. [...]
Ich weiß nicht, was ich Ihnen soeben geschrieben habe. Sie kennen den Zustand meiner Augen. [...]
An Jean-Jaques Dubochet
Passy, 29. August 1848
Monsieur!
Seit ich die Ehre hatte, Sie zu sehen, hat sich mein Gesundheitszustand verschlechtert. Ein schreckliches Unglück hat mich getroffen, ich bin jetzt völlig gelähmt; ich habe den Gebrauch meiner Beine ganz verloren, so daß ich das Bett nicht mehr verlassen kann. Es ist sehr hart, auf einer Matratze festgenagelt zu sein, wenn alle Welt auf den Beinen ist und alle Dinge im Fluß sind. [...]
An Maximilian Heine
Passy, 10. September 1848
[...] Dein Herz ist so klug, es hat richtig erraten, daß mein Leid im Rückgrate seinen Sitz hat. Seit zweimal 24 Stunden wälze ich mich in den furchtbarsten Krämpfen, die noch in diesem Augenblick mich hindern, Dir ordentlich zu antworten; es soll in einigen Tagen geschehen. Eigenhändiges Schreiben ist mir ganz unmöglich jetzt. Die Krämpfe haben auch meine Hände erreicht, und ich habe überhaupt seit 3 Monaten nur zuweilen noch wenige Augenblicke das Bett verlassen können. Herz und Gehirn oder vielmehr die Seele in üppigster Gesundheit, und ich fürchte deshalb ein längeres Leben, als mir frommt. [...]
An Maximilian Heine
Passy, 12. September 1848
Mein geliebter Bruder!
Es drängt mich, dem gestrigen Briefe einige Zeilen auf dem Fuße nachfolgen zu lassen. Das Beste, was ich Dir zu sagen habe, ist, daß die verflossene Nacht eine schmerzlose und ruhige war; obgleich die Krämpfe im Grunde dieselben geblieben und dieselben Kontraktionen und Verkrümmungen hervorbrachten, so fehlte ihnen doch der akute Schmerz, und ich habe auch einige Minuten geschlafen. [...]
[...] Ich weiß nicht, woran ich bin, und keiner meiner Ärzte weiß es. Soviel ist gewiß, daß ich in den letzten 3 Monaten mehr Qualen erduldet, als jemals die spanische Inquisition ersinnen konnte. Dieser lebendige Tod, dieses Unleben, ist nicht zu ertragen, wenn sich noch Schmerzen dazugesellen. [...] Wenn ich auch nicht gleich sterbe, so ist doch das Leben für mich auf immer verloren, und ich liebe doch das Leben mit so inbrünstiger Leidenschaft. Für mich gibt es keine schöne Berggipfel mehr, die ich erklimme, keine Frauenlippe, die ich küsse, nicht mal mehr ein guter Rinderbraten in Gesellschaft heiter schmausender Gäste; meine Lippen sind gelähmt wie meine Füße, auch die Eßwerkzeuge sind gelähmt, ebensosehr wie die Absonderungskanäle. Ich kann weder kauen noch kacken, werde wie ein Vogel gefüttert. Dieses Unleben ist nicht zu ertragen. Oh! welch ein Unglück, lieber Max, daß ich nicht bei Dir sein kann.
Dein armer Bruder
Heinrich Heine