Heine über ...
. . . Zahnschmerzen
Aus Über die Französische Bühne (1837)
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Ich befand mich, wie gesagt, zu Potsdam nicht sonderlich heiter gestimmt, und dazu kam noch, daß der Leib mit der Seele eine Wette einging, wer von beiden mich am meisten quälen könne. Ach! der psychische Schmerz ist leichter zu ertragen als der physische, und gewährt man mir z.B. die Wahl zwischen einem bösen Gewissen und einem bösen Zahn, so wähle ich ersteres. Ach, es ist nichts Gräßlicheres als Zahnschmerz! Das fühlte ich in Potsdam, ich vergaß alle meine Seelenleiden und beschloß, nach Berlin zu reisen, um mir dort den kranken Zahn ausziehen zu lassen. Welche schauerliche, grauenhafte Operation! Sie hat so etwas vom Geköpftwerden. Man muß sich auch dabei auf einen Stuhl setzen und ganz stillhalten und ruhig den schrecklichen Ruck erwarten! Mein Haar sträubt sich, wenn ich nur daran denke. Aber die Vorsehung, in ihrer Weisheit, hat alles zu unserem Besten eingerichtet, und sogar die Schmerzen des Menschen dienen am Ende nur zu seinem Heile. Freilich, Zahnschmerzen sind fürchterlich, unerträglich; doch die wohltätig berechnende Vorsehung hat unseren Zahnschmerzen eben diesen fürchterlich unerträglichen Charakter verliehen, damit wir aus Verzweiflung endlich zum Zahnarzt laufen und uns den Zahn ausreißen lassen. Wahrlich, niemand würde sich zu dieser Operation oder vielmehr Exekution entschließen, wenn der Zahnschmerz nur im mindesten erträglich wäre!
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